In den nächsten vier Jahren werden wir alle im gesellschaftlichen Diskurs viel lernen müssen, ob wir wollen oder nicht. Also nicht von Weitem auf den politischen Gegner zeigen, sondern ganz nah ran.
Okay, eine Vision: Wir überleben die nächsten Jahre. Wir überleben außer der Präsidentschaft von Donald Trump noch ein paar Jahre mit anderen Rechten und sonstigen Vögeln. Wir überleben das Ganze nicht wie ein getretener Hund, sondern wie irgendwas Geiles, was auf einem Misthaufen wächst.
Wenn schreckliche Dinge passieren, dann ist es eine gute Idee sich zu überlegen, was die beste Version dieser schrecklichen Dinge sein könnte. Was sozusagen die geilste Pflanze wäre, die auf diesem Mist wachsen könnte. Und dann versucht man, diese Pflanze zu werden.
Das mit der Pflanze ist natürlich ein beklopptes Bild, weil die meisten Leute überhaupt keine Pflanzen sein wollen, vor allem nicht in einem Land, in dem Wurst ein Kulturgut ist. Also ein anderes Beispiel.
Politisches Handeln hat ziemlich viele Parallelen zum Bäumefällen. Man muss versuchen, eine möglichst gute Waldarbeiterin zu werden und nicht die Psychopathin, die alles anzündet. Wenn man gesellschaftliche Zustände verändern will, hilft es wenig, mit dem Panzer durch den Wald zu brettern und zu sagen, man hätte durchgeforstet. Sondern mit einer guten Motorsäge in den Wald zu gehen und jeden Baum einzeln zu betrachten und zu entscheiden, was weg muss.
Am Wochenende waren wir im Wald zum Brennholzmachen. Wir waren drei Leute mit Motorsägen: eine mit ein paar Jahren Sägeerfahrung, einer mit ein bisschen Sägeerfahrung, und einer ohne. (Alle mit Motorsägenschein.) Der Freund, der vorher am wenigsten sägen konnte, hat am Ende ein paar Bäume außerordentlich perfekt gefällt.
Zwischendurch hatte ich Panik bei dem Anblick, wie er mit der Spitze der Säge anfing zu sägen, was einer der gefährlichsten Fehler ist, die man machen kann, weil man dann mit Pech und Schwung die Säge ins Gesicht kriegt oder in die Kniekehle. "Ich kann nicht mitansehen, wie du so sägst", sagte ich, und er antwortete: "Ja, ja". Und kurz darauf: "Boah wie ich hasse, wenn du mir Tipps gibst, obwohl ich das alles weiß... Und boah wie viel besser es geht, wenn man es nicht mit der Spitze macht." Er hatte mit der Spitze angefangen, sagte er, um sicherheitshalber ein bisschen mehr Abstand zum Baum zu haben, was ziemlich irrational ist.
Gesellschaftskritik funktioniert genauso: Man kann nicht nur von Weitem auf den Gegner zeigen, man muss ganz nah ran.
Produktbesprechungen erfolgen rein redaktionell und unabhängig. Über die sogenannten Affiliate-Links oben erhalten wir beim Kauf in der Regel eine Provision vom Händler. Mehr Informationen dazu hier
Wir werden alle in den nächsten Jahren Dinge lernen, die wir gar nicht lernen wollten, und Lernen ist anstrengend. Das ist wahrscheinlich das Wichtigste, was man in der Schule lernt. Die Rechten werden auch dazulernen, und lustigerweise machen sie im Moment noch oft dieselben Fehler wie die Linken.
Die einen wollen mit den anderen nicht reden, und werden dann von denen als unreif bezeichnet. Die AfD akkreditiert eine Reihe Journalisten nicht für eine Tagung, die "FAZ" nennt die Partei "ein Habitat von Angsthasen". Dafür wird der AfD-Politiker Poggenburg aus einem Hörsaal der Uni Magdeburg vertrieben, der dann über die Studierenden sagt, sie hätten keine Ahnung von Demokratie. Das ist alles von allen Seiten nicht optimal.
Wir werden unsere Werkzeuge anpassen müssen. Am Wochenende ging meine Säge nach drei Bäumen kaputt, der Vergaser hatte schon länger eine Macke, ich musste dann statt selbst zu sägen, mit einer Axt entasten, was die anderen gefällt haben, und siehe da: auch geil. Man hat dann halt andere Formen von Muskelkater, aber es wird auch alles fertig.
Im Wald ist man dann fertig, wenn man alle Stämme auf den Hänger geladen hat und die Sonne untergeht. In der Politik dauert so ein Tag eher vier Jahre. Mindestens. Das ist ein Unterschied.