Götz George zum 70. Beim Barte des Schimanski
Wenn der Bart ab ist, wird es unheimlich. Klar, unter seinem Schnauzer muffelt, bellt und zischelt Götz George in verschiedensten Rollen voller Grimm vor sich hin. Wenn aber die gute alte, seit den frühen Siebzigern gepflegte und gerne auch mit Kinnbart kombinierte Bürste ab ist, verbreitet er eine Art aufgeräumten Schrecken. Es ist, als fehlte ihm ein zentrales Organ. Als fehlte ihm das Herz.
Ein simpler Trick, den George schon 1977 effizient einzusetzen wusste. Da spielte er in Theodor Kotullas "Aus einem deutschen Leben" den Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß. Es ist vielleicht der stärkste Auftritt von George überhaupt; auf jeden Fall stellt er die präziseste Personifizierung von Faschismus dar, die es bis heute im deutschen Film gibt.
Präzision gegen laue Folklore
Deutsche Schauspieler tun sich schwer mit der Darstellung von Nazis, sie haben zu viel Angst vor dem Verstehen. Sie staksen mit gestrecktem Arm und Hakenkreuzbinde durch die Kulissen und reden wie ein durchgedrehter Hausmeister. Götz George durchbrach die bis heute in Kino und Fernsehen gepflegte NS-Folklore, um mit stiller und gar nicht so unmenschlicher Präzision einen der Leistungsträger in Hitlers Tötungsmaschinerie darzustellen.
Und das auch noch an historischem Orte: "Aus einem deutschen Leben" war der erste Film, der in der Gedenkstätte Auschwitz gedreht werden durfte. Kurz gesagt: Bei diesem Werk konnte man so ziemlich alles falsch machen. Im Kino war es denn auch ein Flop, bei der Erstausstrahlung im Fernsehen gab es kein großes Echo.
Nun hatte Götz George damals nicht viel zu verlieren. Die Siebziger waren für ihn sowieso ein verlorenes Jahrzehnt. Während das deutsche Kino um Fassbinder und Schlöndorff mit seinem radikalen Chic international für Furore sorgte, spielte George in der Provinz Tschechow und Shaw und besserte sich die Kasse mit Episodenrollen bei "Derrick" oder "Der Alte" auf.
Georges Dreißiger waren ein ziemlich diffuser Lebensabschnitt: War er selbst schon ein Überbleibsel von Opas Kino, also jenem Kintopp, das die jungen Wilden auf den Kopf stellen wollten oder hatte seine Zeit überhaupt noch nicht richtig begonnen? Das war damals schwer zu sagen.
In den Sechzigern hatte er sich mit beachtlicher Körperlichkeit einen gewissen Ruf erspielt, und zwar nicht nur als lächelndes Testosteron-Bündel in Karl-May-Verfilmungen wie "Unter Geiern", sondern eben auch als gedungene Seele in Zeitgeschichtsdramen wie dem KZ-Schocker "Mensch und Bestie". Die Siebziger hielten im Vergleich nur wenig Entwicklungsspielraum bereit.
Kraftmeier auf Kollisionskurs
Als seine ganz große Zeit begann was für ein wunderbarer Widerspruch! war George deshalb schon so was wie ein Überbleibsel. Ein Status, den er geschickt für viele seiner Rollen, vor allem aber für die des Horst Schimanski zu nutzen wusste. Seit seinem ersten "Tatort"-Auftritt als Kommissar 1981 stemmte er sich mit wuchtiger Physis und analer Rhetorik gegen die Zeiten und Zustände. So wie die Kumpel in den Stahlwerken Duisburgs ramponierte er sich die alten Knochen für die gute Sache.
Der Wandel ging natürlich trotzdem weiter. Die Stahlkocher sind inzwischen auf Hartz IV gesetzt, der Ermittler selbst ist schon einige Zeit in Frührente. Aber manchmal kommt er eben wieder, schmeißt sich seine Schimi-Jacke übers spackige Sweatshirt und räumt noch mal auf. So wie gerade erst vergangenen Sonntag, wo er freundlich marodierend durch die Ruinen von Krupp Rheinhause zog.
Als personifizierte Rache des kleinen Mannes erlangte George, da war er schon längst jenseits der 40, eine Popularität wie kein Zweiter hierzulande. Alles, was er anfasste, wurde zumindest eine Zeitlang zur kleinen Sensation. Ganz gleich, ob er als Hitler-Tagebuch-Fälscher in Helmut Dietls "Schtonk!" (1992) sein Können in Sachen gut getimter Komik unter Beweis stellte, ob er als zertrümmertes Box-Idol in "Die Bubi Scholz Story" (1998) ein weiteres Mal selbstzerstörerisch seine Körperlichkeit ausreizte oder ob er als Medienpatriarch in "Familienkreise" (2003) still und leise jene zu vernichten drohte, die er zu lieben vorgab.
Im Namen des Vaters
Stefan Krohmers Tragikomödie ist übrigens einer der ganz wenigen Filme, die salopp jenes Trauma mitthematisiert, das der George-Kenner Torsten Körner gerade in der Biografie "Mit dem Leben gespielt" als wichtige Triebkraft des Schauspielers herausgearbeitet hat: die ödipale Kränkung, zugefügt durch den großen Volksschauspieler und Vater Heinrich George, der starb, als der Sohn neun Jahre alt war.
In Körners gelegentlich etwas distanzlosem, aber dafür packendem Lebensbericht wird der Überschauschauspieler als Getriebener gezeichnet, den auch in Momenten größter Erfolge Selbstzweifel und Magengeschwüre befallen können. Vielleicht muss das so sein, wenn man in einem Alter, in dem sich andere längst auf die Rente vorbereiten, immer wieder Neues ausprobiert.
Zugegeben, im Augenblick stagniert es etwas um den Jubilar: Die beiden neuen Filme, die das Erste am Mittwoch ("Die Katze") und am Samstag ("Schokolade für den Chef") zum 70. zeigt, sind gediegene bis eitle Fernsehunterhaltung.
Bekenntnis zur Täterschaft
Trotzdem ist es beachtlich, wie George auch in jüngster Vergangenheit immer wieder risikofreudig mit dem eigenen Image spielte; wie er der beherzten Monstrosität der jeweiligen Schimanski-Episoden herzlos auf Menschenformat geschrumpfte Monster folgen ließ. Götz George ist der einzige, der hierzulande regelmäßig und rigoros Täterstudien vorzulegen wagt.
So wie in Romuald Karmakars preisüberhäuftem Serienmörder-Dialog "Der Totmacher" (1995) oder in Roland Suso Richters Faschismus-Parabel "Nichts als die Wahrheit" (1999), wo er als greiser KZ-Arzt Dr. Josef Mengele über die Banalität des Bösen schwadronierte.
Am eindrücklichsten, weil am abgründigsten, aber war die Negativ-Rolle, die George noch vor zwei Jahren in Andreas Kleinerts Proletarierabgesang "Als der Fremde kam" gespielt hat: Da ließ er als Gewerkschaftsfunktionär jene Stahlkocher über die Klinge springen, die er in der Rolle des Schimanski gegen alle Widrigkeiten verteidigt hätte. Erst sieht man ihn onanierend vor einem Porno-Video, dann verführt er die Frau eines Kumpels, am Ende verrät er den von ihm angezettelten Streik. Den Bart, diesen schönen stacheligen Auswuchs von Menschlichkeit und Malochertum, hatte er sich für diese Rolle natürlich mal wieder abrasiert.
So zerrissen, so deutsch: Götz George ist der Star, den dieses Land verdient.