S.P.O.N. - Der Kritiker
Hallo, schön, dass es dich gibt
Was täten wir ohne Facebook? Was würde man vor dem Zähneputzen machen? Was würde man während der Arbeit tun? Wie würde man seine Freunde erreichen? Und wie würde man überhaupt wissen, wer die Freunde sind?
Zehn Jahre Facebook, und die ganz grundlegende Frage: Wie wäre es mit ein wenig mehr Hass? Mit ein wenig mehr Feindschaft? Wie wäre es mit unsozialen Netzwerken, einem Dislike-Button, einem Algorithmus der Einsamkeit? Wer ist der traurigste Mensch im Reich des Mark Zuckerberg?
Zehn Jahre Facebook: Das war eine Ära des Positiven, eine Doktrin der Sympathie, des Zunickens und der guten Laune, was fast immer etwas latent Dümmliches hat - wenn man will, kann man sich auf dieser Seite bestens in den Schlaf klicken.
Zehn Jahre Facebook: Das war auch schön, eine ganze Weile, weil es neu war; aber immer mit den gleichen 100, 500, 1000 Leuten an einem Ort - da muss man kein Sartre sein, um zu erkennen, dass das auch ein Bild der Hölle ist.
Zehn Jahre Facebook am 4. Februar 2014, und als neulich die Meldung von der Princeton University kam, Facebook sei wie eine ansteckende Krankheit, da reichte schon diese Metapher: Masern, Pest und Cholera - und die Leute klickten und liketen und shareten das wie verrückt mit ihren Freunden auf Facebook.
Die Meldung an sich war komplizierter und ziemlich spekulativ, und es war auch mehr eine mathematische als eine moralische Aussage: Weil die Menschen irgendwann selbst gegen extrem ansteckende Krankheiten immun werden, so die These der Universitätsstudie, werde Facebook bis 2017 gut 80 Prozent der User verlieren.
Kalt und unheimlich, aber auch befreiend
Und das war ja immerhin auch mal ein herausfordernder Gedanke - sich eine Welt ohne Facebook vorzustellen: Wie würde das sein? Was würde man vor dem Zähneputzen machen? Was würde man während der Arbeit tun? Wie würde man seine Freunde erreichen? Wie würde man überhaupt wissen, wer die Freunde sind? Wer würde einem sagen, dass Thiago ein tolles Tor geschossen hat? Wer würde einem ein altes Video von David Bowie zeigen? Wer würde einem davon berichten, was in der Ukraine los ist, wie brutal Schwule in Afrika oft behandelt werden, was Occupy London so anstellt und wo Daniel gerade mal wieder auflegt? Und wer würde man sein, wenn man nicht immer neue Fotos posten könnte?
Kalt und unheimlich, so eine Vision, aber doch auch befreiend - gerade in einer Woche, in der die Facebook-Aktie auf ein Rekordhoch stieg, weil es so "starke Quartalszahlen" gab, gerade in einer Woche, in der gemeldet wurde, dass die neue Facebook-App Paper so etwas wie ein personalisiertes SPON sein werde: Man brauchte ja eigentlich keinen NSA-Schock, um davon genervt zu sein, wie sich da eine Idee in eine unternehmerische Praxis verwandelte.
Ganz besonders schlecht gelaunten Zeitgenossen war das natürlich von Anfang an klar - aber ist es nicht immer besser und lustiger, die Fehler, die andere machen, erst mal mitzumachen und sich dann nachher darüber zu wundern, wie man so doof sein konnte?
Es war ja auch faszinierend zu erleben, wie das ging: Die Welt wuchs und schrumpfte zugleich, da waren auf einmal Menschen aus allen möglichen Teilen der Welt, die man nicht kannte, die sich einfach meldeten, die einen anstupsten - das war ein großes "Hallo, ja, schön, dass es dich gibt", was immerhin eine kernhumanistische Konversation ist, ein Anerkennen des Anderen als Anderer, wie es der französische Philosoph Emmanuel Levinas gesagt hätte, aber halt auch nicht viel mehr.
Und so ist die erschütternd banale Aussage nach zehn Jahren Facebook: Vieles wurde anders, aber fast alles blieb gleich - wenn man wollte und daran glaubte, dass der Mensch gut ist und frei sein sollte, dann hatte man hier ein Instrument, mit dem man versuchen konnte, das zu erreichen; wenn man eh nicht daran glaubte, änderte auch Facebook nichts daran.
Revolutionen schauen jedenfalls anders aus. Aber Mark Zuckerberg hat ja auch nie behauptet, dass er Lenin ist.