Städtebau-Vision Ein Dorf auf den Dächern der Stadt

Kann man öden Hochhäusern und grauen Wohnblöcken etwas entgegensetzen? Ja, sagen renommierte Stadtplaner - und schlagen ein "Vertical Village" vor, ein Dorf auf den Dächern der Stadt. In Hamburg ist es als Modell zu bewundern, in Asien vielleicht bald in der Realität.

Ein bisschen nach Kindergeburtstag in XXL sieht es im Innenhof des Hamburg Museums aus: In der Mitte, umgeben von der rund hundert Jahre alten Backsteinarchitektur von Fritz Schumacher, ist ein riesiger Stapel aus bunten Würfeln und Quadern aufgebaut, einige erinnern mit ihren zackigen Einkerbungen oder ihren Spitzdächern an Baukastenhäuschen.

Die Assoziation ist richtig, denn die aufeinandergetürmten Elemente sind Modelle für verschiedene Haustypen, und ihre Anordnung steht für ein ganzes Dorf - "The Vertical Village". So heißt die Ausstellung im Hamburg Museum am Holstenwall, und schon der Titel macht deutlich: Hier geht es nicht nur um eine neue spektakuläre Architektur-Idee, sondern gleich um eine ganz neue Städteplanung.

Das weltweit erfolgreich arbeitende Rotterdamer Architekturbüro MVRDV um Winy Maas, Jacob van Rijs und Nathalie de Vries hat sich zusammen mit der Studenten-Arbeitsgruppe The Why Factory das "Vertical Village" für die rasant wachsenden Megastädte in Ostasien ausgedacht. Die Experten wollen damit zeigen, was der Tristesse der langweiligen Wolkenkratzer und gesichtslosen Wohnblockbebauung entgegengesetzt werden könnte.

Ausgegangen sind sie von der Frage, wie die Menschen in den neuen riesigen Städten Asiens leben und wohnen wollen. "The Vertical Village" ist zugeschnitten für die Stadt Taipeh. Weil sich aber die gleichen Fragen in Ballungsräumen auf der ganzen Welt stellen, hat die Stadt Hamburg die Ausstellung im Rahmen der Internationalen Bauausstellung IBA an die Elbe geholt.

Jeder kann sich seinen Wohntraum selber bauen

In 20 Stationen sind die Fakten und Fragestellungen der MVRDV-Planer nachzuvollziehen, die zu ihren Lösungsvorschlägen führen. Und wer zunächst durch den mit Fotos der monotonen Hochhausfassaden tapezierten Flur in die Ausstellung geht, ist für jeden alternativen Vorschlag empfänglich.

Wie lässt sich also ein Gebiet verdichten, ohne dass es seine Urbanität und Nachbarschaftlichkeit verliert? Lassen sich Traditionen des Zusammenlebens in dörflichen Gemeinschaften auch in urbanen Baustrukturen fortführen? Kann sich ein "Vertikales Dorf" als eine Gemeinschaft entwickeln, die Vielfalt, Flexibilität und Kommunikation in die Quartiere bringt? "Was wäre", fragte sich MVRDV, "wenn wir urbane Dörfer vertikal wachsen lassen könnten, als Alternative zu einem Meer aus monotonen Blöcken?" Und wenn diese Dörfer mitten in der Stadt auf bereits vorhandene Strukturen (also auf die Hochhäuser) aufgesetzt würden?

Es klingt zunächst wie ein Traum. Und dieser Traum sieht in der Schau so aus: Hausmodule mit Platz für kleine Büros, Arbeitsplätze, Läden, mit Terrassen und Dachgärten, verbunden durch Plätze, Gänge, Wege und Gemeinschaftseinrichtungen. "Man stelle sich einfach eine Villa für jeden vor", sagt Maas. Science-Fiction? Nein, das sei möglich, sagt Maas.

Die Ausstellung geht aus von der Geschichte der ostasiatischen Städte, die jahrhundertelang aus kleinteiligen Gebäuden bestanden und wie Dörfer mit einer starken sozialen Gemeinschaft funktionierten. Abgerissen und fast ausradiert sind diese alten Viertel inzwischen, verdrängt von massiven Wohntürmen mit westlichen Standards und sich ewig wiederholenden Grundrissen und Fassaden.

Gleich in den ersten Kojen zeigen Videos und Fotos das frühere Leben in verschiedenen asiatischen Großstädten. Wie viel davon noch übrig ist und wo weiterer Abriss geplant wird, ist auf Stadtplänen von neun verschiedenen Städten zu sehen. Zwei Dokumentarfilme zeigen, wie die Menschen in den Hochhäusern wohnen, und welche Diskrepanz zwischen dieser Realität und ihren Wünschen liegt. Und eine Grafik belegt, "warum wir urbane Dörfer lieben": wegen ihrer Lebendigkeit zum Beispiel, dem menschlichen Maßstab, dem Mix aus gegenseitiger Unterstützung, Individualität und Flexibilität.

In der Ausstellung kann der Besucher sich aus hunderten verschiedener kleiner blauer Styropor-Klötzchen seine eigene Nachbarschaft zusammenbasteln und an zwei Monitoren mit dem eigens entwickelten Programm "Der Housemaker" sein Wunschheim zusammenstellen. Es ist kinderleicht, denn alle Komponenten eines Hauses sind kategorisiert, und so entsteht das "Traumhaus" im Multiple-Choice-Verfahren.

Schließlich bleibt die Frage: Ist die Vision realisierbar? Sie wird von neun Spezialisten in kleinen Vorträgen auf neun Bildschirmen beantwortet. Es geht, sagen die Stadtentwickler aus Taipeh und Seoul - und die Stadt Taipeh will das in Kürze mit der Realisierung eines "Vertical Village" beweisen. Technische und konstruktive Sicherheit sei möglich, sagen die Architekten und der Statiker. Und die Soziologin und der Philosoph haben weitere Anregungen.

Doch nicht jeder teilt den Optimismus: Eine Gruppe von Hamburger Baumeistern, die als Besucher vor den Monitoren steht, glaubt das nicht und will sich erst gar nicht mit "diesem Quatsch" beschäftigen: "Was das kostet", sagt einer von ihnen. Und ein anderer ist sich sicher, dass die "Versorgung da oben gar nicht machbar" sei.


The Vertical Village. Hamburg. Hamburg Museum , bis 29.9.

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