Glaubensdrama "Das Gelübde" Voller Wonne bei der Nonne
Was ist schon der preußische Protestantismus gegen den kreatürlichen Katholizismus westfälischer Prägung? Clemens Brentano (Miel Maticevic), in Berlin als Dichter, Denker und Rundumselbstvermarkter gefeiert, kommt im Jahr 1818 ins Örtchen Dülmen bei Münster, um sich, das Leben und die Religion neu zu entdecken. Die Aufklärung hat diesen Mann jedenfalls nicht weit gebracht, denn was hilft schon all die Ratio, wenn am Ende doch Selbsterkenntnis und Gottvertrauen ausbleiben.
Am Anfang von Dominik Grafs Glaubensdrama "Das Gelübde" sieht man Brentano an einem ausgetrockneten Flusslauf entlangwandern, dessen Uferzone so erodiert ist wie die Seele des Schriftstellers. Gerade ist er 40 Jahre alt geworden, schon allerlei Lebensentwürfe hat er mit einer gewissen Leidenschaft durchgespielt. Er war Bordellgänger und Dichterfürst, glückloser Familienvater und verzweifelter Betbruder. Kurz vor seiner Abreise aus Berlin hatte er noch schnell eine Generalbeichte abgelegt, für die er auf zehn Seiten über sämtliche seiner fleischlichen und gedanklichen Sünden Auskunft gab.
Was kann der müde und reumütige Hauptstadt-Hipster nun in der westfälischen Provinz finden? Einen festen Glauben jenseits frömmelnden Selbstbetrugs? Der Pfaffe, dem er im katholischen Münsterland begegnet, weiß ihm auf jeden Fall seine Religion mit ansprechender Emphase anzupreisen: "Beten und körperliche Liebe sind einander sehr nah. Bei beiden Tätigkeiten ist der Mensch wie eine geöffnete Muschel. Er ist bereit und begierig aufzunehmen!"
Waghalsige Fernsehunternehmung
Die hübschen Worte umschreiben einen eigentlich recht grausamen Zustand: Ordensschwester Anna Katharina Emmerick (Tanja Schleiff) liegt schwindsüchtig auf ihrem Bett, reißt aber regelmäßig Augen und Arme auf, um in Trance Visionen vom Heiland zu empfangen. Seit Jahren hat sie nichts mehr gegessen außer natürlich der Hostie beim Abendmahl. Dass sie noch lebt, kann der Wissenschaft nur Rätsel aufgeben. Im Wochenturnus und von weltlicher Hand ungelenkt beginnt ihr mit Wundmalen übersäter Körper zu bluten, immer mittwochs zum Beispiel strömt es rot aus dem Doppelkreuzabdruck auf ihrer Brust. Eine Attraktion für Pilger ist sie deshalb inzwischen geworden.
Brentano will nun die Visionen der Emmerick protokollieren, doch schon bald ist er mehr als ihr ergebener Chronist. Des Dichters Selbsthinterfragung und die rigorose Hingabe der Nonne ergeben über die Jahre eine explosive Gemengelage. Der eine scheint dem anderen in die Seele schauen zu können; schon früh hatte die stigmatisierte Gottesdienerin gewarnt: "Vielleicht bin ich nicht die fromme einfältige Nonne, für die sie mich halten."
Es klang nach einer waghalsigen Fernsehunternehmung, als bekannt wurde, dass Dominik Graf ("Eine Stadt wird erpresst") nach dem gleichnamigen Roman von Kai Meyer das historisch verbürgte Zusammentreffen des Romantikdichters Clemens Brentano und der 2004 durch Papst Johannes Paul II. heilig gesprochenen Ordensschwester Anna Katharina Emmerick in Szene setzen wollte.
Schulfunk, Kostümschinken, Erbauungsdrama so schoss es einem unwillkürlich durch den Kopf. Doch so wie Graf bereits 2002 mit seinem Drehbuchautor Markus Busch für die TV-Produktion "Die Freunde der Freunde" eine Gespenstergeschichte von Henry James zur modernen Lovestory verarbeitete, bereiten die beiden nun das Wundmal-Drama denkbar radikal und zeitgemäß auf.
Dichterfürst Brentano, so wie ihn der notorische Kiezkrimidarsteller Maticevic ("Hotte im Paradies") spielt, könnte mit seiner trockenen "Tried-it-all"-Haltung glatt als Checker aus Berlin-Mitte durchgehen, der nach vielen unbefriedigenden Rollenspielen und modischen Identitätskonstruktionen endlich den Einklang mit der Welt und ihrem Schöpfer sucht. So räumt Dominik Graf gleichzeitig mit den piefig-pragmatischen Realitätsspiegelungen im gegenwärtigen deutschen Film auf: Die Mystik liefert hier die Möglichkeit, den Erzählrahmen zu strecken und trotzdem mit Bezug aufs Hier und Jetzt berichten zu können.
Filmische Liturgie
Dabei verzichtet der Regisseur dankenswerterweise auf raschelnde Roben, wabernde Weihrauchschwaden, flammende Rottöne und andere Ausstattungsstereotype, mit denen katholische Milieus sonst gerne ausgeschmückt werden. Stattdessen hat er "Das Gelübde" als kargen psychedelischen Trip in Szene gesetzt, der an das ausgesprochen gottlose italienische Trash-Kino der siebziger Jahre erinnert.
Geradezu manisch setzt er die Zoom-Technik ein, arbeitet sich also unentwegt von der Totale ins Close-up, dass einem beim Zuschauen beinahe schwindelig wird (Kamera: Michael Wiesweg). Dazu erklingen aufwühlende Spinett-Melodien im Stile alter Ennio-Morricone-Soundtracks (Musik: Sven Rossenbach und Florian van Volxem). Und später donnern dann auch noch die Glocken der Dorfkirche, die von den beiden Filmhelden mit wahrer Wollust geläutet werden.
Am Erstaunlichsten an diesem in vielerlei Hinsicht erstaunlichen Werk ist es vielleicht, dass Graf es geschafft hat, seine kleine filmische Liturgie erotisch aufzuladen, ohne dabei in konventionelle Blasphemie zu kippen. Wie wunderbar: Glaube erscheint in "Das Gelübde" nicht als Gefängnis des Frömmelnden, sondern als Werkzeug zur Weitung der Sinne.
"Das Gelübde", Freitag, 21.00 Uhr, Arte