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Bayreuth 2013: Zwischen Provokation und Rausch

Foto: DPA/ Bayreuther Festspiele/ Enrico Nawrath

"Götterdämmerung" in Bayreuth Von Walhalla zur Wall Street

Zum Abschluss ein Eklat: Frank Castorf verließ sich nach seiner Bayreuther "Ring"-Premiere nicht auf die Sprengkraft seiner Inszenierung, sondern provozierte beim Schluss-Defilee mit Gesten, Schmollen und gockelhaftem Herumstolzieren. Schade.

Beim Wotan, wie uncool ist das denn? Da bekamen Frank Castorf und sein Team nach der Bayreuth-Premiere ihrer "Ring des Nibelungen"-Inszenierung das übliche Meinungsgewitter des Publikums serviert, und der ergraute Avantgarde-Veteran Castorf erzürnt sich an den - absolut nicht einhelligen - Unmutsbekundungen des Auditoriums. Nicht allein dass der Provo-Dino die Buhs wohl aussitzen, Pardon, stehen wollte und sich weigerte, die Bühne wieder anderen zu überlassen, er provozierte das Publikum mit allerlei Gesten und gockelhaftem Herumstolzieren, zeigte dem Publikum einen Vogel und schmollte wie ein verwöhntes Kind.

Dabei lief zuvor alles blendend: Seine "Götterdämmerung" war ein bewegender, mätzchenfreier und stellenweise berauschender Abschluss des durchwachsenen "Rings" - das wird in Erinnerung bleiben, nicht Castorfs Ego-Kaspereien. Hoffentlich.

Frank Castorfs serbischer Bühnenbildner Aleksandar Denic hätte bei Einzelbewertung sicher großen Beifall für seine stimmigen, variablen Drehbühnenkonstruktionen bekommen, mit denen der Szenenverlauf immer den inneren Rhythmus der Dramaturgie reflektierte. Oder Rainer Casper, dessen stets effiziente, nie aufdringliche Lichtregie Ensemble und Regieeinfälle optimal illustrierte. Oder das quirlige Videoteam unter Leitung von Andreas Deinert, das vielen Szenen durch zusätzliches Material oder optische Akzentverschiebung Tiefe verlieh.

Großartig effiziente Bühnentechnik

Das Ensemble hatte in dieser "Götterdämmerung" zudem die geradlinige Inszenierung nötig, denn diesmal war die stimmliche Qualität der Solisten nicht durchgängig von so großer Qualität wie bei den ersten drei Teilen. Attila Jun markierte eine kraftvoll-intriganten Hagen, schön malerisch mit Irokesenschnitt auf dem Kopf, allerdings nur bei mäßiger Tiefe und stellenweise unscharfer Artikulation - was aber er wacker durch Spielfreude und Temperament wettmachte. Als er den Helden Siegfried mit dem Baseballschläger killte, glaubte man ihm trotz der exzessiven Gewalt den zweifelnden Schmerz, der ihn am Schluss in den mystischen (Film-)Tod trieb, als ihn die Rheintöchter mittels Schlauchboot in die ewigen Rhein-Jagdgründe schicken. Schönes Schlussbild.

Auch Lance "Siegfried" Ryan muss häufig arg forcieren, war mit enger Schärfe in der Stimme eher laut als souverän, doch diese Mängel machte er ebenso wie Hagen durch starkes Spiel und bewährter Macho-Chuzpe wett. Sein erstes Outfit (Kostüme: Adriana Braga Peretzki) mit tabakfarbener Lederjacke und weißer Hose ließ ihn aussehen wie der Aufreißer in einem Fassbinder-Film.

In den hätte auch bestens der alte DDR-Slogan "Plaste und Elaste aus Schkopau" gepasst, über den sich junge Wessis schon in den siebziger Jahren lustig machten, wenn sie zum ersten Mal die Transit-Autobahn nach Berlin bewältigt hatten. Der prägt in greller Farbe über einem Szenebild, das eine alte, nun heruntergekommene Fabrik der chemischen Werke Buna darstellte, die die Stelle der Giebichungen-Burg am Rhein einnahm. Hier wird intrigiert, geheiratet und nach Kräften betrogen - vor allem "das herrlichste Weib" Brünnhilde, die den ganzen Zinnober nach Siegfrieds Ermordung im großen Feuer aus gestapelten Ölfässern aufgehen lässt.

Traum und Wahn

Womit der Energie-Bogen zum "Rheingold"-Anfang mit der US-Tankstelle geschlagen wäre, passend zum großen Wiedersehen mit alten Symbolen und Bildern. Der exquisite alte Cabrio-Mercedes parkt neben dem Mime-Trailer (zwischenzeitlich von Siegfried und Brünnhilde bewohnt), und das alles vor der Fassade der New York Stock Exchange a.k.a. Wall Street, was aber nur der irgendwie benötigten Aktualität geschuldet ist, denn mit dieser Kulisse passiert nicht viel. Und das Wortspiel mit "Walhall" und "Wall Street" geht der Überlieferung nach schon auf Wieland Wagner Anfang der sechziger Jahre zurück. Wir befinden uns wieder für Momente im modernen Antiquariat der Populärmythen.

Aber Frank Castorf geht mit seinem assoziativen Spiel mit Traum und Wahn ganz nah an Richard Wagner heran, dessen halbe Opernwelt aus diesen Quellen gespeist wird. Da fließt dann alles: Die drei immer präsenten Rheintöchter sind längst zu B-Movie-Göttinnen à la Tarantino mutiert, sie transportieren Leichen, verführen Siegfried und den Giebichungen-Chef Gunter, was so nicht im Wagner-Text steht, aber logisch zu diesen Figuren, zumindest in dieser Inszenierung, passt.

Catherine Foster thront als stimmlich großartige Überfrau Brünnhilde über den eitel posierenden Männern. Das Feuer, in dem die ganze Rhein-Bagage am Ende versinken soll, trägt sie quasi schon am Körper: Ihr grell schillerndes, goldenes Paillettenkleid wäre normalerweise keine seriöse Wahl, aber in dieser Düsternis strahlt sie als einziger Lichtblick - an ihr führt kein Weg vorbei. Auch das eines der vielen Beispiele für die logisch klare Inszenierung, die sorgsam mit den Akteuren umging - sehr gut für den Gesang und für den Dirigenten.

Wie schon bei den drei "Ring"-Teilen zuvor, gab es Ovationen für den Bayreuth-Debütanten Kirill Petrenko, dessen Dirigat mit Souveränität alle Klippen der Partitur sicher umschiffte. In den Chorszenen (wunderbar geleitet von Eberhard Friedrich) fügten sich Orchester und Ensemble zu dichter Einheit, auch das eine bewundernswerte Leistung bei Petrenkos Festspiel-Premiere. Und den "Trauermarsch", Kernstück der "Götterdämmerng", bekommt man selten so transparent und gleichzeitig so machtvoll zu hören.

Dieser kompakte Schlusseindruck aus intelligenter Inszenierung und musikalischer Klasse hätte sich - bei aller Kontroverse - zu einem positiven Schlussakkord fügen können. Frank Castorf musste aber noch vollkommen unnötigerweise einen draufsetzen. Aber das wird man vergessen können. Hoffentlich.

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