Margarete Stokowski

Schöne Feministinnen Die doppelte Zumutung

Wenn Aussehen auf Intelligenz trifft, überfordert das viele Männer. Noch viel schlimmer: Auch Frauen sind irritiert - und stellen das öffentlich zur Debatte.
Pamela Anderson bei der Chanel-Modeschau

Pamela Anderson bei der Chanel-Modeschau

Foto: Pascal Le Segretain/ Getty Images

Zu den Gelbwesten, die in Frankreich auf die Straße gehen, meldete sich unter anderem Pamela Anderson zu Wort. Anfang Dezember schrieb sie in ein paar Tweets, dass sie Gewalt zwar ablehne , aber:

"Was sind die Gewalt all dieser Leute und ein paar brennende Autos, verglichen mit der strukturellen Gewalt der französischen - und globalen - Eliten?"

Statt von den Bildern hypnotisiert zu sein, solle man lieber fragen, wo das alles herkomme , und sie antwortete direkt selbst: Es seien Menschen, die genug hätten von sozialer Ungleichheit .

Das ist keine wahnsinnig scharfe politische Analyse, aber dennoch war die Tatsache, dass Anderson sich äußerte, einigen Medien einen ganzen Text wert. "Diese knappe und doch ganz solide Einschätzung über die Protestwelle der französischen 'Gelbwesten'-Bewegung stammt nun nicht etwa von einem linksradikalen Aktivistenveteranen oder einem langjährig gedienten Politiker", schrieb das "Neue Deutschland" .

Als sei es verwunderlich, dass eine 51-jährige Frau, die sich schon lange gesellschaftlich engagiert - wie ziemlich viele andere Schauspielerinnen und Models - eine eigene Meinung zu einem politischen Thema hat.

Es ist natürlich genau dann überraschend, dass Anderson sich zu den Gelbwesten äußert, wenn man davon ausgeht, dass sich lange blonde Haare und große Brüste negativ aufs Urteilsvermögen auswirken. Oder wenn man glaubt, dass Frauen, die sich schön machen und damit Geld verdienen, auf alles Innere keinen Wert mehr legen können.

Obwohl wir seit Jahren eine Hochphase des Feminismus erleben, ist Schönheit nach aktuell üblichen gesellschaftlichen Maßstäben in vielen Köpfen immer noch ein Widerspruch zu Intelligenz, Eigenständigkeit und Meinungsstärke. Der Widerspruch tut vielen am allermeisten weh, wenn es um Feministinnen geht.

Schöne Feministinnen sind eine doppelte Zumutung.

Der jahrhundertealte, zwanghafte Reflex, Feministinnen hässlich zu nennen, scheitert an ihnen, und das muss man erst mal verdauen, denn dieser Reflex ist ein zentrales Merkmal antifeministischer Kritik. Wenn Feministinnen das Verhalten von Männern kritisieren, dann ist es angenehm, das darauf schieben zu können, dass sie keinen Mann abbekommen oder nicht oft genug mit Sperma gefüttert werden. Wenn Feministinnen sich gegen sexistische Werbung engagieren, heißt es oft, sie würden die Schönheit der Frauen auf Plakaten nicht ertragen und wären einfach neidisch. Und so weiter.

Diese Reaktionen sind nur allzu verständlich, wenn man bedenkt, dass es immer noch Menschen gibt, die Frauen dann am besten finden, wenn sie schön, sexuell verfügbar und leise sind. Dann tut es der Seele, wenn es eine gibt, ganz gut, sich versichern zu können, dass man es mit einer frigiden und hässlichen Frau zu tun hat. Eine hässliche Frau mit eigener Meinung ist weniger bedrohlich als eine schöne Frau mit eigener Meinung, denn bei der hässlichen Frau gibt es keinen Nutzwert, der verfällt, sobald sie den Mund aufmacht.

Die schöne und feministische Frau ist der blanke Albtraum so mancher Männer, die sich nachts ins Internet erleichtern. Irritierend aber ist sie oft auch für Frauen. Zwei zuletzt viel beachtete Texte über das scheinbare Problem der Vereinbarkeit von High Heels und Feminismus wurden von Frauen geschrieben.

