"Hart aber fair" zur Religion Und Jutta Ditfurth brät im Wok
Es weihnachtet wieder einmal zwanghaft. Ein christlicher Großfeiertag steht bevor - und die Medienmacher passen sich dem Verhalten jener Christen an, die man gemeinhin als Gelegenheitschristen oder als Karteileichen bezeichnet: Denen die Auseinandersetzung mit der Religion das liebe lange Jahr über ziemlich egal ist, die jedoch an Weihnachten für ein paar Minuten ihre religiöse Ader entdecken.
So werfen die Redaktionen in der hektischen Vorweihnachtszeit inflationär Erbauliches auf den Markt. Religion zum Durchblättern zwischen Kochrezepten und Beauty-Tipps, Glaube via Glotze, die Frage nach den letzten Dingen als der letzte Schrei, als Problem, das man kurz mal in einer Talkshow klären könnte.
Und so wurde auch bei "Hart aber fair" in der ARD gestern Abend gefragt: "Wie viel Glaube braucht der Mensch?" - als ob Glaube messbar sei wie die Temperatur einer Fünf-Minuten-Terrine. Die Ankündigung der Sendung war vielversprechend. Frank Plasbergs Redaktion schien das Phänomen der Religion als Medien- und Mode-Ereignis hinterfragen zu wollen. Ist es doch schick geworden, sich in Bücher mit dem schlichten Titel "Gott" zu vertiefen, Pilgern zu gehen - oder vielmehr darüber zu lesen - und Seelen-Wellness im Kloster zu suchen. Doch steckt hinter dieser Entwicklung mehr als ein hastig gelebter Trend? "Wer sucht da? Wer vermisst was?", fragte Plasberg.
Jedenfalls vergeblich suchte man in der Runde einen Vertreter der Kirche wenngleich man ihn nicht notwendigerweise vermissen müsste. War denn im vorweihnachtlichen Stress kein Bischof oder Pfarrer bereit, als Fachmann über die conditio humana oder über die Not und den Segen des Glaubens Auskunft zu geben? Oder verzichtete die Redaktion von vornherein auf einen Kirchenmann, weil man sich von Geistlichen nichts mehr verspricht? Die "Zeit" hat gerade in ihrem Feuilleton-Aufmacher mit dem Titel "Schluss mit dem Geschwätz!" die miserable Qualität der Weihnachtspredigten beklagt.
"Der Sinn der ganzen Chose"
Doch so schlecht kann eine Predigt schwerlich sein, dass sie gegen diese Sendung abfiele. Und die Plasberg-Befragung dauerte keine 20 Minuten wie die gemeine protestantische Predigt, sondern 75. Eine geschlagene Stunde dauerte es bis zum ersten und einzigen erwähnenswerten Dialog. Dieser entspann sich zwischen der Atheistin Jutta Ditfurth und dem Bestsellerautor und Psychiater Manfred Lütz, seines Zeichens Mitglied des Päpstlichen Rates für die Laien.
Ich frage Sie, Frau Ditfurth, sprach Lütz sinngemäß, wenn es keinen Gott gibt, ist dann nicht alles sinnlos? "Ohne Gott alles sinnlos? Komische Vorstellung!", konterte Ditfurth. Doch die Unterdrückten, die ungerecht Behandelten? Wie ist Gerechtigkeit für die Opfer der Geschichte möglich, wenn es keine Instanz über den Tod hinaus gibt?, so Lütz. Und Ditfurth hob an, den "Sinn der ganzen Chose" zu erklären: "Wir werden geboren und wir sterben und dazwischen haben wir die Chance, die Zeit sinnvoll zu füllen. Der Sinn fällt nicht vom Himmel, sondern den schafft man sich selbst."
Wenigstens ein kleiner Wortwechsel, der einigermaßen sinnvoll daherkam. Der Rest: sinnentleerte Zeitverschwendung. Geistige Dürftigkeit, die an einem intelligenten Schöpfer zweifeln lässt wenn es ihn denn gibt. Gequassel, Lichtjahre entfernt von der Idee des Christentums, dass der Logos, das Wort, die Vernunft, in diese Welt eingegangen sei: "Der Papst ist ein lächelnder Tyrann, im Kern ein knallharter Dogmatiker, der ausgrenzt" (Ditfurth). "Katholiken praktizieren die Vielgötterei: Vater, Sohn, Heiliger Geist, Mariechen und die Heiligen sind auch noch dabei" (Kabarettist Jürgen Becker). "Ich stelle mir keinen persönlichen Gott vor. Doch wenn man Weihrauch geschnuppert hat, steckt das in einem drin. Das ist der Kindergott. Ich bete hin und wieder. Der Gesprächspartner ist der Kindergott" (Publizist Rainer Holbe). "Religion ist Hirnforschung ohne Abitur" (Becker).
