Gerhard-Richter-Ausstellung "Stil ist Gewalttat"

Ihm widmete das Museum of Modern Art in New York die größte Retrospektive seiner Geschichte. Und jetzt mischt Gerhard Richter eigenhändig an einer Ausstellung in Baden-Baden mit - der Meister hängt seine Bilder selbst.

Den "erfolgreichsten Maler der Gegenwart" nannte ihn der britische "Guardian", den "Picasso des 21. Jahrhunderts" obendrein - als sei Gerhard Richter ein Shootingstar, der erst jetzt ins Sichtfeld der Kunstszene gerückt sei. Dabei erklomm Richter, 75, schon nach seiner Flucht aus der DDR, kurz vor dem Mauerbau 1961, den Olymp der zeitgenössischen Kunst - über die Biennale (1972), zahlreiche Teilnahmen an der Documenta bis zu einer durch Europa tourenden Retrospektive (1993). Seinen 70. Geburtstag feierte das Museum of Modern Art in New York vor sechs Jahren mit der größten Werkschau, die es je einem lebenden Künstler widmete.

Seine Dresdner Wandmalereien, entstanden während des Studiums an der dortigen Kunstakademie, ließ die DDR-Obrigkeit nach seiner Flucht in den Westen übermalen. Richter selbst wechselte an die Kunstakademie Düsseldorf - und musste bis 2004 warten, um in Dresden die verdiente Würdigung seiner Leistung zu erleben. Im Albertinum eröffneten die Gerhard-Richter-Räume, bestückt mit 41 Dauerleihgaben - just an jenem Ort, wo er bereits 1956 an der Ausstellung "Junge Künstler" teilgenommen hatte.

Sein "Kapitalistischer Realismus", gemeinsam kreiert mit Künstlerkollegen wie Sigmar Polke, nahm die damals geltende Kunstdoktrin der DDR ins Visier. Und sein "Stammheim-Zyklus", eine Serie mit RAF-Mitgliedern, 1988 unter dem Titel "18. Oktober 1977" erschienen, repräsentiert beispielhaft Richters semi-politische Haltung. Die Zeitgeschichte nutzte er als Material - und legte sich in den fotorealistischen Arbeiten, die die Leichen von Ulrike Meinhof und Andreas Baader zeigen, dabei trotzdem nie unmissverständlich fest.

Richter, der Unbequeme - das bekam zuletzt der Kölner Kardinal Meisner zu spüren, der geklagt hatte, Richter habe das von ihm gestaltete Fenster im Kölner Dom an den Islam angelehnt. Der sonst so stille Maler wehrte sich lautstark gegen Meisner.

"Ich mag alles, was keinen Stil hat: Wörterbücher, Fotos, die Natur, mich und meine Bilder. Denn Stil ist Gewalttat, und ich bin nicht gewalttätig", sagte Richter einmal. Gewaltfrei, aber mit Stil, geht er jetzt im Museum Frieder Burda vor: So sehr möchte er Raum und Inhalt verknüpfen, dass er die Hängung der Bilder selber vorgenommen hat.

Aus den Jahren 1963 ("Neuschwanstein") bis 2007 ("25 Farben") stammen die rund 60 großformatigen Bilder, von Fotorealismus bis abstrakter Malerei, die das Museum Frieder Burda nun in Baden-Baden ab Samstag zeigt. Darunter sind zahlreiche, selten gesehene Leihgaben aus diversen Privatsammlungen - aus Richters eigenem Besitz, aus den Sammlungen Böckmann (Berlin), Ströber (Darmstadt) und der Sammlung Frieder Burdas selbst.

Der Kunst und ihren Tempeln den Ruch des Elitären zu nehmen - das steckte schon 1968 hinter seiner Aktion in der Kunsthalle Baden-Baden. Richter "besetzte" damals den Raum, wandelte das Museum in einen "Wohnort" um - eine ironische Reflexion der westdeutschen Konsumgesellschaft. Und auch 40 Jahre später hat sein Werk nichts an Brisanz verloren.


"Gerhard Richter", Museum Frieder Burda, Baden-Baden, vom 19. Januar bis 27. April

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