Islamkritiker Hamed Abdel-Samad Unbequemer Kronzeuge

Hamed Abdel-Samad bezeichnet sich als "Kämpfer für die Freiheit" - und wird von der AfD für seine Thesen gefeiert. Jetzt hat der Islamkritiker ein Buch über Integration geschrieben.
Hamed Abdel-Samad

Hamed Abdel-Samad

Foto: Inga Kjer/ picture alliance / dpa

Man hat es nicht leicht mit Hamed Abdel-Samad. Nicht nur mit dem, was er von sich gibt, in Reden, YouTube-Videos, Artikeln und Büchern. Sondern auch damit, ihn zu treffen. Mehrere islamische Geistliche haben 2013 zu seiner Ermordung aufgerufen, weil er den Islam mit dem Faschismus verglich. Und weil die Sicherheitsbehörden von einer realen Gefahr ausgehen, wird Abdel-Samad seither rund um die Uhr beschützt.

Er würde gerne in ein schönes Kaffeehaus in Wien gehen, sagt er. Ob ich eines empfehlen könne. Ich nenne ihm zwei. Er antwortet: "Okay, ich melde mich." Die deutschen Sicherheitsbeamten müssen sich mit ihren österreichischen absprechen, die Lokalitäten müssen geprüft werden. Zwei Stunden später meldet Abdel-Samad sich mit einer Adresse. Sich spontan zu verabreden, ist für ihn nicht möglich. "Was ist das für ein Leben?", sagt er später im Kaffeehaus.

Abdel-Samad, 1972 in Gizeh bei Kairo geboren, 1995 nach Deutschland gekommen, ist einer der bekanntesten und streitbarsten Islamkritiker des Landes. Mit Büchern wie "Der Koran: Botschaft der Liebe. Botschaft des Hasses", "Der islamische Faschismus" oder "Mohamed: Eine Abrechnung" hat er sich einen Namen gemacht. Der Islam sei nicht reformierbar und der politische Islam gefährlich und eine Ideologie der Unfreiheit. Mit Thesen wie diesen ist ihm Aufmerksamkeit sicher.

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Abdel-Samad, Hamed

Integration: Ein Protokoll des Scheiterns

Verlag: Droemer HC
Seitenzahl: 272
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30.03.2023 20.50 Uhr

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Strenggläubige Muslime verabscheuen ihn, nennen ihn einen "Abtrünnigen". Aber auch viele gemäßigte Muslime halten nicht viel von ihm, weil er zu sehr verallgemeinere. Und Linke sehen in ihm einen, der den Rechten nach dem Mund redet. Denn die feiern ihn als Kronzeugen. Das rechte Wochenblatt "Junge Freiheit" findet regelmäßig lobende Worte für Abdel-Samad, auch wenn man zwischen den Zeilen einen gewissen Restekel herausliest, immerhin handelt es sich um einen Mann mit Wurzeln in Ägypten, um einen, der sich bei aller Kritik am Islam immer noch als Muslim bezeichnet. So einen können Rechte offensichtlich nicht bedingungslos gut finden.

Aber so einfach, wie gesagt, ist es mit Hamed Abdel-Samad nicht. Demonstranten vor einer AfD-Veranstaltung zum Beispiel empfingen ihn mit "Verpiss dich!"-Rufen und machten ihm zum Vorwurf, dass er bei dieser Partei auftritt. Doch hört man sich seine Reden auf YouTube an, stellt man fest, dass er diese Partei und ihren Umgang mit allem Fremden kritisiert. "Wenn wir von Syrern oder Flüchtlingen sprechen, geht es um Menschen. Es geht um Einzelschicksale. Politik zu machen auf dem Rücken von Menschen, die sich nicht wehren können, ist unanständig. Punkt."

Nicht alle Zuhörer bei der AfD finden solche Sätze gut. "Sie waren enttäuscht, weil ich nicht gesagt habe, was sie hören wollten", sagt Abdel-Samad. "Und nein, ich würde die AfD nicht wählen. Aber man muss doch mit diesen Leuten reden!" Muss man das? Er sagt, es ärgere ihn, dass man ihn für seine Auftritte kritisiere, aber nicht genau hinhöre, was er sage. "Das ist typisch für die Debatte in Deutschland!"

Gleiche Weltbilder auf beiden Seiten

Er selbst bezeichnet sich als Kämpfer für die Freiheit, auch für die Freiheit des Wortes. "Ich muss niemandem gefallen", sagt er. "Ich bin unabhängig und kann sagen, was ich denke." Die Tatsache, dass nahezu alle seine Bücher Bestseller waren, habe ihm in finanzieller Hinsicht eine gewisse Unabhängigkeit gebracht. "Einerseits zahle ich einen hohen Preis dafür, dass ich meine Gedanken frei äußere, ich bin in meiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Andererseits war ich im Geist noch nie freier als heute." Er habe "mehrere Angebote von etablierten Parteien, in die Politik zu gehen", abgelehnt. Von welchen Parteien, das sagt er nicht.

