Hamburger Schauspielhaus Shakespeare auf solidem Sand gebaut
Politischer Umbruch schafft Ungerechtigkeit, aber auch Bewegung: Herzog Frederick reißt die Herrschaft an sich, und die Welt wird kalt und hart. Die daraus folgende bekannte Geschichte von Orlando und seinem intriganten Bruder Oliver sowie den tapferen Mädels Rosalinde und Celia, die nach Verwirrungen und rechtschaffenem Leid endlich Liebe und Freundschaft finden, ist eines der fruchtbarsten theatralischen Biotope für jeden Bühnenregisseur. Jürgen Gosch, der bereits fünf Mal am Schauspielhaus inszenierte und zuletzt in Hamburg mit der Uraufführung von Roland Schimmelpfennigs "Vorher/Nachher" einen großen Erfolg landen konnte, definierte William Shakespeares "Wie es euch gefällt" als ständigen elektrisierenden Wechsel aus harter Arbeit und filigranem Gedankenspiel, gewürzt mit derber Komik.
Dreieinhalb Stunden Welttheater in der Spielkiste
Dass das Leben eine Baustelle ist, wusste man zwar schon, doch wie mühsam es sein kann, sich seine Welt nach Wille und Vorstellung zu erschaffen, dazu benötigt man manchmal schon eine veritable Schippe. Nicht um den Zuschauer auf dieselbe zu nehmen, sondern um den ganzen Bühnen-Sand hinweg zu graben, unter dem sich das Leben versteckt. Goschs munter agile, bestens durchtrainierte Schauspielertruppe knüppelte zu Beginn des Stückes schaufelbewehrt und fit for fun den riesengroßen pyramidalen Sandhaufen auf der Spielfläche nieder, mit Selbstmotivation durch afrikanische Worksongs und allerlei neckischem Gerempel und Genecke - ein perfektes Exposé für die folgenden dreieinhalb Stunden Welttheater in der Spielkiste. Dazu rieselt unaufhörlich feiner Sand von der Decke nach. Die Bühne als Sand-Weltenuhr, das Leben im unendlichen Fluss, schon sind wir mitten in einer kleinen/großen Bilderwelt angekommen.
Orlando muss aus der brutalen und tödlichen Szenerie des Hofes in die vermeintlich reine, idyllische Natur des Ardenner Waldes fliehen - doch so einfach machen es Regisseur Gosch und sein Bühnen- und Kostümbildner Johannes Schütz ihrer Truppe nicht. Die Kraft raubende Schaufelarbeit förderte den Sandkistenrahmen zu Tage, der fortan als zentrales Symbol für die wechselnden Lebensräume der Figuren dient. Denn mehr gibt es nicht an Bühnenbild: Die Personen tragen ihre Welt ansonsten in sich, die Schauspieler wechseln Rollen und Kostüme, das Spiel prägt fast allein das Ambiente, Szenarien gewinnen Kontur aus Dialog, Bewegung, Aktion und sparsamen Requisiten.
Aus der Baugrube wird schließlich ein Strand, und das quirlige Ensemble findet seinen "Hof" in einer Art Robinson-Club-Atmosphäre wieder. So ringt die später als Countrygirl Audrey agierende junge Dame in der Rolle des Brutalos Charles auf sandigem Grund gegen Orlando (wobei Regisseur Gosch en passant das Beach Wrestling erfindet), mal wird das Ensemble zur blökenden Schafherde oder zum Wald, der der Motorsäge zum Opfer fällt. Und wenn dem Prinzen Oliver - der zwischendurch ein demütiges Schaf gibt - mittels eines Schuhes das Fell in Gestalt seines T-Shirts geschoren wird, ergibt das gute Lacher - das Spiel aus Täuschung, Verkleidung, Geschlechtertausch und Perspektivenwechsel treibt stets überraschende und kunterbunte Blüten.
Tom Strombergs Trumpf gegen das Negativ-Image
Dass der Shakespearesche Text und Geist nicht auf der Sandpiste blieb, ist zum einen der von Jürgen Gosch und Angela Schanelec erstellten Übersetzung zu danken, zum anderen aber auch dem brillant bis überschäumend agierenden Ensemble des Hamburger Schauspielhauses. In einer Inszenierung, die kaum Auf- und Abgänge kannte, sondern ständig das ganze Team brachte, es auf Fahrrädern oder joggend über die Bühne hetzte, es tanzen, posieren, rangeln, raufen, umräumen ließ, da bedarf es einer ebenso straffen wie einfallreichen Personenregie, damit dieses Gebäude von Bezügen, Akzenten und Spannungen nicht auseinander fällt.
Natürlich gelingt dies nicht immer: Die Hochzeitszene von Touchstone und Audrey mit dem geilen und ejakulierenden Landpfarrer Martext ist elend platt und unwitzig, manche musicalhaften Gesangseinlagen sind schlicht zu lang und letztlich nervig, doch nie läuft das nur scheinbar chaotische Fest vollends aus dem Ruder. Das Publikum wird durch die Einbeziehung des Saallichtes als Teil der Szenenbeleuchtung sinnfällig einbezogen, Musik gab es nur per Akustikgitarre oder stimmungsvollen Gesang auf der Bühne. Einfache wie perfekte Maßnahmen, mit denen die Klammer zwischen höfischer und idyllischer Welt, zwischen Bühne und Parkett gelang. Beispiele auch für die Finesse und die Kunst der Regie Goschs, der sich, wie schon gewohnt, wesentlich auf die Schauspielerinnen und Schauspieler konzentrierte.
Das Ensemble hatte - der große Aktivposten der Regiearbeit - keine Schwächen, so wurde "nackt" im übertragenen und im Wortsinne gespielt, dicht am Zuschauer, sehr emotional, unverstellt und auch mal übertrieben derb und speichelfeucht. Dabei muss man die 25-jährige, zierliche Mira Bartuschek als Rosalinde besonders laut loben, wie sie als "junger Mann" die Liebenden zueinander brachte: überschwänglich, wildromantisch, auf ihre Art riesengroß und dominant sogar neben der amazonenhaften Freundin, Gefährtin und Fast-Geliebten Celia, die in dieser Konstellation mit Wiebke Puls optimal besetzt war. Die Herren Alexander Simon (Orlando) und Devid Striesow (Oliver) bleiben da nur - sehr ehrenvolle - zweite Sieger.
Erschöpft ist man am Schluss, nass vom Schweiß und häufig reinigenden Bühnenregen aus dem Gartenschlauch, doch ohne Zweifel glücklich nach Stunden harter Arbeit, die hier ausnahmsweise fröhlich stimmte. Nicht nur das Ensemble, sondern auch das Publikum. Einem guten Viertel der Zuschauer war die Show zu grell und wild. Der Rest jubelte, zu Recht und mit vielen Bravos.
Schauspielhaus-Intendant Tom Stromberg hat mit dieser "Wie es euch gefällt"-Version erneut einen Trumpf ausgespielt - der in Hamburg häufig umstrittene Theatermann ist auf dem besten Weg, das scheinbare Negativ-Image des Deutschen Schauspielhauses zu korrigieren. Es muss ja nicht allen gefallen - aber es gefällt immer mehr.