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Fotokünstler Weinberger: Unsere Städte als Un-Orte

Foto: Thomas Weinberger/ VG Bild-Kunst/ Courtesy Galerie Nusser & Baumgart

Fotokünstler Thomas Weinberger Unsere Städte, dem Untergang geweiht

Strahlende Raffinerien, leuchtende Wolkenkratzer, menschenleere Wohn- und Bürowelten: Der Münchner Fotograf Thomas Weinberger zeigt unsere Städte- und Industrielandschaften so, als stünde die Apokalypse bald bevor.

Der Künstler und Fotograf Thomas Weinberger, Jahrgang 1964, hat Architektur studiert und als freier Architekt gearbeitet, bis er sich ganz der Fotokunst widmete. Viele seiner spektakulären Arbeiten im Bereich Architektur- und Landschaftsfotografie basieren auf einer eigens entwickelten Synthese-Technik von Nacht- und Tagaufnahmen. Er lebt in München und Berlin.

SPIEGEL ONLINE: Vor Ihrer Karriere als Fotograf und Künstler haben Sie als Architekt gearbeitet. Wie sind Sie zur Fotografie gekommen?

Weinberger: Ich habe immer schon fotografiert, schon als kleiner Junge. Eigentlich war es das Einzige, was ich gemacht habe, ohne dass es einen Grund gab.

SPIEGEL ONLINE: Sie gehen oft zu den zentralen Logistik- und Infrastrukturgebieten unserer Städte: Verkehrs- und Transportknotenpunkte, Industriegebiete und Ähnliches. Was interessiert Sie daran?

Weinberger: Solche Orte sind für uns ja in gewisser Weise Un-Orte. Wir können sie betrachten, ohne dass sie mit Bedeutung aufgeladen sind. Und ihnen ist gemein, dass sie nachts beleuchtet sind. Das zeigt, dass sie eine Wichtigkeit haben - so wie man Monumente nachts beleuchtet. Auch wenn der Grund für die Beleuchtung meist ein funktionaler ist, beispielsweise ein Sicherheitsrisiko.

SPIEGEL ONLINE: Sie arbeiten mit Synthesen von Tag- und Nachtaufnahmen des gleichen Ortes. Wie sind Sie darauf gekommen?

Weinberger: Viele vergessen, dass Licht die Sprache des Fotografen ist. Ich war auf der Suche nach einem Licht, das mein In-der-Welt-sein ausdrückt - ich habe schon seit vielen Jahren das Gefühl, dass die westliche Welt in der ich lebe, bedroht ist. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass wir in der Spätphase einer Hochkultur leben.

SPIEGEL ONLINE: So sieht unsere Zivilisation kurz vor ihrem Niedergang aus?

Weinberger: (lacht) Natürlich nicht. Ich wollte nur mein Lebensgefühl in Bilder umsetzen. Seit dem Ölschock versuchen wir, unser auf Wachstum ausgerichtetes Wirtschaftssystem künstlich am Leben zu halten. Die allgemeine Stimmungslage ähnelt der vor einem aufziehenden Gewitter: Es ist Tag, aber der Himmel ist durch heraufziehende Wolken verdunkelt. Noch ist alles ruhig, aber die Straßenlaternen gehen an und künden davon, dass etwas nicht in Ordnung ist. Diese Stimmung erzeuge ich synthetisch dadurch, dass ich natürliches und künstliches Licht von identischen Tag- und Nachtaufnahmen eines Ortes in einem Bild vereinige.

SPIEGEL ONLINE: Wie machen Sie das technisch?

Weinberger: Die Aufnahmen werden in einem digitalen Prozess interpoliert, also miteinander verrechnet. So entsteht gewissermaßen das absolute Foto eines Ortes, mit seiner Nacht- und Tagseite.

SPIEGEL ONLINE: Ihre Stadt-, Industrie- und Infrastrukturlandschaften sind in der Regel menschenleer - warum?

Weinberger: Menschen würden vom Thema ablenken. Mir geht es ja nicht nicht um die Interaktion von Menschen im öffentlichen Raum, sondern um ein Abbild der Welt. Und eine Stadt, ein Haus oder eine Architektur verraten ja unglaublich viel über die Menschen, die dort leben, und die Gesellschaft, in der das gebaut wird.

SPIEGEL ONLINE: Eine Bilderfolge, die unter Autobahnbrücken des Mittleren Rings in München aufgenommen ist, haben Sie "Paradise I und II" genannt. Warum?

