Guerilla-Künstler Banksy Paris Hilton, frei Schnauze
Hamburg - Neunzig Minuten hatte sein Kunstwerk diesmal Bestand. Neunzig Minuten, in denen eine lebensgroße Figur eines Guantanamo-Häftlings in orangefarbener Kleidung und mit schwarzer Kapuze neben der "Big Thunder Mountain"-Eisenbahn im kalifornischen Disneyland stand. Bevor die Parkwächter sie entfernten. Ein echter Banksy.
Er kommt und geht unerkannt. Plötzlich ist da ein Banksy, wo vorher keiner war. Banksy ist nicht sein richtiger Name, und seit er der Bristoler Graffitiszene entwachsen ist, scheint die Heimlichkeit nicht nur Schutz vor dem Gesetz zu sein, sondern auch Teil seiner Selbstinszenierung. Er malt Bilder an Hauswände und Straßenschilder, stellt über Nacht Bronzeskulpturen in Fußgängerzonen. Eine Sprecherin des britischen Künstlers sagte der BBC, diesmal habe er auf die Notlage der Gefangenen im US-Lager Guantanamo aufmerksam machen wollen.
Politisch ist der Phantom-Künstler nicht immer, überraschend schon. Erst in der vergangenen Woche schmuggelte er 500 gefälschte Paris-Hilton-CDs in britische Plattenläden. In der Hülle von Banksys Version ist die singende Hotelerbin mit einem Hundekopf zu sehen, die Songs hießen "Warum bin ich berühmt?" oder "Wozu bin ich gut?".
Wer aus Versehen eine von diesen CDs erworben hat, kann sich glücklich schätzen. Mittlerweile verkaufen sich manche Werke des 31-Jährigen, der sich selbst "Guerillakünstler" nennt, für umgerechnet 15.000 Euro und mehr. Er entwarf das Cover für das neueste Album der Britpop-Gruppe Blur. Sammler kaufen seine Objekte, 2003 hatte er seine erste eigene Ausstellung in einem alten Londoner Lagerhaus. Nur zur Eröffnungsfeier konnte der Künstler nicht kommen - viele seiner Aktionen bewegen sich am Rande der Legalität oder sind bereits gesetzeswidrig.
Affen mit Bomben und küssende Bobbys
Street-Art, erklärt das Wiener Institut für Graffitiforschung in einem Definitionsversuch, sei "kostenlos zugänglich und außerhalb etablierter Orte der Kunstvermittlung anzutreffen" und reiche "von der offiziellen Verhüllung des Reichstags in Berlin bis zum inoffiziellen Sticker am Stromkasten". Letzteres, sowie die gesprühten Schablonenbilder, Stencils genannt, hätten sich seit dem Jahr 2000 "sprunghaft vermehrt". Auch Banksy sprüht Stencils: Affen mit Massenvernichtungswaffen oder Bobby-Polizisten im innigen Kuss.
"Es geht eigentlich nur um Vergeltung", sagte er in einem seiner seltenen Interviews 2003 dem "Guardian". "Du kannst die halbe Stadt besitzen, wenn du deinen Namen draufschreibst." Unter dem Namen Banksy hat er sich als eine Art Zorro der Street-Art etabliert. Und seine Eltern, gab der Künstler an, dächten immer noch, er sei Maler und Anstreicher.
Das alles meint er vielleicht ernst, vielleicht auch nicht. Das Verwirrspiel um echt oder falsch, Kunst oder Vandalismus, Subversion oder Mainstream bestimmt seine Aktionen. Dabei ist Banksy selbst zur Marke geworden, wird kopiert und muss sich Ausverkauf vorwerfen lassen. Auf seiner Homepage gibt der Künstler deshalb gute Ratschläge: "Kunst, die sich nur darum dreht, einen berühmt zu machen, wird nie berühmt. Ruhm entsteht nur nebenbei, wenn man etwas macht, das wirklich etwas bedeutet."
Banksy spielt das Spiel mit der Selbstinszenierung exzessiv. 2004 stellte er in Londoner Straßen seine Bronzefigur "The Drinker" ab, die entfernt an Rodins "Denker" erinnerte, allerdings einen Kunststoffkegel auf dem Kopf hatte. Unbekannte entwendeten die Skulptur, schickten dem "Guardian" Entführungsfotos. Banksy bot zwei Pfund Lösegeld. Im Mai 2005 schmuggelte der Guerillakünstler einen gefälschten historischen Stein ins Britische Museum, auf dem im Stil von Höhlenzeichnungen eine Figur einen Einkaufswagen schiebt.
Ein echter Banksy im MoMA
Kurz zuvor hatte er in New Yorker Museen, darunter im Museum of Modern Art (MoMA), Bilder von sich an die Wand gehängt - zwischen die Meisterwerke. Eine ähnliche Aktion in der Londoner Tate Gallery war erst aufgeflogen, als der Klebstoff nachgab und das falsche Gemälde nach einigen Stunden zu Boden rutschte. Im vergangenen Jahr malte Banksy neun provozierende Bilder auf die palästinensische Seite der Mauer, die Israel in Grenzgebieten errichtet hat. Ein Motiv zeigte ein Stück freien Himmels, als hätte man ein Loch in das Bauwerk gesprengt.
Fans von Banksys Street-Art sagen, er helfe ihnen, ihre Stadt zurückzugewinnen und der übermächtigen Konsumwerbung etwas entgegenzusetzen. Ein Konzept, das konsensfähig zu sein scheint. Banksy hatte eine Ehebruchszene an eine Bristoler Häuserwand gesprüht: Eine Frau in Unterwäsche steht neben einem suchend blickenden Mann im Anzug am Fenster, außen hält sich ein nackter Mann am Sims fest. Im Juli ließ der Stadtrat die Bristoler im Internet über den Verbleib des Bildes entscheiden - 97 Prozent wollten, dass es bleibt.