"Gut sein auf Probe" Ego-Schwein wird Helferlein
Sven Kuntze ist kein Mensch, der sich vor Hilfsbereitschaft zerreißt. Bei einer Skifreizeit mit Grundschülern hilft er den hinfallenden Kleinen eher widerwillig auf, eine Hand bleibt dabei stets in der Hosentasche. Als es im Hospiz während eines Gesprächs mit einer Todgeweihten deprimierend wird, verzieht er sich für eine Zigarette vor die Tür. Und bei dem Besuch eines Tippelbruders in dessen Bauwagen stöhnt er ihm in die unterkühlten Ohren: "Oh Mann, was für ein Elend."
Nein, Kuntze scheint nicht der klassische Kandidat für ein Ehrenamt zu sein. Er ist nicht immer feinfühlig, andere Menschen sind ihm in der Regel herzlich egal, und aus seiner Selbstbezüglichkeit macht er auch keinen Hehl.
Vor kurzem ist der Reporter in den Ruhestand gegangen; jetzt könnte er sein Leben eigentlich so genießen, wie es sich für einen Egoisten gehört. Unlängst habe ihn aber die 18-jährige Tochter angeraunzt, was für einen Sauhaufen seine Generation doch hinterließe, sagt er. Irgendwie habe ihn das bewegt. Deshalb verlässt der kultivierte Herr seine schöne Wohnung, um sich unter hilfsbedürftige Menschen zu begeben.
Aber mal ganz ehrlich: Wollen die das überhaupt?
Auf seine alten Tage hat der ARD-Mann Kuntze, der früher für einige journalistische Mischformen bei dem Morgenmagazin seines Senders zuständig war, quasi im Alleingang das Genre der Selbsthinterfragungs-Doku entwickelt. Als 2008 im Ersten die Themenwoche "Chancen einer alternden Gesellschaft" lief, erkundete er für das Reportage-Experiment "Alt sein auf Probe" verschiedene Wohn- und Verwahrungsformen für Rentner. Er spielte den Galan unter den Greisinnen eines Senioren-Silos, zog in ein automatisiertes Ein-Personen-Pflegehaus und besuchte Mehr-Generationen-Siedlungen. Die radikal subjektive Sicht aufs Sujet brachte dabei echten Erkenntnisgewinn.
Ähnlich verhält es sich jetzt mit seinem 75-Minüter "Gut sein auf Probe", der im Rahmen der Themenwoche "Ehrenamt" läuft. Bis zum kommenden Samstag gibt es Reportagen, Diskussionen und Spielfilme, die sich dem gemeinnützigen Einsatz von Bürgern widmen.
Je mehr sich der Staat von sozialen Pflichten verabschiedet, desto wichtiger werden in der Gesellschaft freiwillige Helfer. Ehrenamtliche Arbeit - das klingt erst mal super, aber sollte auch wirklich jeder eine übernehmen? Wann ist der Einzelne schlicht überfordert? Und eine noch unangenehmere Frage: Wo endet der Altruismus, wo beginnt die Eitelkeit?
Zur Eröffnung des Programmschwerpunkts gab es am Samstag ja das Wohltäterspektakel "Deutschland tut was!", bei der eine Handvoll Prominenter die eigenen Stiftungen und nebenbei auch noch sich selbst promoteten. Sven Kuntze tritt nun den Gefahren verdeckter Selbstbeweihräucherung entgegen, indem er seinen Film ganz bewusst als One-Man-Show konzipiert. So schrecklich einige der angesprochenen Leidensgeschichten sind und so notwendig die hier gezeigten Aufgaben erscheinen, immer wieder setzt sich der Reporter rigoros selbst mit ihnen in Beziehung. Das kann man als egomanisch abtun - und hat doch mit Respekt vor den anderen zu tun. Schließlich geht es Kuntze auch darum, herauszufinden, "wo man sich engagieren kann, ohne jemandem dabei auf die Nerven zu gehen".
So tastet sich der 66-Jährige in unterschiedliche Bereiche gemeinnütziger Arbeit vor. Er arbeitet in Bayern für ein Bürgerforum gegen Rechts, gibt in Berlin den Leihopa und übernimmt Pflichten für ein Obdachlosenasyl in Köln.
Kuntze lässt sich auch bei Sachen filmen, die ihm peinlich sein müssten. Das mag daran liegen, dass er als öffentlich-rechtlicher Pensionär nichts mehr zu verlieren hat. Aber das hatte der Ex-Lebensgefährte von Doris Schröder-Köpf (mit der er die schon erwähnte Tochter hat) eigentlich schon seit 2001 nicht mehr. Damals gelangte er durch ein Abführtee-Wetttrinken mit Stefan Raab zu einer gewissen Berühmtheit über das Erste hinaus.
Gerade die vermeintlich pietätlosen Augenblicke in "Gut sein auf Probe" verweisen auf den Frust und die Freude, die in ernsthafter ehrenamtlicher Tätigkeit dicht beieinander liegen können. Pikiert reagiert der ARD-Mann, der auch mal als Hauptstadtreporter unterwegs war, als ihn der Obdachlose Daniel bei der Wohnungssuche versetzt.
"Also, Frau Merkel hat mich nicht sitzen lassen", murrt der eitle Fatzke aus Berlin. "Frau Merkel hat wohl auch nicht diese Probleme", entgegnet ihm trocken die zuständige Sozialarbeiterin. Der Zurechtgewiesene schluckt die Kritik, macht weiter und findet dann doch noch eine Möglichkeit zu helfen.
Kuntze vermeidet es, sich der Illusion hinzugeben, man könnte sich mal eben so ins andere Milieu begeben. Grenzen, Limitierungen, Unterschiede werden von ihm nicht geleugnet. Wenn man trotzdem mal zusammenkommt, ist das Glücksgefühl eben umso größer. Ein Ego auf Entdeckertour.
So selbstsüchtig sich Kuntze am Anfang gibt, so glaubwürdig vollzieht er die Wendung zum gesellschaftspolitischen Engagement. Am Ende gesteht er gar: "Früher habe ich immer alles versprochen, und als ich hatte, was ich brauchte, habe ich die anderen einfach stehen gelassen. Ich habe die Leute oft benutzt."
Jetzt ist er mal dran, sich benutzen zu lassen. Als selbstloser Engel setzt sich der Medienprofi in diesem Selbstfindungs-Roadmovie nicht in Szene.
Doch wie wunderbar: Sein Ego-Trip führt ihn direkt ins Ehrenamt.
"Gut sein auf Probe - Ein Egoist engagiert sich", 20.15 Uhr, ARD