Erst fehlten zwei Buchstaben, dann die ganze Zeitung: Die von der SPD finanzierte "Frankfurter Rundschau" wurde gestern nicht ausgeliefert. Der Grund: Im Titelkopf stand nicht wie sonst "unabhängige" sondern "abhängige" Tageszeitung. Ein technischer Fehler? Oder ein politisch motivierter Sabotageakt?
Für viele Leser der "Frankfurter Rundschau" ("FR") war es ein unerwarteter Morgen ohne Zeitung: In den meisten Briefkästen und bei den meisten Zeitungshändlern außerhalb des Rhein-Main-Gebietes fehlte gestern das linksliberale Blatt. Stattdessen gab es nur eine kurze Notiz der Großhändler: Wegen eines Druckausfalles könne die Zeitung nicht geliefert werden, auch einen Nachdruck werde es nicht geben. Wie die "FR" heute mitteilte, waren 61.450 Exemplare der Deutschlandausgabe betroffen.
Der Verlag der "FR" hatte die Auslieferung großer Teile der überregionalen Ausgabe gestoppt und sogar bereits gelieferte Exemplare wieder eingesammelt - zum Glück,
denn es drohte ein katastrophaler Imageschaden. Ausgerechnet im Titelkopf der im Mai durch die SPD-Medienholding ddvg übernommenen Tageszeitung hatte sich eine folgenschwere Änderung eingeschlichen: "Unabhängige Tageszeitung" heißt es da eigentlich.
Gestern aber war das "un" plötzlich verschwunden: "abhängige Tageszeitung" stand dort damit nur noch. "Es handelt sich um einen technischen Fehler", betonte "FR"-Geschäftsführer Günter Kamissek gestern auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE. Eine absichtliche Änderung durch Mitarbeiter sei "auszuschließen".
Es wäre ein fast unglaublicher Zufall: Seit Monaten ist die Unabhängigkeit der "FR" in der Diskussion, weil das wirtschaftlich schwer angeschlagene Blatt von einem Partei-Unternehmen gerettet wurde. "Eine Partei kauft sich ihre Leser" hatte daraufhin etwa der "Zeit"-Herausgeber Michael Naumann getitelt: Die "FR" sei gerettet,
"aber ihre Unabhängigkeit hat sie verloren". Auch andere Beobachter bezweifeln zumindest, dass die Glaubwürdigkeit der "FR" durch die offensichtlichen politischen Motive der neuen Besitzerin unberührt bleiben kann.
Chefredaktion und Geschäftsführung der Frankfurter
Zeitung dagegen wehrten sich vehement gegen solche Behauptungen: "Die 'FR' folgt ihren Grundsätzen und niemandem sonst." "FR"-Geschäftsführer Kamissek kündigte an, den Vorfall im eigenen Blatt aufzuklären: Der technische Fehler sei "dokumentierbar".
Auf ihrer Website erklärt die "FR" nun, dass der Zeitungskopf im Redaktionssystem die falsche Hierarchie-Ebene erhalten habe. Deshalb sei die Vorsilbe "un" von einem Woody-Allen-Bild verdeckt worden. Künftig soll der Zeitungskopf deshalb besonders geschützt werden. "'Unabhängig' ist unantastbar", ließ das Blatt in seiner Mittwochsausgabe verlauten.
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