Weinberger: Das Paradies ist ein Ort, an dem etwas in Fülle vorhanden ist, was in der Wirklichkeit knapp ist. In früheren Jahrhunderten hat man sich das Paradies als Schlaraffenland voller Nahrung vorgestellt, weil Nahrung knapp war. Heute ist das Paradies eher ein Ort, an dem es keine Affektkontrolle gibt - so wie unter diesen Brücken. Wenn es in München einen wirklich menschenleeren Ort gibt, dann diesen. Diese Orte sind rundherum eingeschlossen von vierspurigen Verkehrstrassen. Dorthin verirrt sich niemand. Weder zufällig noch absichtlich. Das sind Unorte, die nicht kulturell determiniert sind und an denen man sich benehmen kann, wie man will. Das ist es, was in unserer Zeit selten ist - also das zeitgenössische Paradies.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben in jüngster Zeit einen radikalen Motivwechsel vorgenommen: Statt Architekturen und Landschaften zeigen Sie jetzt Serien von untergehenden Sonnen. Wie kommt es dazu?

Weinberger: Meine Arbeit ist bisher meistens unter dem Motivischen subsumiert worden - ich gelte als Architekturfotograf oder Fotograf von Stadtlandschaften. Aber aus meiner Sicht genügt es nicht, zu versuchen, Fotografie ausschließlich über das Motiv zu analysieren, da ein Motiv mehrere unterschiedliche Bilder erzeugen kann, je nachdem, welches Licht es gerade reflektiert. Mein eigentliches Thema ist eben nicht das Motiv, sondern das Licht, das ich synthetisch erzeuge. Da darüber bisher kaum diskutiert wurde, wollte ich es mit meiner Raum-Installation von untergehenden Sonnen sozusagen erzwingen, indem ich dem Betrachter das Motiv entziehe.

SPIEGEL ONLINE: Aber die untergehende Sonne ist doch auch ein Motiv…

Weinberger: Ja und nein. Üblicherweise sind Sonnenuntergänge Szenerien von Landschaften. Ich habe meine "99 sunsets" auf die untergehende Sonne und den Himmel reduziert. Bei der untergehenden Sonne habe ich das Licht selbst fotografiert und keinen Gegenstand, der Licht reflektiert. Das Motiv im eigentlichen Sinne fehlt. Bei der Aufnahme der untergehenden Sonne hast du auch gar keinen künstlerischen Spielraum, weil du als Fotograf eben nicht entscheiden kannst, welches Licht du nimmst.

SPIEGEL ONLINE: Trotzdem haben Sie all diese Sonnenuntergänge fotografiert?

Weinberger: Nein, ich hab sie gar nicht selbst fotografiert. Die Sonnenuntergänge habe ich alle gekauft von anderen Fotografen, die Dateien jedoch vor allem hinsichtlich ihres Ausschnitts nachbearbeitet. Es macht ja gar keinen Unterschied: Ich hätte einen Assistenten damit beschäftigen können oder mich ein paar Wochen in der Karibik rumtreiben können - das Ergebnis wäre das gleiche gewesen.

SPIEGEL ONLINE: Die Installation Ihrer "99 sunsets" heißt schlicht und einfach "schön". Ist Schönheit ein Thema für sie? Ein Faszinosum?

Weinberger: Absolut. Ich dachte: Vielleicht komme ich einer Antwort auf die Frage, was schön ist, näher, wenn ich etwas finde, was alle Menschen schön finden. Und es gibt kaum etwas, worauf sich die Menschen unabhängig von ihrer Kultur oder Bildung oder geografischer Unterschiede einigen können - außer dem Sonnenuntergang. Vielleicht liegt es daran, dass die Sonne kurz vor ihrem Untergang eben ihre Funktion langsam verliert. Der Mensch baut ja zu den Dingen am besten ein ästhetisches Verhältnis auf, zu denen er kein funktionales Verhältnis hat. Nehmen wir die Musikkassette: Für mich hatten die Dinger keine ästhetische Qualität, es ging nur darum, ob die Chrom oder Ferro und C90 oder C60 sind. Erst seitdem die Kassette als Tonträger ausgedient hat, ist sie ein cooles Motiv für iPhone-Hüllen oder T-Shirts.

Das Interview führte Christoph Twickel für das Foto-Portal seenby.de 

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