Gebührenurteil Sieg für den Staatsfunk
Wer heute Morgen die Ausführungen des Verfassungsgerichts zur Rundfunkgebühr verfolgte, den musste das Neujahrsansprache-1986-Syndrom überkommen: Falsche Kassette eingelegt? Aufzeichnung von vor 20 Jahren? Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier las ein Urteil vor, das vor Rundfunk-Orthodoxie und Privatwirtschafts-Ressentiments strotzte. Die seit Dekaden bekannte medienpolitische Leier aus Karlsruhe: Vielfaltsdefizite, Suggestivkraft, Marktversagen - alles spreche für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Irgendwann bezeichnete Papier TV gar als "Fernsehfunk" - so modern wie dieser Begriff war das gesamte Urteil.
Neben ihm saß Wolfgang Hoffmann-Riem, beim Verfassungsgericht zuständig für Medienrecht. Vor seiner Berufung zum Verfassungsrichter war er jahrelang als Chef des Hamburger Hans-Bredow-Instituts den öffentlich-rechtlichen Anstalten verbunden. Hoffmann-Riem ist sich nicht zu schade, als federführender Verfassungsrichter Festreden auf NDR-Jubilarien zu halten. Für befangen hält er sich nicht. Die ARD kann sich auf ihn verlassen. Das heute verkündete Urteil stammt weitgehend aus seiner Feder. Seitenweise Hoffmann-Riem-Sound, als könne er es kaum erwarten, bis er die Medienpolitik in ihre Schranken weisen konnte.
Die ARD hatte sich beim Verfassungsgericht beschwert, weil die Ministerpräsidenten die Höhe der Grundgebühr abweichend vom Vorschlag der Kommission für die Ermittlung der Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) um 21 Cent nach unten auf 17,03 monatlich korrigiert hatten. Damit habe die Medienpolitik die Rundfunkfreiheit verletzt.
Das Verfassungsgericht gab den Klägern heute Recht. Die Rundfunkgebühr dürfe kein Mittel der Medienpolitik sein insbesondere kein Mittel zur Steuerung der Gewichte im dualen Rundfunksystem mit öffentlich-rechtlichen und privatkommerziellen Anbietern.
Papiertiger am Rechenschieber
Das Verfassungsgericht vertraut hier ganz auf die "fachgerechte Ermittlung" durch die KEF, ein mit Finanzfachleuten besetztes Gremium, die nur finanziell, aber nicht inhaltlich prüfen dürfen. Dass dies die KEF praktisch zu einem Papiertiger macht, interessiert das Verfassungsgericht nicht. Als die Medienpolitiker nun argumentierten, die KEF habe das Sparpotential der öffentlich-rechtlichen Anstalten nicht ausgeschöpft, entgegnet das Verfassungsgericht: Das kann gar nicht sein. Warum es aber trotz Absenkung der Rundfunkgebühr offensichtlich zu keiner Unterversorgung kam, vermag das Verfassungsgericht auch nicht zu erklären.
Auch interessiert es sich nur wenig für Phänomene, wie sie Ex-Sat.1-Chef Roger Schawinski in seinem jüngsten Buch schildert. ARD und ZDF bestücken ihr Nachmittagsprogramm mit Kitsch-Telenovelas. Solche Formate würden, so Schawinski, 100.000 Euro pro Stunde kosten - mehr als doppelt so viel wie bei den privaten TV-Kanälen. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten klotzen mit Gebührenmitteln, um am Nachmittag Quote mit Hyperkommerzformaten zu machen die KEF kümmert das nicht.
Auch die EU-Kommission meinte kürzlich, deutliche Zeichen für "Überkompensation und Quersubventionierung" bei den Öffentlich-Rechtlichen ausmachen zu können. Die Verfassungsrichter interessiert das augenscheinlich wenig. Sie sind der Meinung, die Gebührensumme von derzeit über sieben Milliarden Euro ließe sich in einem objektiven Prüfverfahren ermitteln. Verfassungsrichter sehen offenbar wenig fern. Und Effizienz interessiert sie nur am Rande.
Guter Rundfunkrat ist teuer
Die öffentlich-rechtlichen Anstalten bekommen mit dem Urteil noch einmal bestätigt, wie absurd kleinteilig und unübersichtlich die deutsche Medienpolitik ist. Das Budgetrecht im öffentlichen Rundfunkwesen ist an eine Kostenprüfer-Kommission ausgelagert, die Inhalte und Ausgaben nicht zusammendenken darf. Der Gesetzgeber ist wiederum bislang kaum in der Lage gewesen, die Anstalten mit juristischen Mitteln darauf festzulegen, was und was sie nicht senden sollen. Wenn der Gesetzgeber sagt, es solle keinen öffentlich-rechtlichen Nachrichtensender geben, dann erklären die Anstalten ihren geplanten Nachrichtensender EinsExtra eben zum "Informationsprogramm mit stündlichen Nachrichten".
Das Grundproblem ist die machtpolitische Leerstelle zwischen Politik und Anstalten. Aus verfassungsrechtlichen Gründen darf der Staat nur eine beschränkte Rechtsaufsicht über die Anstalten ausüben. Konkret kontrollieren sollen die Rundfunkräte eine Lachnummer der deutschen Medienpolitik. Die Rundfunkräte sind als schwache interne Aufsichtsorgane längst von den Intendanten vereinnahmt worden - unfähig, die Interessen der Allgemeinheit gegen die der Organisation durchzusetzen.
Das Ergebnis ist eine Selbstermächtigung und Arroganz der Anstalten, die sich in Juristen-Lyrik jenseits aller Programmrealität hüllt. So dichtet die ARD in ihrer Digitalstrategie, ohne diese sei "die verfassungsrechtlich geforderte Informationsfreiheit" im Internet nicht gewährleistet.
Reif für die Insel
Nach dem Karlsruher Urteil herrscht für die deutsche Medienpolitik mehr Handlungsbedarf denn je. Die bisherige Aufsicht der Öffentlich-Rechtlichen funktioniert nicht und wurde nun erneut vom Verfassungsgericht geschwächt. Es gilt, zum Vorbild BBC zurückzukehren. Die war schon einmal Modell für die ARD bevor diese föderalistisch und verfassungsrechtlich aus dem Ruder lief. Die Briten haben inzwischen den BBC Trust mit der Aufsicht über die BBC beauftragt. Eine Art Aufsichtsrat, der - von der Regierung ernannt - die BBC kontrolliert: inhaltlich und finanziell.
Solch eine Institution wäre auch in Deutschland und auch im gegebenen verfassungspolitischen Rahmen denkbar. Der BBC Trust hat die BBC auf den Weg der "public value"-Orientierung gebracht, ein Reformprogramm für mehr Programmqualität und inhaltliche Fokussierung. Dazu ist die ARD in ihrer derzeitigen Struktur gar nicht in der Lage. Sie reagiert auf die gestiegenen Anforderungen mit Selbstherrlichkeit - dabei dürfte die Gesellschaft viel mehr Selbstkritik erwarten.
Ein führender Medienpolitiker sagte kürzlich: "Demut? Das kann die ARD nicht." Das heutige Verfassungsgerichtsurteil hat daran nichts geändert.