Fotoausstellung Heiße Wurst auf rotem Teppich
Berlin - Luigi Colani ist ganz offensichtlich ein Liebhaber der Farbe Weiß. Seine Hose ist weiß, der viel zu große Rollkragenpullover ist weiß, der lässig um den Hals geschlungene Schal ist weiß, und natürlich ist auch der Sessel weiß, auf dem es sich der mittlerweile 78-jährige Designer und "Weltmeister der eleganten Kurve" bequem gemacht hat. Das wallende Haar, der markante Schnurrbart und der offensichtlich ausgeprägte Hang zur Selbstinszenierung gehören zu den Markenzeichen des Erfinders der "Kugelküche" und anderer futuristisch anmutender Designikonen der Sixties und Seventies. Und sie weisen ihn als eine Persönlichkeit aus, die mit ihrer Berühmtheit augenscheinlich ganz gut zurecht kommt.
Das Foto, das den Designer in stolzer Selbstinszenierung zeigt, stammt von der Stuttgarter Fotografin Susanne Wegner, die jetzt im Berliner Martin-Gropius-Bau zusammen mit 72 anderen überwiegend jungen Fotografen Aufnahmen zum Thema "berühmt" zeigt. Die Schau findet im Rahmen des "2. Europäischen Monats der Fotografie" mit über 150 Ausstellungen und Veranstaltungen an 85 Orten allein in Berlin statt. Ebenfalls mit von der Partie beim europaweiten Fotoevent sind in diesem Jahr auch Bratislava, Luxemburg, Moskau, Paris, Rom und Wien.
Veranstalter von "berühmt" ist die Hamburger Plattform "klubfoto", ein unabhängiges Forum für Fotografen, das sich 2001 gegründet hat. Einmal im Jahr wählen Simone Thürnau, Andrea Henkens, Martin Luther und Axel Martens - das sind die vier Macher von "klubfoto" - ein Thema aus. Im zweiten Schritt laden sie ein paar Dutzend Fotografen dazu ein, zu diesem Thema eine neu entstandene Fotografie einzusenden. Weitere Vorgaben gibt es keine, nur einigermaßen handlich sollten die Fotos sein, schließlich findet am Ende eine gemeinsame Ausstellung statt. Die Themen der vergangenen Jahre lauteten kurz und bündig "Respekt", "nachts", "Klischee", "Weihnachten" und "neulich".
Gierig grapschende Hände der Fans
Die "klubfoto" -Idee ist ebenso einfach wie bestechend. Martin Luther erläutert sie so: "Das Thema ist immer sehr weitläufig gewählt, es darf alle Genres umfassen, aber natürlich auf keinen Fall beliebig werden". Auf eines legen die Initiatoren aber besonderen Wert: Die eingeladenen Fotografen sollen sich zu dem Thema etwas ganz Neues einfallen lassen und nicht etwa auf alte Bilder aus ihrem Archiv zurückgreifen. "Es ist verboten, etwas aus der Schublade zu nehmen. Die Fotografen werden von uns eingeladen und haben dann zwei Monate Zeit für ein aktuelles Bild", erklärt Luther die Regeln.
Birgt soviel Freiheit nicht auch ein enormes Risiko? "Kurioserweise ist noch nie gekommen, was man erwartet hat. Aber wir wurden auch noch nie enttäuscht", freut sich Luther. Und zur aktuellen "berühmt"-Schau, sagt er: "Obwohl das Thema dazu verführt, ist es keine Promishow geworden".
In der Tat sucht man in dieser Schau platte Celebrity-Shots und allzu vordergründige Paparazzi-Fotos vergebens. Die Fotografen richten ihr Objektiv viel lieber auf die Randerscheinungen und Nebenschauplätze des Ruhmes, ironisieren und verfremden das Geschäft mit der Bekanntheit. Heike Ollertz und Tobias Bergunde versetzen den Betrachter gekonnt in die nicht gerade beneidenswerte Rolle der ständig umlagerten Champions und Diven, Rockstars und Leinwandhelden. Ollertz inszeniert das auf das Promigesicht gerichtete mediale Mündungsfeuer aus Dutzenden von Blitzlichtgeräten. Bergunde thematisiert die gierig grapschenden Hände der Fans.
Auch der rote Teppich, seit dem Mittelalter Symbol der Bedeutung und des Zeremoniells, darf in einer solchen Schau nicht fehlen: Bei Miriam Yousif-Kabota ziert er in makelloser Reinheit und Symmetrie ein menschenleeres Fünfziger-Jahre Foyer mit Marmortreppe. Jonas von der Hude hingegen schnürt die prestigeträchtige Auslegeware zu einer handlichen Rolle zusammen und verbannt sie auf einen schummrig beleuchteten Dachboden. Abgestellt und vergessen.
Gott wohnt im Mietshaus
Dass nicht nur reale Personen den Status der Berühmtheit erlangen können, zeigen die vielen Aufnahmen von verehrungswürdigen Kult-Gegenständen und anderen Objekten: Markus Dominitzki bringt das WM-Fieber auf den Punkt, indem er den Worldcup wie ein antikes Prunkstück ablichtet. Stefan Thurmann reduziert den Eiffelturm auf eine Souvenirversion aus Aluminiumguss. Dirk Fellenberg setzt der Berliner Currywurst ein bissig-humorvolles Denkmal. Er fotografiert den heißgeliebten Lieblingssnack der Deutschen im handelsüblichen Pappschälchen auf Resopaltisch-Untergrund. Perfekte Foodfotografie trifft gammelfleischverdächtiges Imbissambiente.
Auffällig: Gleich mehreren Teilnehmern fällt beim Thema "berühmt" unmittelbar Gott ein. Da inszeniert sich André Beyer als Jesus mit Wäschekorb, Lars Gerold und Christian Charisius zeigen Kruzifixe, einmal vor einer Wand und einmal auf behaarter Männerbrust. Bei Reinhard Hunger hat Gott sogar einen Platz auf dem Klingelschild eines Mehrfamilienhauses, irgendwo zwischen Kilic und Chranowski.
Schließlich glänzt die zur Zeit wohl berühmteste Deutsche durch Abwesenheit: Angela Merkel. Enver Hirsch zeigt ein rüstiges Rentnerehepaar in praktischer Freizeitkleidung, wie es ehrfurchtsvoll vor dem Berliner Kanzleramt stehen bleibt und auf das Fenster zeigt, hinter dem die Bundeskanzlerin beim Aktenstudium vermutet werden darf. Auch wenn die älteren Herrschaften tatsächlich in den symbolträchtigen Farben Schwarz, Rot, Gold daherkommen, das Bild ist ein spontaner Schnappschuss mit der Quicksnap-Kamera. Die Barriere zwischen der prominenten Regierungschefin und dem staunenden Volk scheint indes unüberbrückbar. Egal ob roter Teppich, Respekt einflößender Machtapparat oder coole Siegerpose - Berühmtheit mag verführerisch sein, doch auf dem Gipfel weht der kalte Wind der Einsamkeit.
"berühmt", Martin-Gropius-Bau , Berlin, 3. November 2006 bis 7.Januar 2007.