Georg Diez

S.P.O.N. - Der Kritiker Ein Typ will dir an die T...? Mach doch die Bluse zu!

Der Klimawandel? Erfunden. Die Evolution? Eine Lüge. Gleichberechtigung von Mann und Frau? Emanzen-Quatsch. Reaktionäre ignorieren alle Fakten. Applaus ist ihnen dennoch sicher.

Reaktionäre reduzieren die Welt. Es ist fast schon eine Kulturtechnik. Die Wahrheit so sehr verbiegen, dass sie in einen Fingerhut passt.

Der klassische Reaktionär ist jemand wie James Inhofe. Der Senator aus Oklahoma wettert schon seit Jahren gegen die Lüge vom Klimawandel. Bei einer Rede kürzlich brachte er nun den endgültigen Beweis mit: einen Schneeball. "Wir hören immer wieder, dass 2014 das wärmste Jahr war, das es jemals gab", sagte er. "Nun, draußen ist es aber kalt, sehr sehr kalt." Das ist das Prinzip des Reaktionärs: Sag einfach, dass etwas weiß ist, obwohl alle anderen sagen, dass es schwarz ist.

Fluten, Stürme, Wetterdaten? Lügen!

Die Evolution? Lüge!

Frauen werden diskriminiert? Lüge!

Nimm das Offensichtliche und behaupte, dass es nicht stimmt: Du wirst überrascht sein, wie viele Leute dir glauben. Oder besser noch: Nimm etwas Positives und behaupte, dass es schlecht ist. Einfach so.

Unterdrückte Männer?

Sag zum Beispiel, dass Männer unterdrückt werden, egal, ob du es glaubst oder nicht. Du wirst sehen, auch hier brennen die Internetforen. Denn das Internet ist gemacht für Reaktionäre: Für jede Wahrheit gibt es hier eine Gegenwahrheit. Eine richtige reaktionäre Kirmes, dort im Internet.

Der Trick des Reaktionärs ist dabei: Er (oder sie) macht aus der allgemeinen Überforderung eine politische Haltung. Die grassierende schlechte Laune wird zu einer Waffe gegen die, die die Welt besser und gerechter machen wollen. Das Interesse des Reaktionärs? Geld, zum Beispiel. Oder irgendeine andere Form der Gratifikation, Liebe, Hass, jedes Gefühl von gewisser Wucht und Härte gilt.

Reaktionäre wollen ja Widerstand, das ist geradezu ihre Berufsbezeichnung. Sie definieren sich durch die Wand, gegen die sie rennen. Der Klimawandel ist deshalb auch ein Lieblingsthema der Reaktionäre - nicht einfach oder nicht nur, weil sie von den Energie-Unternehmen oder der Ölindustrie direkt bezahlt werden. Der Widerspruch ist so laut, die Empörung ist so leicht abrufbar.

Fast genauso beliebt ist zur Zeit die Frage, ob Frauen eher von Männern oder Männer eher von Frauen unterdrückt werden - oder ob sogar alles auf einem guten Weg ist. Das wäre für den Reaktionär allerdings ein echtes Problem: Der "gute Weg" ist nicht sein Element.

Er braucht ja Konflikte, und hat er sie nicht, dann schafft er sie sich: Und am Ende glaubt er sogar selbst daran, etwa dass die Verfeinerung der Wahrnehmung und der Sprache ein manifester Skandal ist.

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"Gender-Wahn", brüllt sie, brüllt er, einfach mal so - und wird natürlich prompt ins Fernsehen eingeladen, denn der Skandal-Seismograph schlägt hier sofort aus, was leicht mit Relevanz verwechselt wird.

Gender, Gender, Gender!

Und so stehen sie dann wie diese Woche bei Frank Plasberg, der so etwas wie der Kindergärtner der Reaktionäre ist und vielleicht sogar selbst daran glaubt, dass das, was er da tut, irgendwie wichtig oder wahrheitsstiftend ist.

Dabei herrscht bei ihm auch nur "shock and awe": Der Reaktionär ist hier in seinem Element, im Zirkus der Argumente, wo jeder Trick beklatscht wird - am Ende zählt nicht das, was gesagt wurde, am Ende zählt nur das, was am krassesten gesagt wurde.

Und darin ist der Reaktionär besonders gut: Er verachtet die Vernunft, er widert sich vor der Wirklichkeit und ekelt sich vor der Empirie - und kann von jeder Bodenhaftung befreit loslegen.

Der Schneeball? Haha!

Gender Gaga? Haha!

Es kommt da nur noch auf den Applaus an. Es zählt allein die Performance. Da ist eine Minderheit, die sich diskriminiert fühlt - lächerlich: Ich fühle mich durch sie diskriminiert! Da ist eine Regelung, die für mehr Gerechtigkeit sorgt - absurd: Ich fühle mich dadurch unterdrückt!

Es ist, wie gesagt, ganz einfach, Reaktionär zu sein: Man muss nur sagen, dass weiß schwarz ist oder schwarz weiß, je nachdem. Das Gute: Man liegt nie daneben, man hat nie unrecht, man kann sich immer sicher sein, dass man beklatscht wird.

Was für opportunistische Arschlöcher.

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