"Das letzte Aufgebot Gottes"
Leider blieb auch der Moderator weit unter seiner Form. Plasberg, der es oft vorbildlich versteht, auf den Punkt zu kommen, seine Gäste nicht abschweifen zu lassen und bei schlechten Antworten nachzuhaken, gelang es nicht, die Diskussion zu vertiefen. Und Glaube hat nun mal mit Tiefe zu tun.
Die Filmbeiträge, beliebig und fürs Thema irrelevant: eine Straßenumfrage über die religiöse Ungebildetheit der Deutschen: Warum waren Josef und Maria nach Bethlehem unterwegs? Antwort: Die sind stiften gegangen vor Herodes. Welche Geschenke brachten die drei Könige an die Krippe? Antwort: Gold und noch zwei Sachen zum Essen. Ein Besuch bei einem der Armut verpflichteten Orden, der am Bodensee ein Luxushotel betreibt Donnerwetter, so was gibts! Die ganz neue Feststellung, dass nicht die Kardinäle Lehmann, Meisner oder Bischof Huber die Bestsellerlisten anführen, sondern die anwesenden Lütz ("Gott eine kleine Geschichte des Größten") und Lanz ("Und plötzlich guckst du bis zum lieben Gott Die zwei Leben des Horst Lichter") und Hape Kerkeling mit "Ich bin dann mal weg", mithin ein Psychiater, ein Boulevardjournalist und ein Komiker, kurz: "das letzte Aufgebot Gottes". Sehr lustig.
Überhaupt Markus Lanz. Der RTL-Moderator und Ex-Mann von TV-Frau Birgit Schrowange wusste sehr viel beizutragen. Immerhin, so erfährt man, hing in seinem Elternhaus "in einem kleinen katholischen Bergdorf in Südtirol" über der Kücheneckbank ein Kreuz und links neben der Tür eine Schale mit Weihwasser, und als Junge wurde Lanz von der Mutter Maria tagtäglich gesegnet. Und nur dank des Dorfpfarrers bekam er Zugang zu Bildung die er gleich artig vorführte: "Die Kirche lehrte mich dialektisch zu denken: These, Antithese, Synthese." Und auch beim Dynamit kennt sich der "Explosiv"-Moderator aus: "Die Vielgötterei wurde auf dem Olymp abgeschafft", Gott sei fortan ein "geistliches Wesen" gewesen, "das war revolutionär. In der Grundidee steckt eine Menge Sprengstoff drin".
In der Hölle schmoren wie in einem Pizzaofen
Christentum, ein echter Knaller. Dann weist Dialektiker Lanz darauf hin, dass Glaube vor allem eine emotionale Sache sei. Er erzählt von einem "einfachen Nomaden" in Afrika, den er kürzlich kennengelernt habe. In der Wüste. Unterm Sternenzelt. Wie der einfache Mensch gebetet habe. "Ich hab ihn in diesem Moment beneidet. Das hatte etwas zutiefst emotionales. Er war glücklich." Aus dem Bereich der Unterhaltungsmusik grüßen Gitti und Erika, Marianne und Michael und Hansi Hinterseer.
Das Potpourri an Fragen und Phrasen zum Thema Religion ist noch nicht beendet. Das Stichwort Islam fehlte noch. Immerhin sind bereits zwischen 15.000 und 40.000 Deutsche (von 80 Millionen!) konvertiert. Ein Filmbeitrag über einen Prediger auf dem geistigen Niveau eines Vorschulkindes wird eingespielt. Er warnt die Gläubigen vor der drohenden Hölle. Die sei wie ein Pizzaofen, und darin wolle ja schließlich auch niemand schmoren.
"Was macht Sie so sicher, dass sie nicht ins Fegefeuer kommen", will Plasberg daraufhin von Ditfurth wissen. Bevor sie antworten kann, ruft Kabarettist Becker der Ex-Grünen zu: "Sie kommen eher in einen Wok!" Und Markus Lanz weist klug darauf hin, dass der islamische Bußprediger gar nicht so durchgeknallt sei im arabischen Kulturkreis spreche man "im Allgemeinen eine blumige Sprache". So ist es wohl.
Und weil jeder in der Sendung alles sagen kann, wirft der päpstliche Berater Lütz in der letzten Minute noch schnell die Gottesfrage angesichts von Auschwitz auf. Und zu aller Letzt sieht man Jürgen Becker in seiner Rolle als Heimathirsch aus der Sendung "Mitternachtsspitzen" schunkelnd den Karnevalssong "Ich bin so froh, dass ich nicht evangelisch bin" zum Besten geben. Ein wahrlich geweihter Abschluss. Wie pflegt man im protestantischen Württemberg zu flehen? "Herr, schmeiß Hirn ra!"