Globaler Nacktprotest Schrei's raus, zieh dich aus
Yoko und John haben es getan, die Uschi und der Rainer sowieso. Und nun ziehen Politaktivisten auf der ganzen Welt blank, um ihren Unmut kundzutun. Der Nacktprotest, vor gut 40 Jahren als eine Art ziviler Ungehorsam gegen das als repressiv empfundene Gesellschaftssystem ausgeheckt, ist zurück. Welche gesellschaftspolitische Konfliktzone man zurzeit auch ins Visier nimmt: Überall wird gestrippt. Überall sind sie zu finden, die Erben von Onos und Lennons Entkleidungs-Aktionen und Obermaiers und Langhans' "Kommune 1".
Schon länger sorgt die Aktionsgruppe "Femen" für Aufsehen, eine Gruppe junger ukrainischer Frauen, die ursprünglich gegen Sextourismus und Prostitution demonstriert hat, inzwischen aber gegen jede sexistische Zumutung die Hüllen fallen lässt. In Ägypten kämpft die Kunststudentin Alia Magda al-Mahdi mit Nacktaufnahmen von sich für das Recht auf freie Meinungsäußerung - und gerät dadurch ins Fadenkreuz religiöser Juristen.
Und in China hat sich gerade eine Hundertschaft von Ai Weiwei-Unterstützern der Hüllen entledigt , um gegen das Vorgehen der Behörden gegen den Künstler zu demonstrieren. Die im Netz ausgestellten Bilder der Nackedeis im Widerstand sind eine bissige Reaktion auf die chinesische Justiz, die Ai Weiwei wegen einer Reihe von erotischen Fotos der Verbreitung von Pornografie angeklagt hat: Die Fans des Angeklagten zeigen sich in Rodin-Denker-Pose oder strecken den chinesischen Apparatschiks ihren entblößten Allerwertesten entgegen. Kann man dem Staat gegenüber effizienter seine Verachtung zum Ausdruck bringen?

Nacktprotest: Brüste raus, Blitzlicht an
Das Schöne am Nacktprotest ist ja: Er kostet nichts. Gerade darin offenbart sich auch das symbolische Potential des Aufbegehrens. Während der Protestierende selbst nicht mehr macht, als sich entkleidet im Bett, auf der Wiese oder im öffentlichen Raum zu drapieren, fährt der Gegner seinen Waffenpark oder seinen Beamtenapparat auf, um den anderen still zu stellen. Lächerlich wirkt dabei nie der, der sich auszieht (egal, wie unvorteilhaft man seine Erscheinung empfinden mag), sondern stets der, der gegen ihn vorgeht. Ein System, das Uniformierte aufbietet, um einen Nackedei zu überwältigen, hat ein Problem.
So gesehen dient der Nacktprotest immer dazu, aus einer Position der Schwäche heraus Stärke zu zeigen - und, bitte schön, wer ist in seinem Herzen nicht für die Underdogs?
Aus dieser Idee heraus wurde eine regelrechte Ästhetik des Nacktprotests entwickelt, die mittlerweile nach den Gesetzmäßigkeiten des Werbebetriebs funktioniert. Geradezu streberhaft nutzt sie die Tierschutzorganisation PETA für sich, die unter dem Motto "Lieber nackt als im Pelz" Models und andere Vertreter der Werbe- und Unterhaltungswelt unbekleidet auftreten lässt: eine Kampagne für die gute Sache, bei der attraktive Besserverdiener für ihr gutes Gewissen posieren - und die bis auf die letzte Hochglanzmagazin-Seite durchorchestriert war.
Page-Three-Girl? Warum nicht lieber ein Protest-Girl!
Die jungen Frauen der FKK-Kampftruppe "Femen" gehen da risikofreudiger zur Sache; ihre Auftritte sind wie Guerilla-Gigs organisiert, bei der man das Einschreiten von Polizei und Behörden als nicht immer abzuwägendes, aber immer ganz gut funktionierendes Element einsetzt. Brüste raus, Bullen anlächeln, für den Blitzer posieren. Sex sells - nicht immer in Barem, aber stets in der Währung Aufmerksamkeit: Die Publicity ist garantiert, das Risiko überschaubar, die Verbreitungswege sind klar vorgegeben. Keine Gazette, die nicht eine hübsche ukrainische Blondine abbildet, die für die gerechte Sache die Hüllen fallen lässt. Da spart man sich im Zweifel das Page-Three-Girl und darf sich auch noch gut dabei fühlen. Eine Win-win-Situation.
Global allerdings funktioniert diese Rechnung nicht immer: Was aus den mutigen Nackedeis in China wird, ist genauso ungewiss wie das Schicksal der ägyptischen Kunststudentin al-Mahdi. Werden sich der chinesische Staat und die islamischen Sittenwächter düpieren lassen - oder wird der Raus-aus-den-Klamotten-Protest schwerwiegende Folgen für die Protagonisten haben?
In einem Sinne hat die Studentin al-Mahdi bereits verloren: Ihr offenherziger Akt gegen staatliche und religiöse Repressionen, den sie symbolträchtig mit Balken jeweils vor Augen, Mund und Genital ins Netz gestellt hat, wurde vielfach weitergereicht. Allerdings wird ihr selbstgesetzter Auftrag - nämlich "gegen eine Gesellschaft von Gewalt, Rassismus, Sexismus, sexueller Belästigung und Heuchelei" zu protestieren - mit der unendlichen Verlinkung und Ausstellung im Netz verwässert. So droht sie selbst ein Opfer der kritisierten Heuchelei zu werden, indem ihr Bild losgelöst vom politischen Auftrag nur noch irgendeinem Online-Anbieter oder anderen Medien als kostenloses Triebabfuhr-Material dient.
Denn die Geschichte der Kommerzialisierung des Nacktprotests ist so alt wie dieser selbst. Uschi Obermaier und die "Kommune 1" sollen immerhin so schlau gewesen sein, sich ihr freisinniges Posieren vor der Kamera vom "Stern" mit 20.000 Mark vergüten zu lassen. Das erscheint wenig im Vergleich zu den Summen, die die inzwischen schon mythischen Bilder vom Gruppenkuscheln eingespielt haben dürften, reichte aber wohl locker, um für einige Monate den Drogenbedarf der Kommunarden zu decken. Und einige der Polit-Pin-ups von einst, siehe Rainer Langhans, wurden zu Mitspielern des Unterhaltungsbetriebs.
Dass sich die Aktivitäten der Studentin al-Mahdi ebenso glücklich in einer Entertainmentkarriere auflösen, ist nicht anzunehmen.