
Gegen den Gruppendruck Ich bin ich

Guten Tag, ich bin Frau Berg. Ich bin gruppenfluid.
Keiner Gruppe zugehörig außer der von außen definierten. Ich bin äußerlich eine Frau. Also irgendwie. Innerlich bin ich mir da unsicher. Ich wache nicht auf und denke: Wow, was bin ich wieder Frau heute. Weder habe ich eine Ahnung, wie man sich als Frau zu fühlen hat noch interessiert es mich. Erstaunlich, nicht wahr?
Wenn es mich schon so wenig interessiert, warum spielt es dann in der sogenannten Gesellschaft eine Rolle? Ich bin also eine Frau, und weil da kein Weg dran vorbei führt Feministin, denn es leuchtet mir nicht ein, warum man einen Teil der Menschen als unwichtiger erachtet als den anderen. Außer der Angehörigkeit zu einer Menschengemeinschaft, die per Geburt entschieden wurde, weiß ich nicht, zu wem ich mich zugehörig fühlen soll.
Politisch nerven mich die meisten irgendwann, außer Faschisten haben auch alle mal mehr und mal weniger recht, der Verzicht auf Rauschmittel oder die Vorliebe für schwarze Kleidung scheint mir zu dürftig, um diesen Zustand zu einem Lebensinhalt zu machen, und meine Interessen wechseln mit jedem neuen Buch. Vielleicht liegt meine Unfähigkeit, mich irgendwo zugehörig zu fühlen, in der Not begründet, die man als kleiner Mensch erlebt, da man nicht weiß, was man will, außer zu einer Gruppe zu gehören, die einen jedoch ausschließt.
Ein Hoch den Gruppen
Wie später in der Welt der Erwachsenengruppenidentität, geht es auch bei Kindern schon um Homogenität - da finden sich die ordentlichen, die SportlerInnen, die Korrekten, die aus den prima Familien. Ausgeschlossen sind die anderen. Die sich jedoch nie zu einer Formation der Freaks zusammenschließen, zu stark die Erkenntnis, bereits als Kind, allein zu sein.
Später geht es weiter. Menschen finden sich in Ansammlungen kleiner gemeinsamer Nenner, die Religion, das Land, das Viertel, die Musik, der Fußballverein. Sie finden sich in politischen Ansichten, in Golfklubs und Klassen, und folgen dem Ruf der Evolution, um Anderes, Fremdes, auszuschließen. Ein Hoch den Gruppen. Sie machen die Welt überschaubar. Sie geben Heimat und ein wohliges Gemeinschaftsgefühl. Man teilt die gleichen Erinnerungen, ist verbunden durch eine ähnliche Weltsicht, und vor allem machen Gruppen, denen man angehört, klar, wo der Feind steht.
Der Feind ist außerhalb der Gruppe. Im Kleinen heißt das - es ist der Anhänger der anderen Fußballmannschaft. Es ist der Fleischesser, der aus dem falschen Viertel der Stadt, der anderen Stadt, der mit der anderen Religion, der in der falschen Partei. Die Gruppenzugehörigkeit vereinfacht das Leben radikal. Aber leider - man kann es sich nicht aussuchen.
Seine Werte allein zusammensuchen
Gruppenfluid zu sein, egal ob freiwillig oder weil man sich einfach für keine geeignete Zugehörigkeit entscheiden kann, erschwert das Leben kolossal. Entweder zieht man in eine Höhle, und ist dann stolz auf sie, wenn es einem schon nicht gelingen mag, in irgendeiner Form stolz auf seine sportlichen Fähigkeiten zu sein, oder sich einer Kultur zugehörig zu fühlen, deren Kanon von irgendwelchen Leuten bestimmt wurde, die man auch nicht kennt.
Gruppenfluid zu sein heißt, man muss sich seine Werte allein zusammensuchen. Ich schließe in meinem privaten Kanon nur aus, wer andere ausschließt, verachtet, hasst, töten will, anspucken will, bekämpft. Die anderen sollen mal machen. Sie sollen stolz auf ihren Wald sein oder denken, dass ihre Gruppe allen anderen Gruppen aus diversen Gründen komplett überlegen ist. Sie sollen sich freuen, Menschen gefunden zu haben, die ihre Meinung bestätigen, und bei denen sie übernachten können, wenn ihre Wohnung abgebrannt ist.
Es muss gut sein zu wissen, wo man hingehört, beziehungsweise, sich mit der Idee zu trösten, nicht allein zu sein. Denn was hilft es zu wissen, dass man letztlich allein ist, dem Universum egal, vermutlich auch der Gruppe, der man sich zugehörig fühlt? Nur in den seltensten Fällen werden sie einen beim Sterben begleiten, aufnehmen, aufrichten, wenn man nicht mehr weiter weiß, durch eine falsche Bewegung, durch die einem klar wurde, dass es keine Sicherheit gibt, dass man nichts ist, so schnell ersetzbar, vergessen, und weiter geht das Leben ohne einen. Gruppenfluid zu sein macht es nicht besser. Denn die Erkenntnis, dass alle recht haben, alle Unrecht, fast alle ratlos sind, macht es ja nicht einfacher. Das Bewusstsein um die eigene Unwichtigkeit.
Die zum Glück auch ein wenig lustig ist.