  • Im Oktober schrieb Claudia Voigt im SPIEGEL  über die "Frage, wie Feminismus und Schönheit zu vereinbaren sind". Das ist eigentlich gar keine Frage. "Können feministische Ansichten von einer Frau mit makellosem Make-up formuliert werden?", fragte Voigt. Auch das: eigentlich ganz einfach. Natürlich können sie. "Feminismus und Schönheit bilden ein schwieriges Paar", schrieb Voigt, und obwohl die Gleichberechtigung schon weiter sei als vor einiger Zeit, "hat sich das Verhältnis von Feministinnen zur Schönheit nie wirklich entspannt." Dabei ist das Verhältnis von Feministinnen zur Schönheit nie das Problem gewesen, das Problem haben die meiste Zeit die Kritiker und Kritikerinnen des Feminismus. Wie viel man sich zurechtbiegen muss, um Feministinnen ein kompliziertes Verhältnis zu Schönheit zu unterstellen, ahnt man, wenn man Sätze liest wie: "Eine der erfolgreichsten Influencerinnen ist Tara, sie studiert Wirtschaftsingenieurwesen, kennt sich aber auch mit Mascara und Lidschattenfarben bestens aus." Warum "aber"? Oder diesen: "Hotpants sind keine Aufforderung für Anmache. Gleichzeitig sendet ihre Trägerin ein Signal, das sich nicht einfach ignorieren lässt." Welches Signal? "Es ist recht warm heute"?
  • Vor einem Jahr, mitten in der #MeToo-Debatte, forderte die Soziologin Barbara Kuchler auf "Zeit Online" : "Wenn aber - mit Marx - radikal sein heißt, ein Problem bei der Wurzel zu packen, dann müssen Frauen schon auf dieser tieferen Ebene dazu ansetzen, aus dem asymmetrischen Regime des Gutaussehenmüssens auszubrechen. Sie müssen aufhören, sich zu schminken, zu schmücken und zu stylen, sich selbst permanent als Körper zu präsentieren. (…) Der #MeToo-Diskurs muss zu einem #OhneMich-Diskurs weiterentwickelt werden, der die Botschaft verkündet und verbreitet: 'Ich mache dieses Spiel nicht mehr mit. Ich tue nicht mehr für mein Aussehen als der durchschnittliche Mann, und ich stelle meinen Körper nicht stärker zur Schau als der durchschnittliche Mann.'"

Als würde irgendeine Lösung für feministische Fragen darin bestehen, dass Frauen ihr Verhalten an das der Männer anpassen. Als sei eine besonders authentische Feministin nur eine, die sich nicht schminkt und am besten nicht häufiger wäscht als dringend zur Vermeidung schwerer Hautkrankheiten notwendig ist - abgesehen davon, dass es ausgerechnet im Zuge von Debatten um sexualisierte Gewalt um Himmels willen kein feministischer Zug ist, hauptsächlich von Frauen zu erwarten, dass sie ihr Verhalten ändern.

Beide Autorinnen, Voigt und Kuchler, stellten die Freiwilligkeit des Schminkens und Stylens infrage, und demzufolge den Grad der Freiheit der jeweiligen Frauen. Dabei ist es überhaupt nicht notwendig, besonders zurechtgemacht zu sein, um über Äußerlichkeiten wahrgenommen zu werden.

Die Autorin Ronja von Rönne  teilte vor Kurzem einen Zeitungsausschnitt auf Instagram, in dem es hieß:

"An diesem Freitagabend trägt Ronja von Rönne keinen Bubikragen. Zu ihrer Lesung im Kulturzentrum Merlin im Stuttgarter Westen erscheint sie ohne ihr Markenzeichen. Zu den weißen Turnschuhen und der schwarzen Jeans trägt sie ein gestreiftes Shirt. Doch immerhin die Haare sind zu dem typischen Ronja-von-Rönne-Dutt gebunden, aus dem ein paar Strähnen herausfallen."

