Heck-Gala zum 70. Betonfrisuren im Nostalgierausch
Die Stimmen bröckelten, aber die Frisuren standen wie Stahlbeton. Viele der singenden Gratulanten, die zur großen Überraschungsgala für Dieter Thomas Heck gekommen waren, hatten die Pensionsgrenze schon längst hinter sich gelassen. Ihre Haare trugen sie trotzdem voller Stolz und Experimentierlaune. Bernd Clüvers ergraute Matte schwang wie eine komplizierte Brückenkonstruktion über seinen Schultern, der immer noch kornblonde Jürgen Marcus hatte sich einen Mittelscheitel gezogen so tief wie der Grand Canyon, und Ricky Shaynes schwarze Lockenpracht war gar in der Form eines kleinen Atompilzes toupiert. Dieter Thomas Heck wurde 70, und das in die Jahre gekommene Stammpersonal seiner ZDF-Hitparade hatte sich fast geschlossen eingestellt. 480 Gratulanten insgesamt waren laut Gastgeber Johannes B. Kerner angereist so viele also, dass sie von der Regie auf trickreiche Weise durchs opulente Programm kanalisiert werden mussten.
Eher unwichtige oder verhaltensauffällige Charaktere wie Christian Anders oder Gunter Gabriel schleuste man deshalb gleich am Anfang mit Gruppendarbietungen am Biertischchen des Jubilars vorbei, wo sie dann stürmisch von ihm abgeknutscht wurden. Im Anschluss boten Garanten gepflegter Unterhaltung wie Michael Holm, Ingrid Peters oder Tony Marshall extra für Heck umgedichtete Versionen ihrer Hits in einer schier nicht enden wollenden Halbplayback-Parade dar.
"Deutsche Leistungsbereitschaft"
Nur den ganz Großen waren indes gesonderte Live-Auftritte vorbehalten. Udo Jürgens etwa sang am Flügel eine aufwühlende Hymne auf Heck, die gefährlich an die Melodie aus dem Werbespot für die Billig-Praline "Merci" erinnerte. Roland Kaiser, der Schlechte-Laune-Querulant der Schlagerszene, brummte im Stil eines Chansonniers vom Barhocker herunter Poesie. Und Nicole ließ ihre Stimme beben wie eine erzürnte Liedermacherin, als sie den 70-Jährigen als ehrlichen Fels in der Brandung des Lügenmeers Fernsehen besang.
Es ging also ums Wesentliche. Das wurde dann irgendwann selbst den etwas schlichteren Gemütern unter den Zuschauern bewusst, als sich die große Politik zum Gratulieren einstellte. Das Geburtstagskind kennt ja fast alle einstigen und aktuellen Amtsträger persönlich; die meisten duzt er. Gleich am Anfang hatte Kerner schon die Grußbotschaft der Kanzlerin verlesen, die Hecks Verdienste fürs Land feierte. Gegen Ende sprachen sie dann alle persönlich vor: der Althaus, der Beck, der Kohl.
Und gerade in den Politikerworten ließ sich erkennen, dass gestern Abend nicht nur eine Fernsehära zu Ende ging, sondern auch ein Stückchen der alten Bundesrepublik. Einer Bundesrepublik des Honoratiorentums, die der glühende CDU-Fan Heck wie wohl kein zweiter im deutschen Fernsehen verkörperte.
Wirtschaftskraft und Unterhaltungswille gingen in Heck-Land stets Hand in Hand, Erfolg verpflichtete hier zum Gemeinwohl. So jedenfalls legten es im ZDF die gelegentlich etwas unbeholfenen Formulierungen der Gratulanten nahe: Saarlands Ministerpräsident Peter Müller etwa lobte den Jubilar, der im Charakter seinem Bundesland sehr ähnlich sei: "Deutsche Leistungsbereitschaft trifft auf französische Leichtigkeit." Und Innenminister Schäuble feierte auf recht indiskrete Weise die Hilfsbereitschaft des Fernsehmillionärs Heck: "Wir haben uns oft getroffen auf ihrem herrlichen Schloss oder bei der Welthungerhilfe."
Hitparade als Integrationsanstalt
Reichtum und Geberlaune, Anstand und Exzess das ging medial höchst verträglich zusammen bei Dieter Thomas Heck, der sich trotz schnellen Mundwerks sowie extrem hohen Bier- und Schnapskonsums ohne nennenswerte Skandale über die Jahrzehnte brachte. Im Grunde rettete er den Optimismus des Wirtschaftswunders durch die Turbulenzen und Umbrüche der Dekaden bis in die Achtziger und Neunziger.
Denn auf unnachahmlich stoische Weise versöhnte die christdemokratische Stimmungskanone, die einst mit den Liedzeilen "Wähl auch du: CDU" in den Wahlkampf gezogen war, auch immer wieder das auseinanderbrechende Land mit sich selbst.
Man nehme nur das Thema Migration. Die gab es für Heck gar nicht: Auch wenn die Bundesrepublik mal ein "Gastarbeiter"-Land gewesen ist: Hier wurde gefälligst Deutsch gesprochen und also auch Deutsch gesungen! So zeichnete der Starmoderator, der gestern auch seinen Abschied als Moderator bekannt gab, jedenfalls am gestrigen Abend kurz und knapp seine gesellschaftspolitische Vision nach. Und der Erfolg hatte ihm schließlich auch Recht gegeben. Denn seine Hitparade war ja eine Integrationsanstalt nach dem Geschmack vieler aktueller CDU-Ministerpräsidenten, in der nichtdeutsche Unterhaltungskünstler zu Mustermigranten erzogen worden sind: Der Serbe Bata Illic, der Grieche Costa Cordalis, der Tscheche Karel Gott alle drei waren natürlich auch am Samstag dabei sangen dort ihre Lieder in fast perfektem Deutsch.
So ging gestern Abend im ZDF eben auch eine Ära zu Ende, in der man auf schwierige Fragen stets einfache Antworten hatte. Noch einmal wollte man die Wonnen fast kompletter Sorglosigkeit ausleben weshalb sich die Gala auf fast drei Stunden zog. Nach ungefähr 200 nassen Männermundküssen und einem geschätzten Dutzend gut gezapfter Pils hieß es dann aber auch für Dieter Thomas Heck Abschied nehmen. So feucht, so fröhlich, so grundoptimistisch wird deutsches Fernsehen nie wieder werden.
RICHTIGSTELLUNG:
In der ursprünglichen Fassung dieses Textes hatten wir geschrieben, dass Roland Kaiser seine Darbietung "rotweinselig" gegeben habe. Sofern wir dadurch den Eindruck erweckt haben, dass Herr Kaiser während seines Auftritts angetrunken war, so bedauern wir dies sehr. Selbstverständlich war dies nicht der Fall. Red.