
Gendergerechte Sprache Wer ist hier hysterisch?
Der Dortmunder Verein Deutsche Sprache ist auf seine innere Bierkiste gestiegen und hat einen "Aufruf zum Widerstand" veröffentlicht: "Schluss mit dem Gender-Unfug!" heißt der offene Brief, in dem sich darüber beschwert wird, dass jetzt überall Frauen und non-binäre Leute die Sicht versperren. Horror. "Der Große Duden treibt die Gendergerechtigkeit inzwischen so weit, dass er Luftpiratinnen als eigenes Stichwort verzeichnet und Idiotinnen auch." Mein Gott, "Idiotinnen", so weit ist es gekommen, früher konnten Männer noch ganz unter sich Idioten sein, und jetzt das. "Und dazu kommt in jüngster Zeit als weitere Verrenkung noch der seltsame Gender-Stern."
Gegen solche "Verrenkungen" sind hundert aufrechte Erstunterzeichnerinnen und -unterzeichner aufgestanden. Die meisten kennt man nicht unbedingt, und die, die man kennt, lesen sich wie eine Liste von prominenten Wutbürgern, die nur noch keine Zeit hatten, einen AfD-Mitgliedsantrag auszufüllen . Hans-Georg Maaßen ist darunter, Peter Hahne, Roland Tichy, Wolf Schneider, Bastian Sick, Dieter Nuhr, Dieter Hallervorden, vier Günt(h)ers, drei Gerhards, drei Helmuts, zwei Horsts. Und dann noch Sibylle Lewitscharoff, die auch direkt in der "Welt" erklärte, wie schlimm es inzwischen ist mit dem Gender-Unfug , und die damit vermutlich an den Erfolg ihrer Dresdner Rede von 2014 anknüpfen will, in der sie erklärte, dass ihr Kinder, die durch künstliche Befruchtung entstehen, gar nicht wie richtige Menschen vorkommen (" sondern zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas. Das ist gewiss ungerecht, [...] aber meine Abscheu ist in solchen Fällen stärker als die Vernunft.")
"Und der Irrsinn nimmt kein Ende"
Abscheu scheint ein stabiles Motiv bei Lewitscharoff.
"Allein das Wort geschlechtsgerecht verströmt einen unangenehmen Geruch, als müsse man Gummihandschuhe überziehen, um die Vagina oder den Penis zu untersuchen", schreibt sie nun in der "Welt".
Ich weiß nicht, ob es je ein größeres Missverständnis über den Feminismus gab als die Idee, irgendwer würde Untenrumuntersuchungen durch Sibylle Lewitscharoff fordern, aber man sollte sich davon nicht abschrecken lassen, denn ihr Text ist so voller Perlen der Widersprüchlichkeit, dass es lohnt, ihn ganz zu lesen.
Mindestens drei Klischees über Feministinnen halten sich wacker:
- Sie wollen alles zensieren, was ihnen nicht passt,
- sie fühlen sich ständig unterdrückt und
- regen sich über Kleinigkeiten auf.
Lauter unangenehme Eigenschaften, die Lewitscharoff und ihre Mitstreiter sich offensichtlich auf keinen Fall von den Feminazis wegnehmen lassen wollen.
"Und der Irrsinn nimmt kein Ende. Jede Minderheit skandalisiert inzwischen ihre eigenen Pfuiwörter."
Jede Minderheit, ja, so auch der Verein Deutsche Sprache, dessen Aufruf Lewitscharoff unterzeichnet hat: Auf der Webseite des VDS gibt es einen digitalen Alarmknopf, mit dem man "einen neuen Anglizismus melden" kann, der dann eventuell in den "Anglizismen-Index" aufgenommen wird, eine Liste englischer, nun ja, Pfuiwörter.
Die Sache mit der vermeintlichen Unterdrückung durch so-called Gender-Unfug lässt sich eigentlich schnell klären.
"Grundsätzlich sind die Versuche, von bürokratischen Instanzen aus in den Sprachgebrauch einzugreifen, um das Verhältnis zwischen Mann und Frau in verordnete Bahnen zu lenken, sperrig, umständlich, den Satzfluss hemmend, arhythmisch, wenn nicht idiotisch", schreibt Lewitscharoff in einem ganz und gar nicht umständlichen Satz.
