Fotografie-Ausstellung Das geheime Genie des Kindermädchens

Sie verdiente ihren Lebensunterhalt als Kindermädchen - keiner ahnte, dass sie auch eine besessene Fotografin war. Ein Zufallsfund brachte das grandiose fotografische Werk der Amerikanerin Vivian Maier ans Licht. Nun sind ihre Straßenfotografien zum ersten Mal in Deutschland zu sehen.

Man kann fotografische Bilder so betrachten und verstehen, dass sie nicht nur Geschichten über das Abgebildete, sondern auch viel über ihren Fotografen erzählen. Denn der muss das Motiv entdecken, bewerten, interessant finden, dann gestalten und belichten. Also muss Vivian Maier  ein großartiges Leben gehabt haben. Eines, in dem sie alle Facetten des Lebens gesehen und erkannt hat - schön und hässlich, traurig und fröhlich, reich und arm.

Überwiegend Menschen hat Maier fotografiert, meist auf den Straßen. Darunter sind viele Kinder. Lachende, tanzende auf der Straße, unbekümmerte, völlig in ihr Spiel vertiefte, andere an der Hand ihrer Eltern, manche herausgeputzt und ausgestellt, andere verloren und traurig. Und wieder andere schauen ernst und vertrauensvoll in die Kamera, egal, ob die Fotografin ihnen in einem Porträt nahe kommt oder ob sie sie in abgerissener Kleidung und trister Umgebung zeigt.

Eigenwillig bis exzentrisch

Was man über die äußeren Umstände des Lebens der Fotografin Vivian Maier gerade überall lesen kann, ist nicht so reich und schön. 1926 wurde Maier als Tochter eines französisch-österreichischen Einwander-Ehepaares in New York geboren. Wenig später verließ der Vater die Familie, und Maier wuchs vorwiegend in Frankreich auf. 1951 ging sie von dort aus nach New York, fünf Jahre später zog sie nach Chicago, wo sie 40 Jahre lang als Kindermädchen in verschiedenen Familien arbeitete. Eigenwillig bis exzentrisch soll sie gewesen sein, eine Einzelgängerin, die Theater und Kino liebte, berichten heute ihre Ziehkinder.

Über ihre wirkliche Leidenschaft, die Fotografie, wussten sie allerdings wenig. Maier brachte zwar zu jedem Arbeitgeber jede Menge Pappkartons mit, in denen sie ihre unentwickelten Fotorollen aufbewahrte, öffnete und zeigte sie aber niemals. Von einer langen Reise durch die USA, Asien, Ägypten und Italien, die sie wohl 1959/60 unternahm, weiß man, weil sie natürlich fotografierte. Dass sie vorübergehend obdachlos war, wird vermutet, später sollen drei ihrer Ziehkinder ihr eine Wohnung finanziert haben. Sicher ist, dass sie in einem Pflegeheim starb, ihre Kartons mit den Fotografien in einem Lagerhaus untergestellt hatte, dass sie irgendwann die Miete nicht mehr bezahlte und dass die Kisten so in einer Zwangsversteigerung landeten.

100.000 Negative, 20.000 Dia-Positive

Und von da an wird das Leben der anonymen Vivian Maier öffentlich und zum Stoff für viele Vermutungen und bald zu einem Dokumentarfilm. Denn im Sommer 2007 ersteigerte der junge Immobilienmakler John Maloof auf einer Auktion für 400 Dollar eine Kiste mit Negativen, weil er Chicago-Fotos suchte. Von Fotografie hat er keine Ahnung, aber er erkannte bei der Sichtung der 30.000 Negative, dass es sich um besondere Aufnahmen handelt und kaufte weitere Kisten, bis er rund 100.000 Schwarzweiß-Negative, rund 20.000 Farbdiapositive und jede Menge nicht entwickelter Filmrollen aus den fünfziger bis neunziger Jahren besaß.

Hinweise auf den Fotografen gab es nicht, bis Maloof im April 2009 in einer Kiste den Namen "Vivian Maier" auf einem Umschlag fand. Er googelte ihn und stieß auf eine wenige Tage alte Todesanzeige in der "Chicago Tribune": Vivian Maier sei friedlich gestorben. Annonciert hatten ihre Ziehkinder "John, Lane and Matthew".

Maloof startete damals einen Blog vivianmaier.com, verlinkte ihn mit dem Streetphotographer-Forum auf Flickr und fragte die Nutzer, ob "das Zeug was wert sei" und was er mit den Fotos tun solle - "außer sie an euch zu geben"? Hunderte von Reaktionen zeigten ihm, dass sein Fund sensationell war. Und dass die Fotos der burschikosen Frau mit kurzen Haaren, deren Selbstporträts sie immer mit umgehängter Rolleiflex und mit halbverschattetem Gesicht zeigen, den Vergleich mit ihren berühmten Kollegen wie Diane Arbus oder Robert Frank und Helen Levitt bestehen. Und von nun an häufen sich Angebote für Ausstellungen und Bücher und natürlich für Ankäufe.

Alle Fotos sind noch lange nicht entwickelt, geordnet und datiert, Maloof arbeitet inzwischen ausschließlich mit seiner Sammlung, er hat pro Motiv eine Auflage von 16 festgelegt, zwei verschiedene Größen bestimmt, Preise von mehr 1000 Euro aufgerufen.

Man kann nur hoffen, dass er der Arbeit der großartigen Vivian Maier gerecht wird.


Ausstellung "Vivian Maier | Twinkle, twinkle, little star...". Hamburg. Galerie Hilaneh von Kories . Stresemannstraße 384a, Hinterhof. Bis 28. 4.

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