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"Müde Helden": Burnout in Grau und Blau

Foto: Galerie EIGEN + ART/ David Zwirner/ VG Bild-Kunst/ Foto: Uwe Walter

Hamburger Helden-Ausstellung Die Kunst des Kaputten

Zerstörte Träume, gemarterte Körper: Die starke Hamburger Ausstellung "Müde Helden" zeigt, warum die berühmten Schlaffis auf Neo Rauchs Bildern eigentlich so kaputt aussehen: Der Frust und das Leiden des ganzen 20. Jahrhunderts haben sich in die Burnout-Buben eingebrannt.

Abgeschlafft, ausgebrannt, gebrochen, somnambul - so sehen sie aus, die Helden auf den Gemälden von Neo Rauch. Sie handeln nicht, sie hadern. Oft halten sie irgendeinen Stab in den Händen wie eine Wünschelrute, die zu nichts mehr nutze ist. Bleierne Müdigkeit lähmt sie.

Und es steckt ihnen noch einiges mehr in den Knochen: In ihren ermatteten Gliedern materialisieren sich die verpufften und missbrauchten Träume des 20. Jahrhunderts. Das zeigt jetzt die Ausstellung "Müde Helden" in der Hamburger Kunsthalle. Sie untersucht die Herkunft der Rauchschen Schlaffis aus der Kunst des 20. Jahrhunderts. Sie sichtet ihre Jugend bei den frühlingshaften Knaben, Jünglingen und Frauen von Ferdinand Hodler. Sie verortet die resolute Entfaltung ihrer Kräfte bei den Tatmenschen in den Gemälden von Alexander Dejneka aus den zwanziger und dreißiger Jahren und lässt dann das Jahrhundert der Ideologien ausklingen mit den Burnouts der erschöpften Protagonisten des Leipziger Vorzeigekünstlers.

Die Story, so wie sie die Ausstellung skizziert, beginnt um 1900, als der Schweizer Malerheros Hodler den Typus des Menschen einer neuen Zeit malt: Knaben, Jünglinge oder Frauen, innerlich bewegt oder in tanzartige Bewegungen versunken. Hodler war damals beeindruckt von lebensreformerischem und naturmystischem Gedankengut. Etliche seiner Bilder beschwören pathetisch ein Aufgehen des Menschen in der Natur. Ihre Körper haben Tand und Korsett abgelegt und die Zivilisationszwänge mit ihnen und bewegen sich leicht geschürzt im Freien - nur dem rhythmischen Einklang mit der Natur gehorchend.

Die Trümmer der Geschichte

Alexander Dejneka ist am ehesten bekannt als Schöpfer der Mosaiken in der Moskauer Metrostation Majakowskaja. Als Maler der postrevolutionären Frühzeit der Sowjetunion hat er ab 1924 für seine "Neuen Menschen" sozialistischer Prägung etliche Kompositionsweisen und Motive Hodlers aufgegriffen. Einige seiner Arbeiterinnen scheinen die verdrehten Glieder und gezierten Gesten von Hodlers Sehnsuchtsgestalten zu zitieren. Und selbst eine Frau an der Kohlelore wirkt bei ihm, als würde sie in der nächsten Arbeitspause nicht zur Stulle greifen, sondern Ausdruckstanz treiben. Dabei werden diese Wunderwesen aber nicht vom rhythmischen Wirken der Natur angetrieben. Ihr Elan ist gedopt vom Glauben an technischen Fortschritt und ein Zusammenspiel der menschlichen Produktivkräfte mit der industriellen Maschinerie.

Bei Rauch wiederum sehen viele Figuren aus wie melancholische Anverwandlungen der Protagonisten Dejnekas. Auch sie sind oft noch in industrielle Landschaften eingesponnen. Unter ihren zaudernden Händen aber sind diese schon halb zu postindustriellen Brachen verfallen. Und wo sich bei Hodler die Körper unterm Leibchen abzeichneten und sich bei Dejnekas Arbeitern und Sportlern die Muskeln runden, sitzen bei Rauch vor allem die Leiber der Männer wie verquollen in ihren bauschigen Klamotten.

Ermattet senken sie den Kopf, schlagen die Augen nieder oder kehren allem, was ihnen Neues begegnen könnte, den Rücken entgegen. Um sie herum verstreut, jetzt, am Ende der Geschichte, nur noch deren Trümmer. Und der Traum vom Fliegen, den Dejneka als Eroberung von Welt und Raum an den Himmel malt, ist bei Rauch zum Gag zusammengeschnurrt: Was vom Küchentisch abhebt, kann nur eine Spielzeugrakete sein.

Eine Schneise quer durchs Jahrhundert

Auffällig ist eine Besonderheit der Darstellung bei allen drei Malern. Schon Hodlers beseelte Wesen schweben oft eher, als dass sie stünden. Dejnekas Arbeiterinnen sind mitunter so labil hineingestellt in ihre Produktionsstätten, dass Arbeitsschutzbeauftragte sofort Alarm schlagen müssten. Und Rauchs kaputte Kämpen sind zwar mit dicksohligen Schuhen beschwert, trotzdem aber sind sie oft nur kippelig hineingerückt in die Schienenwege und Bahnen ihrer Lebenswelten.

Zeichnet sich damit bei den beiden Künstlern vom Anfang des 20. Jahrhunderts ab, dass ihre "Neuen Menschen" noch nicht Realität geworden sind, so dominiert bei Rauchs Bildern am Ausgang des Jahrhunderts ein "Nicht mehr": Nicht einmal mehr die Sehnsucht nach einer neuen Utopie scheint möglich.

Selten hat eine Ausstellung eine so konkrete und doch unerwartete Schneise quer durch ein Jahrhundert der Bilder geschlagen und die motivischen und bildkompositorischen Parallelen und Verschiebungen mit so einleuchtenden Gegenüberstellungen belegen können. Getrübt wird das hellwache Vergnügen an den "Müden Helden" allenfalls davon, dass Ausstellung wie Katalog verschleiern, dass die Bezugnahme der Künstler aufeinander zwar evident, aber überhaupt nicht biografisch bezeugt ist.

Tatsächlich wurde bislang kein direkter Beleg dafür gefunden, dass Dejneka Hodler kannte oder sich von ihm anregen ließ. Und auch Rauch antwortet im Kataloginterview gewohnt gewunden auf die Frage, wie er sich denn im Kontext von Hodler und Dejneka fühle. "Ich stoße in diesem Fächer, der hier vor mir aufgeschlagen wird, auf eine ganze Reihe von Arbeiten, die ich nie zuvor gesehen habe, und bin bass erstaunt, dass manches von all dem mir bislang unbekannt Gewesenen in meiner Arbeit eine Art Widerschein darstellt."


Hamburger Kunsthalle, bis zum 13. Mai, www.hamburger-kunsthalle.de. 

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