Heidelberger Stückemarkt Wie man als Deutscher Israel kritisiert
Er war noch nie in Israel gewesen, er hatte sich noch nie groß mit dem Palästina-Konflikt beschäftigt, er hatte die ganze Region kaum je im Blick gehabt. Der Regisseur und Diplom-Politologe Torge Kübler, 38, war "sehr unvoreingenommen", wie er es ausdrückt, als er zur Recherche für das dokumentarische Theaterprojekt "The Peace Syndrome" nach Israel reiste.
Sein allererster Termin hatte es gleich in sich: Kübler fuhr auf eine Demonstration, bei der er eine propalästinensische Aktivistin kennenlernte - eine Jüdin aus Israel. "Da fing es an, für mich sehr verwirrend zu werden." Was er politisch meint und auch ein wenig privat, denn am 30. April wird Kübler jene Aktivistin in Heidelberg heiraten. Die Hochzeit ist vormittags um 10.30 Uhr auf dem Standesamt, unter Federführung von Heidelbergs Bürgermeister Wolfgang Erichson, die Premiere des Israel-Projekts abends um 18 Uhr im Zwinger1 des Heidelberger Theaters. "Für mich wird es auf jeden Fall ein aufregender Tag", sagt Kübler.
Idealisten im Kibbuz
Seine private Geschichte wird ins Bühnengeschehen einfließen, ebenso wie die privaten Geschichten der Interviewpartner, die er in Israel getroffen hat: Idealisten, die ihren Zivildienst in einem Kibbuz leisten, die in einem Altersheim für Holocaust-Überlebende arbeiten, die in Schulen in Ramallah Musikunterricht geben, die in Flüchtlingslagern Theater spielen oder Demos organisieren gegen die Sperrmauer zwischen Israel und dem Westjordanland.
Die zentrale Frage, die Kübler bei seiner Recherche umgetrieben hat, war diese: Darf man als Deutscher Israel kritisieren? Die Antwort, die er gefunden hat, ist eindeutig und ist es auch wieder nicht: "Ja, man darf", sagt er, "aber es ist nicht so einfach." Man müsse sich fragen, ob man genug wisse, um zu kritisieren.
Auf der Bühne werden zwei deutsche Schauspieler stehen, einer aus Ost- und einer aus Westdeutschland, zudem zwei israelische Schauspieler, eine in Tel Aviv aufgewachsene Frau mit einer Holocaust-Überlebenden zur Großmutter und ein Mann mit jüdischer Mutter und arabisch-christlichem Vater. Die Deutschen werden meist Deutsch sprechen, die Israelis meist Hebräisch, in manchen Szenen sprechen alle gemeinsam Englisch. Übertitel sorgen dafür, dass die Zuschauer alles verstehen.
Stückeschreiber treten gegeneinander an
Das Dokuprojekt "The Peace Syndrome" beschließt die Partnerschaft "Familienbande" zwischen dem Theater Heidelberg und dem Teatron Beit Lessin in Tel Aviv, die sechs gemeinsame Arbeiten deutscher und israelischer Künstler umfasst. Gleichzeitig eröffnet das Projekt den 28. Heidelberger Stückemarkt, die wichtigste Talentbörse des deutschen Theaters. Herzstück des Festivals ist der renommierte Autorenwettbewerb, in dem zehn junge Stückeschreiber um vier Preise in Höhe von insgesamt 23.500 Euro konkurrieren; ihre Texte werden in szenischen Lesungen präsentiert.
Gastland ist die Türkei: Im Autorenwettbewerb selbst stellen drei junge türkische Dramatiker ihre Stücke vor, darüber hinaus gibt es drei Gastspiele aus der Türkei und mehrere Produktionen, die sich mit Türken in Deutschland und Migrationskultur allgemein beschäftigen, darunter die vielgepriesene Inszenierung "Verrücktes Blut" vom Berliner Ballhaus Naunynstraße und die Fatih-Akin-Adaption "Gegen die Wand" vom ausrichtenden Theater Heidelberg.
Zu den Höhepunkten zählen die Gastspiel-Inszenierungen der Texte von mächtig gehypten Jungautoren wie Philipp Löhle (ausgezeichnet beim Heidelberger Stückemarkt 2008), Nis-Momme Stockmann (ausgezeichnet beim Heidelberger Stückemarkt 2009), Wolfram Lotz und Oliver Kluck. Bei kaum einem anderen Theaterfestival dürfte es dieses Jahr die Gelegenheit geben, so viele Nachwuchsstars in so kurzer Zeit kennenzulernen.
Und wer weiß: Vielleicht ist unter den zehn Wettbewerbs-Teilnehmern der Nachwuchsstar der Zukunft.
Heidelberger Stückemarkt. 30. April bis 8. Mai, Programm im Internet, Karten unter Telefon 06221/582 00 00.
The Peace Syndrom. Uraufführung zur Eröffnung des Heidelberger Stückemarkts am 30. April um 18 Uhr im Zwinger1 des Theaters Heidelberg, Zwingerstraße 3-5, weitere Aufführungen am 18., 19. und 20. Mai, Karten unter Telefon 06221/582 00 00.