Französische Meister in Berlin Care-Paket für Kunsthungrige

Die Berliner Neue Nationalgalerie hat ein Luftpostpaket der besonderen Art erhalten. Der Absender: das Metropolitan Museum in New York. Der Inhalt: die Highlights der französischen Malerei des 19. Jahrhunderts. Die Erwartung: Eine Ausstellung der Superlative.
Von Nicole Büsing und Heiko Klaas

Schöne Franzosen werden von den meisten Berlinern eigentlich eher kritisch beäugt. Allzu übertriebene Eleganz wird in der nicht immer hundertprozentig stilsicheren deutschen Hauptstadt nämlich seit jeher weniger geschätzt als in anderen Weltmetropolen. Mit den Franzosen, die jetzt an die Spree gereist sind, dürften sich jedoch auch die Berliner anfreunden, schließlich bestehen die nur aus Farbe und sind auf Leinwände gemalt.

"Die schönsten Franzosen kommen aus New York" - so lautet das Motto der Mega-Ausstellung, die in diesem an Großereignissen wahrlich nicht armen Kunstsommer der gehypten Gegenwartskunst, wie sie in Venedig, Basel, Kassel und Münster gezeigt wird, eine solide Auswahl gut abgehangener französischer Malerei aus dem 19. Jahrhundert entgegen setzt. Die Werbetrommel wird für diese Schau seit Monaten gerührt, schließlich gilt es, anzuknüpfen an die legendäre MoMA-Schau, die im Sommer 2004 nicht weniger als 1,2 Millionen Besucher angelockt hat und den Freunden der Nationalgalerie ein sattes Plus von 6,5 Millionen Euro bescherte.

Das New Yorker Metropolitan Museum, immerhin eines der fünf wichtigsten Museen der Welt, baut zurzeit um und vergrößert seine Ausstellungsfläche um weitere 3000 Quadratmeter. Da die "schönen Franzosen" da nur im Wege gestanden hätten, lag es durchaus nahe, diese auf eine sommerliche Reise nach Berlin zu schicken. Schließlich war es Hugo von Tschudi, der, 1896 gerade zum Direktor der Nationalgalerie gekürt, als erster Museumsdirektor weltweit mit der Unterstützung privater Mäzene und Förderer Gemälde von Édouard Manet, Edgar Degas und Paul Cézanne erwarb. Seine französischen Kollegen waren damals etwas zögerlicher.

Unbekleidete Schöne

Was erwartet den Besucher, nachdem er einen Multimediatunnel passiert hat, der ihm das Jahrhundert der Industrialisierung, der bahnbrechenden Erfindungen und des aufstrebenden Bürgertums näher gebracht hat? Rund 140 Kunstwerke geben einen tiefschürfenden Einblick in die bürgerliche französische Gesellschaft des 19. Jahrhunderts und die Blütezeit einer experimentierfreudigen Malerei, die sich permanent neu erfand und so die Entwicklung der künstlerischen Moderne im 20. Jahrhundert entscheidend vorbereitete.

Gleich im ersten Raum treffen Klassizismus und Romantik aufeinander. Jean Auguste Dominique Ingres‘ "Odaliske in Grisaille" (um 1824-34) gehört wohl zu den ungewöhnlichsten Werken seiner Zeit. Das Gemälde zeigt einen Frauenakt in Rückenansicht. Die unbekleidete Schöne wendet dem Betrachter selbstbewusst den Kopf zu. Ihre Finger spielen beiläufig mit einem herabhängenden Vorhang. Der Clou des Bildes ist jedoch nicht nur das spielerisch-kokette, für Zeitgenossen provokante Motiv, sondern auch die malerische Umsetzung. Es besteht ausschließlich aus fein nuancierten Grautönen.

Die nach Stilrichtungen geordnete Schau arbeitet sich immer weiter voran in dieses aufregende Jahrhundert voller Umbrüche und künstlerischer Revolutionen. Im Kapitel "Realismus" etwa ist Honoré Daumier mit dem brauntonigen Gemälde "Ein Waggon dritter Klasse" (1862-64) vertreten. Es zeigt verhärmte, dicht zusammengequetschte Gestalten voller Müdigkeit und Ausgezehrtheit in einem dunklen Eisenbahnabteil. Kunst und Literatur, Philosophie und Kunstkritik gingen damals Hand in Hand. Charles Baudelaires Forderung nach einer "Peinture de la vie moderne" ("Malerei des modernen Lebens") blieb bei den Malern seiner Zeit nicht ungehört.