Dabei will natürlich überhaupt niemand in ihren Sprachgebrauch eingreifen, wenn es darum geht, ob sie ihre Romane weiterhin über Idioten, Idiotinnen oder Idiot*innen schreibt. Es ist ein freies Land.
Menschheit kurz vorm Aussterben
Die Sache mit der Wut allerdings ist beachtlich. Feministinnen sind ja angeblich so hysterisch. Lewitscharoff scheibt, die Frauenbewegung trage in Deutschland "ziemlich krampfige Züge", habe sich in der "Sprachregelungswut festgebissen". Unter Lewitscharoffs Text findet sich auf "Welt Online" der Kommentar einer Leserin, "Freya Gedanke", die schreibt: "Sehr gut! Stelle mir gerade meine Lieblings-Emanze Stokowski vor, wie sie mit Blutdruck 220/150 diesen Text liest..." Funny. Frau Gedanke hat wahrscheinlich überlesen, wie viel körperliche Anstrengung Frau Lewitscharoff einzelne Satzzeichen bereiten:
"Allein die sternchenbesäten Schreiben, die ich bisweilen von einer Universität bekomme, wenn es um eine Veranstaltung geht, bringen mich zur Weißglut. Es entsteht ein holpriges Schriftbild, das mich beim Lesen aus der Bahn wirft", schreibt sie, und dass "die blöden Sternchen" sie "zur Raserei" bringen.
Unangenehm aufgeregt, wenn man mich fragt.
Verständlich allerdings, wenn man bedenkt, dass sie die Menschheit kurz vorm Aussterben sieht: Der Flirt geht zugrunde, so ihre Diagnose, und nicht nur der:
"Die Möglichkeiten des Flirts, die sich nicht allein durch Augenkontakt, sondern auch durch verführende Worte ausloten lassen, werden verkompliziert. Gendergerecht flirten zu sollen, das haut nun mal nicht hin. [...] In Berlin lässt sich gut beobachten, dass viele junge Leute, die eigentlich in ihren umtriebigsten erotischen Jahren sein müssten, kaum eine körperliche Beziehung wagen. Die Männer wirken schlapp und feige, die Frauen unglücklich und neurotisch."
Ich weiß nicht, in welchem Teil von Berlin Frau Lewitscharoff wohnt, aber natürlich ist es traurig, wenn die jungen Leute in der Hauptstadt nicht mehr vor den Augen der Schriftstellerin vögeln wollen .
Das weibliche Geschlecht als Bereicherung
Es ist trist geworden, das Leben als konservative Hardlinerin. Dabei gibt es so viele, die an ihrer Seite kämpfen. Auch solche, die den Aufruf des Vereins Deutsche Sprache nicht unterzeichnet haben. Dorothee Bär erklärte kurz vorm Frauentag: "Ich finde das alles total gaga, sowohl das Binnen-I als auch das Gender-Sternchen". Man solle sich "auf das Wesentliche konzentrieren, auf den Kampf um praktische Gleichberechtigung von Frauen und Männern im Alltag". Und: "Dass man Sprache so verhunzt und vergewaltigt - da halte ich gar nichts davon." Genau. Wer Vergewaltigung als Metapher für neue Schreibweisen verwendet, ist natürlich überhaupt nicht gaga.
So gern sich Konservative und Rechte gegen "Gender-Gaga" und "Gender-Unfug" aussprechen, um zu zeigen, dass sie die einzig noch Vernünftigen und Ernstzunehmenden in diesem Land sind, so leicht verplappern sie sich dann doch.
Annegret Kramp-Karrenbauer twitterte am 8. März: "Ich wünsche mir, dass wir den Frauentag bald abschaffen können. Ich wünsche mir, dass wir keinen Tag brauchen, um uns daran zu erinnern, welche große Bereicherung Mädchen und Frauen für unsere Gesellschaft sind." - Eine Bereicherung! Was für ein Kompliment, danke.
Ich kann mir vorstellen, dass es Mädchen und Frauen lieber wäre, einfach ein Teil der Gesellschaft zu sein, und dann vielleicht noch einer, der sprachlich auch ab und zu mal abgebildet wird, aber hey, man will ja nicht frech werden.