"Gefährliche Liebschaften"-Premiere Planlos in die Pleite

Im Briefroman "Gefährliche Liebschaften" geht es um Sex, Macht und Gewalt. Regisseurin Karin Henkel hat den Stoff fürs Deutsche Theater in Berlin adaptiert - und durch Mangel an Dramaturgie verhunzt. Schade: Die Darsteller hätten Besseres verdient.
Von Christine Wahl

Schauspieler haben einen harten Beruf. Wie krude die Gedanken auch immer sein mögen, die einem Regieteam durch den Kopf schießen (wobei wir natürlich generell voraussetzen, dass da etwas schießt): Sie sind es, die am Ende dafür einstehen müssen.

Im Falle der "Gefährlichen Liebschaften", Karin Henkels Regiedebüt am Deutschen Theater Berlin, ist diese Herausforderung besonders groß. Hier gilt es, eine Art Animationskindertheater mit Ganzkörperkaninchenkostümen in Einklang zu bringen mit einem Theaterleseprobentisch, an dem Damen ohne Tierkostüme Teile aus Choderlos de Laclos' besagtem Briefroman "Gefährliche Liebschaften" in Mikrofone sprechen. Immerhin setzen sich die Kaninchen später dazu und intrigieren die Tischdamen in unheilvolle Beziehungen hinein.

Dabei ist die Tatsache, dass das eine Tier namens Merteuil einen Taillengürtel mit gewagter Goldschnalle und das andere, Valmont, ein schwarzes Jackett über dem voluminösen Fell trägt, von gewaltigem Symbolgehalt. Denn bevor die Kaninchen am Lesetisch Platz nehmen durften, mussten sie eine Art Evolutionsslapstick im Zeitraffer demonstrieren.

Genital? Egal

Gleich zu Beginn des Abends waren zwei fleischfarbene Beutel in Kuheutergröße vom Schnürboden gefallen, die sich das eine Kaninchen per Klettverschluss unter Ausstoßung in Brusthöhe befestigte.

Bald darauf regnete ein ebenso fleischfarbenes dreibeuliges Accessoire herab, das dem anderen Kaninchen - wer hätte das gedacht - zum Penis gereichte. Fortan gibt es neben Adam-und-Eva-Sündenfall-Appeal auch jede Menge Playboy-Bunny- und Stammtischspruch-Assoziationen ("Rammeln wie die Karnickel"). Was die Metaphernbreite betrifft, gilt: Alles kann, nichts muss. Beliebigkeit ist das Gesetz des Abends.

Henkels Planlosigkeit überrascht insofern, als der Stoff als Steilvorlage für dramaturgische Verdichtungen gilt. In eiskalter Analytik knüpfen Merteuil und Valmont in Laclos' Roman Beziehungen zu jungfräulichen Nichten, Ex-Lovern und tugendhaften Damen, um sie dann knallhart zerstören.

Bei Laclos geht es um Intelligenz. Erotik und Liebe sind nur Mittel zum Zweck des größtmöglichen Vernichtungswerks. Während der Autor Christopher Hampton daraus eine weichgespülte Film- und Theaterfassung destillierte, ging Heiner Müller in seiner zynisch zugespitzten Bearbeitung "Quartett" den umgekehrten Weg. Er extrahierte aus dem Briefroman den zwischengeschlechtlichen Vernichtungskampf als eine Art Endlosschleife der Gattungsgeschichte.

Bei Henkel stolpert die Inszenierung planlos herum: Wenn Valmont mal wieder auf dem Sofa über die brave Nichte (Angelika Richter) hergefallen ist oder mit seinem Kaninchenkostüm die Merteuil bedrängt, fällt immer wieder unvermittelt der Heiner-Müller-Satz: "Denken Sie manchmal an den Tod?" Da wird man das Gefühl nicht los, hier hätte ein kundiger Beisitzer bei den Proben von unten gerufen: Leute, das wird jetzt hier gerade zu seicht, macht doch mal wieder ein bisschen Heiner rein!

Tapfere Mimen

So versandet Henkels Anspruch, die zwischenmenschlichen Beziehungen als zeitlosen Krieg zu zeigen, im Intellektualisierungszwang - letztlich eine Kaschierung von Konzeptlosigkeit. Da können Merteuil und Valmont im Lauf des Abends ihre Strippenzieherposition noch so illustrativ aufgeben, aus ihrem Versuchskaninchenfell steigen und zu blutüberströmten Menschen werden: Man erfährt nicht, was die Regisseurin zu diesen Motiven bewegt haben mag.

So gesehen hat sie verdammtes Glück, dass unter den Kaninchenkostümen zwei erstklassige Darsteller stecken: Die amtierende "Schauspielerin des Jahres" Constanze Becker als Marquise de Merteuil und Wolfram Koch als Vicomte de Valmont retten unter professioneller Abrufung ihrer Qualitäten das Stück vor der totalen Pleite. Gleiches gilt für die Akteurinnen Meike Droste, Heidi Ecks und Angelika Richter am Lesetisch.

Koch nutzt seinen Schaumstoffpenis tapfer als groteskes Utensil; Constanze Becker reaktiviert ihre präzise Fähigkeit zur Härte, für die man sie schon in anderen Inszenierungen bewunderte. Und Meike Droste leiht ihrem tugendhaften Valmont-Opfer Madame de Tourvel jene tolle Ruppigkeit, die einem schon in Jürgen Goschs Tschechow-Inszenierung "Die Möwe" den Atem raubte.

Selten brach am Deutschen Theater am Ende ein derartiger Buh-Chor über ein Regieteam herein. Nicht nur die DT-Crew, die das Haus nach langwierigen Renovierungsarbeiten mit dieser Inszenierung wieder eröffnete, hatte sich die Einstandfeierlichkeiten anders vorgestellt.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten