Harald Schmidt im Ersten König Vollbart

Die kreative Winterpause ist vorbei, Harald Schmidt will "schüchtern wieder in den deutschen Arbeitsmarkt einfädeln". Als Mischung aus Käpt'n Blaubär und Elmar Gunsch dozierte der heimgeholte Sohn in seiner ersten Sendung über den kommenden Aufschwung in Deutschland und stillgelegte Schlampenreservoirs.

Als er vor einem Jahr ging, schien der nationale Notstand ausgebrochen. Die Schmidtologen aller Länder waren verzweifelt und rätselten um die Wette: Warum, warum? Ein Leben ohne die Harald Schmidt Show, damals auf Sat.1, war einfach undenkbar. Im vergangenen Sommer hatte man sich schon fast damit abgefunden, obwohl die Hartz-IV-Hysterie mit Schmidt noch viel erregender gewesen wäre. Im Spätherbst dann kam die sensationelle Ankündigung: "He's coming home!"

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Harald Schmidt: Die erste im Ersten

Foto: WDR

Gestern Abend nun kehrte Harald Schmidt nach genau einem Jahr "kreativer Winterpause" zurück auf den Bildschirm im "Ersten". Er "beuge sich damit dem deutlichen Wunsch der überwältigenden Mehrheit des deutschen Volkes", sagte er in seiner eigenen, bescheidenen Art. Auf die neidvollen Spekulationen um sein millionenschweres Honorar antwortete er unter anderem mit dem Hinweis, er wolle doch nichts weiter als sich nach seinem "Praktischen Jahr im Ausland" wieder "auf schüchterne Weise in den deutschen Arbeitsmarkt einfädeln". Das ist vorbildlich. Da freut sich jedes Jobcenter. Das hätte Laurenz Meyer einfallen sollen.

Auf den ersten Blick war der 47-jährige Nürtinger allerdings kaum wieder zu erkennen: Er sah aus wie eine Mischung aus Fritz J. Raddatz, Peter Sloterdijk, Käpt'n Blaubär, Elmar Gunsch und Frank Zander - mit einem Schuss "Methusalem-Komplott", einem kräftigen Hauch Suppenküche und einer kleinen Fahne Asbach Uralt.

Die langen, inzwischen weißgrauen Haare Harald Schmidts fielen, wie einst im Abi-Jahrgang 1976, bis auf die Schultern, und der schmückende Vollbart erinnerte an einen in die Jahre gekommenen verdienten Asphalt-Literaten, der nun endlich eine monatliche Nachtsendung im "Dritten Programm" bekommen hat. Eine nächtliche Blitzumfrage zum Outfit beim gegnerischen Geschlecht ergab: Zwei von zwei Frauen fanden den neuen Schmidt-Look scheußlich.

Eine schöne Bescherung. Aber sie setzte wieder Maßstäbe. Ästhetisch, modisch, zeitgeistmäßig. Die Spaßgesellschaft der neunziger Jahre ist endgültig vorbei, will Schmidt, der einst Glattrasierte, uns sagen. Gerade kurz vor Weihnachten. Das wirklich Wichtige im Leben sind "Werte, Werte, Werte". Und: "Immer an den Zuschauer denken!" Versöhnen statt spalten. Zusammenrücken. Man muss mit den Leuten sprechen, ihnen Orientierung vermitteln. Ein wenig Innehalten im Trubel der Weltläufte frei nach Karl Moik: "Habt's Ihr's recht warm im Stüberl?"

Auch das Ambiente passt sich dem veränderten Zeitgeist an: Nicht mehr die große glitzernde Bühne, sondern ein offensichtlich kleiner gebautes Studio 449, in dem der heimgeholte Sohn der "Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in Deutschland" (ARD) an seinem gleichfalls sparsameren Schreibtisch Platz nahm, um das Ende seines 52-wöchigen Arbeitsurlaubs zu verkünden. Kein Helmut Zerlett mit Band und Koksresten am Ärmel, sondern eine gebührenfinanzierte ARD-Combo, die schön im Hintergrund blieb.

Selbst der getreue Manuel Andrack an seiner Seite, zum "Chefdramaturgen" degradiert, schien irgendwie kostenreduziert und sparsamer im Auftritt. Vor ihm stand ein Glas Wasser, und über den 1. FC Köln wurde nicht gesprochen.

Die Atmosphäre wirkte intim, konzentriert wie in einem Kammerspiel. Keine Stand-up zu Beginn, keine großen Gänge und ausladenden Gesten, keine aufwendigen Modelleisenbahnen oder Sandburgen aus genverändertem Silikonstaub, kein Klimbim und keine Gäste. Jawohl, richtig gehört, keine Gäste! Keine tollen Dekolletees mehr, kein Gekicher und Gegiggel, keine rutschenden Rocksäume und atemberaubend hohe Pumps.

Diese erschütternde Mitteilung wurde dem 102-köpfigen Studiopublikum optisch und akustisch in beeindruckender Weise lautstark nahegebracht. Auch hier bewies Schmidt wieder Gespür für subtile gesellschaftliche Veränderungen. Nachdem der Musik-Sender "Viva", unzweifelhaft "Deutschlands größtes Schlampenreservoir", von seinem neuen Eigentümer stillgelegt wurde, entfällt schon mal die wichtigste Ressource für spontane Einladungen junger Frauen im Alter zwischen 17 und 24 Jahren, die schon einmal ein Mikrophon in der Hand gehalten haben. Aber was sollte das auch, diese halbnackten Mädels vorzuzeigen, die von ihrem letzten Urlaub auf den Cook Islands berichteten?

"Keine Parallelgesellschaften" mehr heißt es jetzt, kein multikulturell unzüchtiger Schnickschnack. Jetzt wird es ernst. Jetzt wird integriert.

"Fit für Deutschland" ist das große Thema, "Generation Reform" das Buch der Stunde. "Es geht aufwärts mit diesem Land", dekretierte Schmidt, der gerade eine Weltreise hinter sich hat und wissen muss, wovon er spricht. Deshalb stellte er auch die neue große Deutschland-Serie vor: "Harold explains today's Germany to the World". Schmidts Englisch hat sich noch weiter verbessert und ist darin wieder ein Vorbild für uns alle: Wir müssen besser werden. Und wir schaffen es, so wahr unser Bundespräsident Horst Köhler heißt.

Als Harald Schmidt genau vor einem Jahr aufhörte, titelte die "Zeit" stellvertretend für das deprimierte deutsche Feuilleton: "Wie es ist, wenn das Denken Pause macht". Das war womöglich ein klein wenig übertrieben, denn auch wir haben zuletzt hier und da ein bisschen vor uns hin gedacht.

Doch Schmidts gestrige Premiere im Ersten hat wieder einmal sein ebenso schlichtes wie geniales Erfolgsrezept verraten, mit dem er auch als Kahlkopf oder mit Irokesenschnitt vor die Kamera treten könnte: Er versucht tatsächlich, im Fernsehen selbständig zu denken. Er hat den Mut und die Frechheit dazu, die Fähigkeit und die Sprache. Das Entscheidende aber: Er tut es wirklich. Das allein ist schon viel mehr, als in diesen Zeiten füglich zu erwarten ist. Eine schöne Bescherung.

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