Dazu schrieb Ronja von Rönne:

"Ich frage mich echt, wie Journalisten mal über meine Lesungen berichten, wenn ich 70 bin und aussehe wie ne Luftmatratze ohne Luft."

In dem Text  stand zwar: "Hinter dem Hype um die 26-jährige Autorin und Moderatorin steckt mehr als ihr Alter und ihr gutes Aussehen." - aber die Unterstellung muss man ja erst mal machen, um sie zu entkräften.

Über das Aussehen von Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, wird geredet, egal ob sie geschminkt sind oder nicht. Wenn aus ihrer Schönheit kein Widerspruch zu ihrer politischen Haltung konstruiert wird, heißt es manchmal: "Feminismus ist jetzt sexy", aber Feminismus muss überhaupt nicht sexy sein, solange das von Horst Seehofer auch niemand erwartet.

Einer meiner Lieblingskommentare im SPIEGEL-ONLINE-Forum stand unter einem Text von mir zur #MeToo-Debatte und hatte damit eigentlich nichts zu tun. Ich hatte mein Autorinnenfoto gewechselt und damit einen Leser offensichtlich verwirrt. "Ein neues Bild von Fr. Stokowski", stellte er fest. "Nicht mehr dumpf griesgrämig, sondern hübsch, adrett, liebenswürdig, einfach weiblich. Alle Achtung. Gegen die bösen Männer zu schreiben ist ja nun ihr Beruf, das muß sie ja weitermachen um Geld zu verdienen, aber es scheint fast so, als hätte ein persönliches Umdenken stattgefunden. Einfach nur Frau zu sein und die Geschlechter und ihre Unterschiede als selbstverständlich zu betrachten und sich in die vorbestimmte Rolle zu fügen ist vielleicht doch besser als eine frustierte Emanze zu sein, die ewig unzufrieden gegen die natürliche Ordnung ankämpft." Wie manipulierbar kann man sein?

Es stimmt, dass es zur Geschichte des Feminismus gehört, dass bestimmte Attribute zeitweise als Symbole der Unterdrückung galten und in "Freedom Trash Cans" geschmissen wurden: unter anderem unbequeme BHs, Wischmops, Make-up, Zeitschriften. Aus diesen Gegenständen aber ausgerechnet diejenigen herauszupicken, die mit Schönheit zu tun zu haben und heutigen Feministinnen Jahrzehnte später um die Ohren zu hauen, ist ein eigenartiger Move.

Es stimmt, dass es ein befreiender Zug sein kann, sich von Schönheitsnormen zu befreien. "Ich schreibe aus dem Land der Hässlichen für die Hässlichen", so beginnt Virginie Despentes ihr Buch "King Kong Theorie". Gleichzeitig kann es aber genauso befreiend sein, den Überraschungseffekt zu nutzen und als bildschöne, perfekt geschminkte Frau einem Mann einen Korb zu geben, der glaubt, Feministinnen 100 Meter gegen den Wind zu erkennen und alle anderen gefahrlos angraben zu können.

Vor allem aber muss - und kann - man sich nicht entscheiden, ob man nun zu den Schönen oder Nichtsoschönen gehören will. Der vermeintliche Streit zwischen Feminismus und Schönheit ist ein konstruierter Konflikt, der sowohl aus Vorurteilen gegen Feministinnen als auch aus Klischees über besonders hübsche Frauen entsteht.

Es ist ein Pseudokonflikt, der es immer noch einigen Frauen erschwert, sich als Feministinnen zu bezeichnen. Sie sind für Gleichberechtigung und wollen politisch aktiv sein, aber das Schönmachen nicht aufgeben - aber das Gute ist: Sie müssen es nicht. Sie können sich schminken und stylen wie sie wollen, denn es ist immer noch ein zentraler Bestandteil von Feminismus, dass Frauen aussehen können sollen, wie sie wollen, und damit alles tun, was sie wollen.

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