Fotofestival "Lumix" Leih mir deine Augen, Kleines!

Die Welt als Schlachtfeld und Schaumparty, Leben zwischen Cluburlaub und Bürgerkrieg: Das "Lumix"-Fotofestival soll für Bilder jenseits von Paparazzi-Trash sensibilisieren. SPIEGEL ONLINE zeigt Momentaufnahmen von Trauer, Elend - und Glück.
Von Irène Bluche

In einen rosafarbenen Schal gehüllt, schaut das Mädchen verängstigt auf den 40-jährigen Mann neben sich - es ist nicht ihr Vater, sondern ihr künftiger Ehemann. Das erschütternde Bild der elfjährigen Kind-Braut ging um die Welt. Für die US-amerikanische Fotografin Stephanie Sinclair war es die Eintrittskarte in eine ebenso anziehende wie krisengeschüttelte Branche - das professionelle Fotografiegeschäft. Für ihre Arbeit erhielt sie den "Photo of the Year Award" von Unicef.

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Foto: Justin Jin

Jetzt tritt Sinclair noch bei einem weiteren Fotografiepreis an: Sie ist eine von 60 jungen Fotografen aus 21 Ländern, die ihre Fotoreportagen aus aller Welt auf dem "Lumix Festival für jungen Fotojournalismus" in Hannover präsentieren. Zu gewinnen gibt es den neu gestifteten "Freelens-Award".

Auch wenn sich die Fotografin nach ihrem bisherigen Erfolg wohl kaum Sorgen um ihre Zukunft machen muss, geht es vielen jungen Kollegen anders. Wer mit Fotografie seinen Lebensunterhalt verdienen will, steigt ein in ein schwieriges Geschäft, das durch die stetig zunehmende Verbreitung der Digitalfotografie und sinkenden Abnehmerzahlen ihrem Nachwuchs keine glänzenden Zukunftsperspektiven mehr bieten kann.

Doch die Branche kämpft gegen den Abwärtstrend an. Erst im April wurde der neu geschaffene und mit 25.000 Dollar üppig dotierte "Sony World Photography Award" in Cannes verliehen. Der "Freelens Award" in Hannover ist mit 5000 Euro zwar nicht ganz so gut ausgestattet, aber dennoch stellt das "Lumix-Festival" ein bemerkenswertes Novum für den Fotojournalismus dar. Denn weltweit gab es bisher nur ein einziges Festival, das in größerem Umfang journalistische Fotoarbeiten ausstellt und prämiert: Das "Visa pour L'Image" im französischen Perpignan. In Hannover wird nun der Grundstein für eine weitere Förderung des qualitativen Fotojournalismus gelegt.

Friede, Freude, Eierkuchen?

Gesellschaftskritik dominiert viele der Wettbewerbsbeiträge. So hat der 25-jährige Schweizer Michael Hauri in der armen rumänischen Grenzregion Maramures über mehrere Jahre hinweg die in ihren Traditionen verhafteten Bewohner fotografiert: "Mit der EU tut sich sehr viel im Land, aber nicht überall. Ich wollte zeigen, dass das alles noch nicht so rund läuft," sagt der Nachwuchs-Fotograf.

Die 21-jährige Anna Jockisch verbrachte für ihren Wettbewerbsbeitrag mehrere Wochen mit vier jungen Menschen, die in der Öffentlichkeit als soziale Problemfälle gelten. Arbeitslose, Schulschwänzer, Kinder mit sogenanntem Migrationshintergrund. Ihre Fotos zeigen allerdings mehr als die übliche Sozialtristesse: "Ich wollte dem negativen Bild in den Medien etwas entgegensetzen und die Wünsche und die Suche der Jugendlichen darstellen."

Ob ihr das gelungen ist, wird die fünfköpfige Festival-Jury entscheiden, die aus "Geo"-Bildchefin Ruth Eichhorn, Magnum-Fotograf Thomas Höpker, FreeLens-Geschäftsführer Lutz Fischmann, laif-Geschäftsfführer Peter Bitzer und dem Leiter der Danmark Journalisthøjskole, Søren Pagter, besteht.

Dem Fotografieprofessor und Gründer des Festivals, Rolf Nobel, ist es allerdings wichtig, nicht ausschließlich düstere, sozialkritische Fotobeiträge auszustellen, wie es beim französischen Festival der Fall ist: "Dort watet man visuell durch ein Meer von Toten, von halb Verhungerten, den dunklen Seiten des menschlichen Daseins." Nobel will dem etwas entgegensetzen: "Wir machen es uns zur Aufgabe, das Leben in all seinen Facetten zu dokumentieren. Dazu gehören genauso Momente des Glücks, Massenkulturthematiken und Themen der Ersten Welt, nicht nur der Dritten." Nobel schränkt aber ein: "Natürlich wollen wir auch keine Friede-Freude-Eierkuchen-Veranstaltung werden."

Digitale Zukunft der brotlosen Kunst

Gegen die Eierkuchenstimmung gibt es ein umfangreiches Begleitprogramm mit Vorträgen, Diskussionsrunden und praktischen Angeboten. Ein dominierendes Thema aber ist die Zukunft des Fotojournalismus, wie der Titel der Diskussionsrunde "Sozialreportagen – brotlose Kunst für Sozialromantiker?" zeigt.

Wozu auch professionell fotografieren, wenn heutzutage jeder Laie mit Photoshop und Co. seine Urlaubsbilder zu Meisterwerken verarbeiten kann? Eine Frage, auf die Fotografiestudent Michael Hauri eine klare Antwort hat: "Wir sollten das Dokumentieren unserer Zeitgeschichte nicht den Paparazzi und auch nicht den Amateurfotografen überlassen, die bei der 'Bild'-Zeitung ihre Fotos einschicken."

Welchen Bildern kann man aber trauen, wenn alles digital manipulierbar ist? "Es gibt Tausende Fälle im Journalismus, bei denen Dinge hinzugefügt oder weggenommen werden. Man kann nur dem Organ trauen, in denen das Bild gedruckt ist", sagt Nobel.

Die technischen Errungenschaften der Digitalfotografie eröffnen der professionellen Fotografie aber auch neue Wege. "Lumix"-Gründer Nobel sieht durchaus die Vorteile der neuen Medien: "Das Internet gibt Fotografen perspektivisch Möglichkeiten, Geschichten im viel größeren Stil zu erzählen. Es macht keinen Sinn, dem alten hinterherzuweinen."


"Lumix Festival für jungen Fotojournalismus",  18. bis 22. Juni 2008, auf dem Expo-Gelände, Hannover. Die Verleihung des "Freelens-Awards", des Panasonic-Publikumspreises finden am 21. Juni statt.

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