S.P.O.N. - Der Kritiker Die Lüge vom Hü und vom Hott

Der Staat ist böse, sagen die einen. Der Staat ist gut, sagen die anderen. Die simplen Wahrheiten der Wirtschaftswissenschaften prägen den US-Wahlkampf. Wieder einmal. Da hilft wohl nur der Rat eines weisen, alten Philosophen.

Es ist mal wieder ein großes, komisches, tragisches Schauspiel der Verblendung in diesen an Verblendung so reichen Zeiten: Wie will man erklären, dass die Menschen immer wieder Feuer mit Öl löschen wollen? Und dass es immer wieder Menschen gibt, die sagen: Ja, genau, super, das haben wir doch immer gesagt, Feuer und Öl - was sind das für Idioten, die nach Wasser rufen?!

Es geht also um Ayn Rand und Paul Ryan und Friedrich August Hayek, es geht natürlich auch um John Maynard Keynes, es geht darum, wer Schuld hat und wie man mit Schulden umgehen soll, und ob es überhaupt so etwas gibt wie Schuld und Schulden. Es geht, mit anderen Worten, um die Frage, ob es die Wirklichkeit wirklich gibt, oder ob man sie nicht auch abschaffen kann, es geht um die Frage, ob alles nur eine Idee ist, aus der dann manche eine Ideologie machen, und es geht um die Frage, was es bedeutet, dass diese vier Menschen alle ein y im Namen tragen.

Nein, darum geht es nicht.

Aber es geht um Voodoo oder die Wirtschaftswissenschaften, wie manche das nennen - die Entschiedenheit und Unversöhnlichkeit, mit der hier Wahrheiten gegeneinandergestellt werden, der böse Staat, die bösen Steuern, der gute Staat, die guten Steuern, sie tragen aber eher Zeichen der Zauberei und des Wahns als der Wissenschaftlichkeit.

Paul Ryan, der Kandidat der Republikanischen Partei für das Amt des US-Vizepräsidenten, hat also die randständige, aufgeblasene Angeberschriftstellerin Ayn Rand (geliebt und gefürchtet für den Radikalindividualismus des Romans "Atlas Shrugged") verehrt oder zumindest gelesen - was im Grunde keine Nachricht ist, aber wie eine behandelt wird. Dann kam noch heraus, dass Ryan auch Hayek gelesen oder sogar verstanden hat (geliebt und gefürchtet und mit dem Nobelpreis versehen für den Neoliberalismus seiner Schriften). Darüber hat die "New York Times" einen kleinen, klugen Text geschrieben, in dem erklärt wurde, warum Hayek, wie übrigens auch Ayn Rand, alle Politiker für Scharlatane oder zumindest Boten des Teufels hielt.

Gebanntes Starren auf das Pendel der Weltgeschichte

Überraschend an der ganzen Sache ist aber nicht, dass ein radikaler Republikaner sich wirtschaftlichen Rat von weit rechts holt und sich dann auch noch irrt. Überraschend ist auch nicht, dass Ayn Rand und Hayek auch schon von Ronald Reagan gelesen und gelobt wurden, der ja an dem ganzen Schlamassel, das wir gerade erleben, keine geringe Schuld trägt, weil er die Kultur von Geld und Gier etablieren half und von einem Mindestmaß an sozialer Verantwortung trennte. Überraschend ist auch nicht, dass da jemand kommt und mitten in der Krise des Fundamentalkapitalismus nach mehr Fundamentalismus ruft - im Grunde ist das ein ganz cooles Ablenkungsmanöver: Sich einfach vor eine Horde Haarloser auf den Marktplatz stellen und sagen, ich habe ein neues Haarwuchsmittel, das besser funktioniert als das alte.

Überraschend ist eigentlich nur, dass es immer noch funktioniert, dieses Spiel. Überraschend ist, dass wir dieses Spiel immer noch mit der Wirklichkeit verwechseln. Überraschend ist, wie gern wir uns belügen lassen: Und so starren wir weiter wie gebannt auf das Pendel der Weltgeschichte, das links geht, das rechts geht, hin und her, mehr Staat, weniger Staat, mehr Steuern, weniger Steuern, Nachfrage, Angebot, Verantwortung, Freiheit, Gemeinschaft, Individualismus, hin und her - weil wir wohl so gerne glauben, dass es so einfach ist, dass es ein Hü gibt und ein Hott.

Das Problem dabei ist gar nicht, dass es zwei mögliche Wahrheiten gibt, die sich ständig abwechseln und uns jeweils als die aktuelle präsentiert werden. Das Problem ist auch nicht, dass die Wirklichkeit hinter diesen konkurrierenden Wahrheiten immer schlechter zu erkennen ist. Das Problem ist, dass es immer nur diese zwei Wahrheiten sind. Immer nur zwei.

Das ist der Rhythmus, in dem das Abendland seinem Abend entgegen schwankt. Es ist ein ungesunder Dualismus, der die Welt lange genug im Schwitzkasten gehalten hat - ein weiser, alter Philosoph wie Michel Serres, im Grunde der Philosoph der Stunde, weil er Umweltschutz schon immer viel grundsätzlicher gedacht hat, weil er das menschenzentrierte Weltbild gesprengt hat, weil er bei der diesjährigen Documenta damit so eine wichtige Rolle gespielt hat: Ein Philosoph wie Michel Serres will diesen Zollstock des Denkens, den Dualismus, ersetzen durch die flexiblere, spannendere Form des Dreiecks.

"Der Parasit" heißt eines seiner schönsten Bücher, darin entwickelt Serres die Theorie der Figur des Dritten, der die Ambivalenz, das Paradoxe, das Sowohl-als-Auch verkörpert, eine Figur des Übergangs, eine befremdliche Erscheinung, weil sie die gewohnten Sicherheiten der dualistischen Semantik aufhebt: wahr/falsch, gut/böse, Gott/Mensch, innen/außen. Der Parasit, als Schädling definiert, ist für Serres eine Figur der Hoffnung.

Aber, schon klar, so funktioniert die Politik nicht.

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