Unbändiger Kunsthunger

Die Schriftsteller und Poeten des 19. Jahrhunderts wie Émile Zola, Stendhal oder auch Marcel Proust betätigten sich alle auch als Kunstkritiker und förderten durch umfangreiche Zeitungstexte das Kunstinteresse ihrer Zeitgenossen. Aus interessierten und informierten Bürgern wurden so nicht selten Sammler. So entstand nach und nach ein sich selbst ernährendes System, das dem heutigen Boom der Gegenwartskunst nicht unähnlich war. Die regelmäßig stattfindenden Pariser Salons galten als große gesellschaftliche Ereignisse. Auf dem 1863er Salon wurden über 2000 Werke in dicht gedrängter so genannter "Petersburger Hängung" gezeigt.

Ein ganzer Raum der Berliner Schau ist Gustave Courbet, einem der Hauptvertreter des Realismus, gewidmet. Seine prallen, naturalistischen Aktgemälde wie "Die junge Badende" (1866) oder "Die Frau in den Wellen" (1868) bewegten sich jenseits des akademischen Ideals und mythologischer Verklärung. Courbets libertäre Frauen zeigen Achselhaare und breiten selbstbewusst die Arme aus. Für die meisten Zeitgenossen war so etwas schockierend und skandalös. Selbstverständlich dürfen Claude Monets impressionistische Darstellungen der Natur und des bürgerlichen Freizeitvergnügens nicht fehlen.

Wie kamen all' diese Kunstwerke ans Met?

Überhaupt strahlen viele der ausgestellten Bilder etwas ungemein Beruhigendes, eine zutiefst bürgerliche Unbekümmertheit und eine vom Sonnenlicht durchflutete, sommerliche Leichtigkeit aus: Auguste Renoirs idyllische Wiesenbilder mit Blumen pflückenden Mädchen, Camille Pissarros bäuerliche Landschaften oder Paul Cézannes Stillleben mit Früchten entführen in flirrende Sommerlandschaften voller Muße und Lebensfreude. Die Schau durchmisst das grandiose Jahrhundert der französischen Malerei mit wohl dosierten Schritten. Nichts wird dabei ausgelassen, übersprungen oder gar sträflich vernachlässigt: weder Paul Gauguins ebenso exotisch wie paradiesisch wirkende Bilder aus der Südsee, noch Vincent van Goghs berühmte "Schwertlilien" oder Georges Seurats markant vor den Augen flimmernder, gleichwohl kurzlebiger Pointillismus.

Schön, aber nicht leicht konsumierbar

Zum Ende hin überschreitet die Schau dann langsam, aber mutig den Zeitrahmen des 19. Jahrhunderts und wagt sich mit Pierre Bonnards Porträt seiner Lebensgefährtin in grüner Bluse, Henri Matisse" ornamental verschlungenen Interieurs mit Goldfischglas, Pablo Picassos blauen Bildern oder Amedeo Modiglianis in die Länge gezogenen Aktmodellen weit hinein ins Zwanzigste. Warum die Malerei jetzt plötzlich so aussieht, welche Vorwärtsbewegungen und Rückschritte, welche Generationenkonflikte und qualitativen Sprünge sie im 19. Jahrhundert durchlaufen hat, das alles hat der Besucher gerade durchwandert und idealerweise auch verstanden.

An der Auswahl der Exponate dürfte das nicht gescheitert sein - die ist ebenso grandios wie einmalig. Das Metropolitan kann da aus dem Vollen schöpfen. Subthema der Ausstellung ist daher auch die beeindruckende Sammlungsgeschichte eines Museums, das heute rund drei Millionen Exponate aller Epochen und Kulturkreise besitzt und mit rund fünf Millionen Besuchern pro Jahr zu den meistbesuchten öffentlichen Kunstsammlungen der Welt gehört. Das größte Konvolut der Franzosensammlung stammt aus einer Schenkung, die Louisine Havemeyer, die Witwe des Zuckerindustriellen Henry Osborne Havemeyer 1929 dem Metropolitan Museum vermachte. Fast 2000 Kunstwerke verschiedenster Provenienz, ganz überwiegend aber französische Malerei, gingen damals ans Met. Über die Jahrzehnte erfolgten weitere Erwerbungen überwiegend mit der tatkräftigen Unterstützung vermögender New Yorker Familien.

Ob sich der mittlerweile sprichwörtlich gewordene MoMA-Effekt mit dieser ebenso hochkarätigen wie klug zusammengestellten Ausstellung allerdings wiederholen wird, darf zumindest bezweifelt werden. So leicht konsumierbar wie "Das MoMA in Berlin" ist diese Ausstellung nicht. Aber wer weiß, vielleicht schlagen die "schönen" und sanftmütigen Franzosen aus dem Metropolitan ja am Ende sogar die handfesten Pop Artisten und abstrakten Expressionisten aus dem MoMA in der Besuchergunst des deutschen Publikums.


Die schönsten Franzosen kommen aus New York - Französische Meisterwerke des 19. Jahrhunderts aus dem Metropolitan Museum of Art, New York, Neue Nationalgalerie Berlin, bis 7. Oktober 2007. Weitere Informationen im Internet 

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