Dafür hat er Ratschläge an die Politik. In seinem neuen Buch "Integration: Ein Protokoll des Scheiterns" beschreibt er ausführlich, dass die Integration vieler Muslime in Deutschland nicht geklappt habe und wer daran alles eine Mitschuld trage - nicht nur die Zugewanderten, sondern auch die aufnehmende Gesellschaft.

Auf beiden Seiten teilten Menschen "die gleichen einfachen Weltbilder, beide spalten die Welt in Freund und Feind auf, beide sind autoritätshörig und halten freiheitliche Werte und Demokratie für eine Schwäche", schreibt er. Voraussetzung für gelungene Integration sei aber, dass man sich "mit Offenheit und Respekt" begegne.

Er beschreibt den Druck, unter dem viele Muslime innerhalb ihrer eigenen Community stehen: sich richtig zu verhalten, die eigene Identität, die eigenen Werte, Traditionen, Verhaltensweisen beizubehalten. Manche würden in "patriarchalen und konservativ-religiösen Strukturen" leben, in denen vor der "gefährlichen Lebensweise" der "Anderen", also der Mehrheitsgesellschaft gewarnt werde.

Mit allen Seiten ins Gericht gehen

Nicht nur Erfolg in Bildung, Sprache und Arbeit zu haben, sondern sich auch kulturell, sozial, emotional mit dem Land zu identifizieren - all das gehöre zu einer gelungenen Integration, findet er. "Vielen Migranten, auch aus islamischen Ländern, gelingt das", sagt er. "Aber da haben wir ein weiteres Problem: Manche Rechte und selbst Konservative erkennen diese Leistung nicht an, weil sie nicht wahrhaben wollen, dass Muslime sich erfolgreich integrieren können. Das widerspricht ihrem Weltbild vom integrationsunfähigen Muslim."

Abdel-Samad sagt, er fordere mehr Differenzierung von allen Seiten. "Berechtigte Islamkritik ist keine Rechtfertigung, ganze Gruppen auszugrenzen." Und: "Man darf nicht jeden, der nur die leiseste Kritik übt, als Rassisten bezeichnen." Er empfiehlt Deutschland einen Plan, Integration in Angriff zu nehmen: Der Staat solle sich das "Gewaltmonopol zurückholen", es dürfe keinerlei "No-go-Areas" geben. Der Einfluss des politischen Islam müsse zurückgedrängt werden; es müsse ein Einwanderungsgesetz verabschiedet werden, das die Migration "entsprechend dem Bedarf im Land besser reguliert"; die Justiz müsse schneller und effektiver arbeiten, ebenso die Polizei; die Wirtschaft benötige ein moderneres Ausbildungssystem, und Schulen müssten stärker vermitteln, "wie schön Freiheit und Selbstbestimmung" sein können. Wenn man Abdel-Samad reden hört, denkt man: Klingt schön und gut. Aber wie genau soll all das funktionieren?

Alibi-Ausgewogenheit

Auch wenn sein Buch durchaus differenziert ist und mit allen Seiten ins Gericht geht, obwohl der Untertitel "Protokoll eines Scheiterns" anderes erwarten lässt, wird man den Eindruck nicht los, dass seine Kritik Schlagseite zulasten von Muslimen hat. Vielleicht auch, weil er jetzt, nach all seinen islamkritischen Büchern und Vorträgen, Sätze schreibt wie: "Nicht jeder Muslim ist ein potenzieller Terrorist oder Vergewaltiger. Nicht jeder Muslim ist ein wandelnder Koran auf zwei Beinen. Viele Muslime sind aufrichtige Demokraten, darunter auch viele Gläubige." Sag bloß!, denkt man sich. Diese betonte Ausgeglichenheit wirkt bisweilen wie eine Alibi-Ausgewogenheit. Aber da seine Bücher vor allem von Rechten gelesen werden, ist es vielleicht ganz gut, dass Abdel-Samad das schreibt - für sie mögen das neue Erkenntnisse sein.

Am Nebentisch in dem Wiener Kaffeehaus sitzen die Sicherheitsleute, Männer wie Schränke, Knopf im Ohr, bei manchen zeichnet sich unter dem Jackett eine Waffe ab. Ob er sich durch sie gestört fühle, fragt man Abdel-Samad. Er zuckt mit den Schultern. "Sie machen nur ihre Arbeit." Bei seinen Lesungen stehen immer zwei vorne an der Bühne.

Manche Kritiker Abdel-Samads regen sich auf, er mache sich nur wichtig mit seinen Bodyguards, die ganze Security wirke inszeniert. Tatsächlich gehört ihr Auftreten zur Sicherheitsstrategie, es soll mögliche Angreifer abschrecken. Man muss sich immer mal wieder in Erinnerung rufen, warum sie überhaupt da sind: weil dieser Autor wegen seiner Worte von radikalen Muslimen mit dem Tod bedroht wird. Das erklärt einiges darüber, wie Abdel-Samad die Welt sieht.

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