Gender-Debatte Die gekränkten Kritiker

Leugnet die Gender-Theorie die Biologie, ähnlich wie die Kreationisten die Evolution? Selbstverständlich nicht. Die wahren Ideologen sind ihre Kritiker.
Von Lilian Peter

"Unsere deutschen Kreationisten" nennt Jan Fleischhauer in seiner SPON-Kolumne auf SPIEGEL ONLINE Vertreter der Gender-Theorie, und schließt sich damit dem für immer wieder nicht besonders differenzierte, aber durchaus unterhaltsame Ausfälle gegen die "Pseudowissenschaften" bekannten Biologie-Professor Ulrich Kutschera aus Kassel an.

Dieser warnte kürzlich davor, man stünde "kurz vor einer Genderisierung der Biologie"; ähnlich wie die Kreationisten in den USA, wollten - so der Unterton auch bei Fleischhauer - Leute, die sich mit Gender-Theorie beschäftigen, die Biologie leugnen. Stimmungsmacher wie die Genannten klingen in ihren Angriffen gerade so, als sei die Gender-Theorie angetreten, die Biologie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zu stürzen und sämtliche Biologie-Professoren in dunkle Keller zu sperren (wahlweise: zu kastrieren), um ihre Lehrstühle mit Gender-Theoretiker_innen zu besetzen, die hörigen Student_innen ihre Ideologie einflößen, notfalls auch gegen deren Willen. Klingt nach Verschwörungstheorie? Ist es auch.

Das Geschlecht ausschließlich sozial konstruiert? Unsinn.

Was Leute wie Fleischhauer und Kutschera nicht merken: In Wahrheit sind sie es, die einer Ideologie aufsitzen. Ihr (einziges) Argument ist: Natur ist nicht aus Kultur ableitbar. Das ist natürlich völlig richtig. Nur: Das Gegenteil würde auch niemand behaupten. Dass die Annahme der Genderforschung sei, das Geschlecht sei ausschließlich sozial konstruiert und bringe dann auf wundersame Weise körperliche Geschlechtsmerkmale hervor, ist natürlich blanker Blödsinn. Die feministische Theoretikerin Judith Butler führte ja gerade den Unterschied zwischen sex und gender ein, um auf eine Differenz zwischen biologischem Geschlecht und sozialer Geschlechtsidentität aufmerksam zu machen.

So wenig, wie Natur aus Kultur ableitbar ist, ist aber umgekehrt Kultur aus Natur ableitbar; dass nur die Biologie etwas zum Thema Gender sagen könne, ist weder ein Naturphänomen, noch ein Ergebnis biologischer Forschung, sondern eine Meta-Behauptung, die auf unhinterfragten Annahmen (ergo: einer Ideologie) über die betreffende Wissenschaft beruht.

Der Spaß hört auf, wenn eine Ideologie dazu benutzt wird, in politischer Hinsicht Stimmung zu machen. Die implizite Forderung ist schließlich nicht weniger als ein "Weg mit den unsinnigen Gender-Lehrstühlen!", während man so tut, als wären es Gender-Theoretikerinnen, die ein "Weg mit den unsinnigen Biologie-Lehrstühlen!" fordern würden, wogegen man sich seinerseits nur zur Wehr setze.

Die Genderforschung als Feindbild

Das Interessanteste an der Stimmungsmache gegen die Genderforschung ist jedoch, dass sie, obwohl man sie für überflüssig und lächerlich hält (wofür ein "Argument" sein soll, dass die Mehrzahl der entsprechenden Lehrstühle von Frauen besetzt wird), zu einem riesigen, imaginären Feindbild aufgebaut wird, dem man eine bedrohliche subversive Macht unterstellt.

Fleischhauer spricht von einer "Kränkung" durch die Biologie, gegen die sich die Gender-Theorie zu wehren versuche; wirklich gekränkt sind jedoch eher Kutschera, Fleischhauer und all jene, die noch nicht darüber hinweggekommen sind, dass die jahrtausendealte männlich dominierte kulturelle Ordnung endlich hinterfragt wird. Diese Kränkung schließt übrigens Frauen keineswegs aus; eine kulturelle Ordnung bietet schließlich Sicherheit, Orientierung und Identität für alle daran Beteiligten, und Verteidiger finden sich somit stets unter allen, die ihre Identität als bedroht erachten (was also Männer oder auch Frauen sein können).

Dass in der Praxis der Verschiebung der diskursiven Machtverhältnisse vielleicht bisweilen über die Stränge geschlagen wird - geschenkt. Historisch betrachtet dürfen Frauen erst seit sehr kurzer Zeit mitspielen im gesellschaftlichen Diskurs, und seit noch kürzerer Zeit auch Menschen, die sich weder als Frau, noch als Mann einordnen würden, oder auch Menschen, deren biologisches Geschlecht nicht ihrer Geschlechtsidentität, oder deren sexuelle Orientierung nicht der 'Norm' entspricht. Was, in aller Welt, ist so schlimm daran, dass man ausprobiert, Freude hat am Spiel mit den vermeintlich ein für allemal festgeschriebenen Zuordnungen und Grenzen, auch sprachlich?

Die Kränkung durch den Verlust des männlichen Diskursvorrechts ist das eine; es gibt aber noch eine andere Kränkung, die in der öffentlichen Gender-Debatte eine Rolle spielt.

Denn sobald Wissenschaft mit Begriffen operiert, von denen es zumeist auch ein Alltagsverständnis gibt, entsteht der Anspruch, dass dazu auch jeder etwas zu sagen haben darf oder muss. Darf sich Anna Normalbürgerin etwa nicht zum Thema Gender äußern? Muss man dafür Wissenschaftler sein?

Muss man natürlich nicht - aber dass es sich um eine Kompetenzüberschreitung handelt, wenn man die persönliche Meinung mit einer Forderung nach Abschaffung eines ganzen Wissenschaftszweiges verknüpft, sollte auch nicht extra erwähnt werden müssen. Oder hören wir sonst demnächst die Forderung nach einer Abschaffung der Physik an den Unis, weil dort so offensichtlicher Unsinn gelehrt würde wie die Relativität von Raum und Zeit, die ja beim bloßen Blick auf die Uhr zu widerlegen sei?

Zur Autorin

Lilian Peter kommt als Lehrbeauftragte in Philosophie/ Kulturwissenschaft an der FernUniversität in Hagen immer wieder in den intellektuellen Hochgenuss des Lesens der Texte Judith Butlers; arbeitet ferner als freiberufliche Autorin und Übersetzerin (derzeit eines Buches des französischen Philosophen Franck Fischbach). Intime Kennerin des generischen Maskulinums.

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