
Genscher als Medienprofi: "Er beherrschte eine chamäleonhafte Diplomatensprache"
Genscher als Medienprofi "Er beherrschte eine chamäleonhafte Diplomatensprache"

Dr. Agnes Bresselau von Bressensdorf, 31, ist Historikerin und forscht am Institut für Zeitgeschichte in München. Ihre Dissertation schrieb sie über "Das System Genscher" und die Medienpolitik des Ex-Außenministers.
SPIEGEL ONLINE: Frau von Bressensdorf, Hans-Dietrich Genscher galt als Medienprofi. Seit wann hat er gezielt an seinem Image gearbeitet?
Von Bressensdorf: Hans-Dietrich Genscher begann mit seinem Amtsantritt als Außenminister im Jahr 1974 damit, das Pressereferat des Auswärtigen Amtes umzugestalten. Es erhielt zum Beispiel zum ersten Mal ein eigenes Budget, das im Laufe der Jahre ausgeweitet wurde. Eine besondere Rolle spielte Reinhard Bettzuege, der als Pressesprecher für Genscher arbeitete. Unter ihm wurde die Medienarbeit des Auswärtigen Amtes modernisiert und professionalisiert. Das Radio und das Fernsehen wurden systematisch in diese Arbeit einbezogen.
SPIEGEL ONLINE: War Genscher der erste deutsche Politiker, der gezielt an seine Medieninszenierung heranging?
Von Bressensdorf: In dieser Form wahrscheinlich ja. Er hat die Wichtigkeit von gezielter Medienarbeit gespürt. Er besaß ja keinerlei diplomatische Expertise, als er Außenminister wurde. Er war durch den Rücktritt von Willy Brandt gleichsam in das Amt gerutscht. Im Laufe der Jahre schnitt Genscher das Auswärtige Amt dann auf seine Person und seinen autoritären Führungsstil zu. Es durfte zum Beispiel keiner seiner Staatssekretäre in der Öffentlichkeit für ihn sprechen. Seine Mitarbeiter hatten sehr wenig Handlungsspielraum. Am wenigsten Handlungsspielraum hatte das Pressereferat.
SPIEGEL ONLINE: 1989 entstand der Genschman, eine cartooneske Synthese aus Genscher und Batman. Zur Entstehung dieser Figur gibt es unterschiedliche Erklärungen. Eine besagt, dass das Satiremagazin "Titanic" die Figur erfunden hat. Immer wieder ist aber auch zu lesen, dass das Auswärtige Amt selbst die "Titanic" erst auf die Idee des Genschman gebracht haben soll. Was ist richtig?
Von Bressensdorf: Ich gehe davon aus, dass die Idee auf die "Titanic" zurückgeht. Aber das Auswärtige Amt ist sehr geschickt mit der Figur des Genschman umgegangen.
SPIEGEL ONLINE: Inwiefern?
Von Bressensdorf: Das war ein völlig neuer Umgang mit Satire. In gewisser Weise war der Genschman die Pointe vieler Jahre erfolgreicher Medienpolitik von Genscher. Seine Inszenierung in den Medien war auf Personalisierung und Privatisierung ausgerichtet. Er stand für das Außenministerium. Und er nahm diplomatische Gäste auch mal mit zu sich nach Hause oder begann seinen Urlaub mit dem Besuch der Bayreuther Festspiele. Heute kennen wir das, aber damals war das neu. Er war medial dauerpräsent. Und er kam sympathisch rüber. Der Genschman war in gewisser Weise die Fortführung von Genschers Medienpolitik, denn er karikierte Genscher, aber als Sympathieträger. Der Genschman ist ja der Gute, der gegen Theo Waigel und die CSU kämpft.
SPIEGEL ONLINE: Was sind die Höhepunkte Genschers medialer Inszenierung?
Von Bressensdorf: Ich würde weniger von Höhepunkten sprechen, sondern eher von einer kontinuierlichen Zunahme seiner medialen Präsenz. Das kann man empirisch sehr schön nachvollziehen. Besonders in außenpolitischen Krisenzeiten forcierte er seine Medienauftritte. Etwa 1979 beim sowjetischen Einmarsch in Afghanistan. Er versuchte dann, über die Medien deeskalierend zu wirken. Sein Mantra war: "Wenn es schwierig wird, müssen wir erst recht miteinander reden."
SPIEGEL ONLINE: Hatte Genscher Präferenzen? Mochte er etwa manche Zeitungen lieber als andere?
Von Bressensdorf: Nein, er bediente alle gleich, von den Öffentlich-Rechtlichen über die "FAZ" bis zur "Bunten". Dadurch waren ihm alle Medienmacher gewogen und seine Statements erfuhren eine sehr breite Streuung durch das gesamte Bundesgebiet und durch alle Mediengattungen. Jeder hörte oder las von ihm.
SPIEGEL ONLINE: Oft ist zu lesen, Genscher sei sehr eloquent gewesen und habe druckreif reden können. Ist das vielleicht auch nur ein medial inszeniertes Trugbild?
Von Bressensdorf: Er konnte tatsächlich druckreif sprechen. Das hat Journalisten natürlich viel Arbeit gespart. Allerdings ist er inhaltlich meist ausgewichen. Er beherrschte eine chamäleonhafte Diplomatensprache, die es ihm ermöglichte, sich politisch nicht festzulegen. Dadurch ließen sich politische Kurswechsel gut kaschieren. Er konnte immer behaupten, diesen oder jenen Standpunkt immer schon vertreten zu haben.
SPIEGEL ONLINE: Genscher ist auch wegen des gelben Pullunders in Erinnerung geblieben, den er so oft trug. Was wollte er damit bewirken?
Von Bressensdorf: Der gelbe Pullunder ist eine von vielen Kleinigkeiten, die Genscher sehr geschickt einzusetzen wusste. Er symbolisierte die Verschmelzung von FDP und Auswärtigem Amt in der Person von Hans-Dietrich Genscher. Der Pullunder sagte: Weder die FDP noch das Auswärtige Amt kommen ohne den Politiker Genscher aus.