Fotografie in Iran Schampuslaune unterm Tschador
Iran ist ein Chamäleon. Vergangenes Jahr erschien es im Kino in Gestalt einer mandeläugigen Trickfilmfigur. Und dieses Jahr trat es Romanlesern als Galerist mit Geheimdienstverbindungen in Erscheinung. Mit "Persepolis" und "Softcore" haben Comic-Zeichnerin Marjane Satrapi und Schriftsteller Tirdad Zolghadrs das Land Iran als wandelbares Konstrukt skizziert. Als einen kulturellen Raum, der sich mit seinen kosmopolitischen Bewohnern elegant zwischen westlichem Exil und vermeintlicher Heimat bewegt. Der seine Identität abseits von Atomstreit und religiösen Regimes verortet. Und dessen Kunstszene es lässig mit denen der westlichen Metropolen aufnehmen kann.
Vor kurzem erschien ein Bildband, der an diese Perspektive anknüpft. Das Titelbild von "Iranian Photography Now" zeigt eine schemenhaft angedeutete Party in einer Teheraner Wohnung; die Szene suggeriert lässigen Hedonismus und den Hauch des Verbotenen.
Herausgeberin Rose Issas scheint ebenfalls ein wenig in Champagnerlaune gewesen zu sein, als sie das Buch zusammenstellte. Denn zum einen ist ihr ein schillerndes Schmuckstück für den Coffee-Table gelungen. Zum anderen hat die Kunsthistorikerin spielerisch versucht, das breite Spektrum der zeitgenössischen iranischen Fotografie zu dokumentieren.
Ein ambitioniertes Unterfangen, denn wie trifft man aus der Fülle sämtlicher iranischer Fotografen eine repräsentative Auswahl? "Mit ziemlichen Gewissensbissen", gibt Issa zu und plant deshalb bereits einen Folgeband. "Es wäre schön, wenn eine Art Serie entstehen könnte. Aber ich mache mir nichts vor. Am Ende bleiben auch die Inhalte mehrerer Bücher nur Spiegel meiner persönlichen Wahrnehmung. Und die kann nur einen flüchtigen Eindruck vermitteln."
Dennoch hat Issa einen beachtlichen Spagat geschafft, indem sie die unterschiedlichsten Sichtweisen von iranischen Fotografen im In- und Ausland zusammengetragen hat. Manche von internationalem Ruf sind dabei, andere, die noch nicht etabliert sind - und schließlich Fotografen, die eigentlich gar keine werden wollten.
Javad Montazeri etwa sagt: "Ich wollte ursprünglich zum Film." Doch heute ist der 1968 in Teheran geborene Fotojournalist einer der bekanntesten Dokumentaristen seiner Heimat. Er fotografiert Journalistinnen, die in Tschador und Schutzhelm über Baustellen laufen oder angehende Polizistinnen, die im traditionellen Gewand Hauswände hochklettern.
"Ich erinnere mich noch sehr genau an die schlimmen Jahre des Krieges", erzählt Montazeri. "In dieser Zeit habe ich so unglaublich viel erlebt, dass es mir scheint, als läge bereits ein ganzes Leben hinter mir. Fotografie war schließlich doch das direkteste Medium, mit dem ich all die Geschichten erzählen konnte, die ich darin erlebt habe."
Ähnlich mögen es viele Vertreter der älteren Generation empfinden, die die islamische Revolution von 1979 und den Ersten Golfkrieg (1980 bis 1988) als Fotografen begleiteten - Abbas und Kaveh Golestan beispielsweise. Für die ganz jungen, die erst nach der Revolution geboren wurden, ist der Krieg nur eine vage Erinnerung, die in den Köpfen anderer lebt. Doch die Jüngeren nutzen die älteren Zeitzeugen einfach als Motive.
Das Medium Foto hat in Iran eine lange Tradition. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts etablierte sich die Porträtfotografie unter der Regentschaft von Nasseredin Shah. Im ausklingenden Jahrhundert nutzten europäische Orientalisten die Fotografie, Jahrzehnte später eroberte sie sich ihren Platz in der iranischen Bourgeoisie zurück und setzte sich dann in den Sechzigern als eigenständige Kunstsparte durch.
Öffentliches und privates Ich
Dann kam die islamische Revolution. "Aber auch das war für die Kunst nicht unbedingt eine unproduktive Zeit", sagt Rose Issa. "Trotz - und teilweise sogar wegen - der strengen Restriktionen haben Künstler auf pfiffigste Weise versucht, die Grenzen des Darstellbaren auszuloten. Zensur und Repressionen haben die meisten nur dazu ermutigt, mit neuen Ausdrucksformen zu experimentieren."
Heute, rund 30 Jahre danach, verhandelt ein Künstler wie Amirali Ghasemi noch immer das Überwinden von gesellschaftlichen Restriktionen. Seine Feierszene auf dem Buchcover gehört zu einer Serie mit dem Titel "Party", in der er den Kontrast zwischen Öffentlichkeit und Privatleben auslotet.
"Auch heute müssen die Menschen in Iran sich wieder strengen Regeln unterwerfen", erzählt Issa. "Sie müssen sich der schizophrenen Zweiteilung eines öffentlichen und eines privaten Ichs unterwerfen." So macht Ghasemi aus der Not eben Kunst und blendet die Gesichter und Hände seiner trinkenden und rauchenden Protagonisten Weiß über. Damit schützt er nicht nur ihre Identitäten - sondern erfindet nebenbei auch eine ganz spezifische Ästhetik.
"Ist doch grandios", sagt Issa. "Da kritisiert jemand mit einfachsten Mitteln die bestehenden Strukturen und erzählt am Ende doch die simpelste aller Geschichten: Boys meet girls and life goes on."
"Iranian Photography Now", herausgegeben von Rose Issa, Hatje Canz, 39,80 Euro