Margarete Stokowski

Herbert Grönemeyer Bis wie viel Dezibel ist Antifaschismus erlaubt?

Herbert Grönemeyer äußert sich laut gegen Rassismus - und wird kritisiert. Das ist falsch. Und zwar nicht nur, weil Grönemeyer schon immer klang, wie er halt klingt. Sondern, weil wir Antifaschismus in jeder Lautstärke brauchen.
Herbert Grönemeyer hat sich gegen rechts gestellt - und wird nun kritisiert

Herbert Grönemeyer hat sich gegen rechts gestellt - und wird nun kritisiert

Foto: Carsten Rehder/ DPA

Es gibt einen Mineralwasserhersteller, der auf die Deckel seiner Flaschen "laut" oder "leise" schreibt - je nachdem, ob das Wasser mit oder ohne Kohlensäure ist. Alle verstehen die Unterscheidung, aber realistischerweise muss man schon sagen, dass "laut" als Bezeichnung für Sprudelwasser ein bisschen übertrieben ist. Es ist zwar im Verhältnis lauter als stilles Wasser, aber nicht wirklich laut. Wenn man sich allerdings sehr lange mit stillem Wasser beschäftigt, dann kann einem Sprudelwasser irgendwann laut vorkommen.

Und wenn man sehr viele Hitler-Dokus gesehen hat und nicht mehr daran gewöhnt ist, dass Antifaschisten auch mal laut werden, dann kann man sich in der Causa Grönemeyer natürlich auch mal wundern. Huch, brüllend gegen rechts, geht das denn? Entschuldigung, aber ist es inzwischen so weit, dass nur noch Nazis laut werden dürfen? Bis wieviel Dezibel ist denn Antifaschismus erlaubt laut Hausordnung?

Heutzutage gibt es eine Menge, wovor man Angst haben kann

Es ist eigentlich nicht so kompliziert. Herbert Grönemeyer hat sich auf einem Konzert gegen Rassismus geäußert, nicht zum ersten Mal und nicht besonders ausführlich. Das sollte im Grunde überhaupt nicht kontrovers sein.

Die Debatte darüber entsteht, weil wir in einer Zeit leben, in der Menschen sich von so einer schlichten Aussage angegriffen fühlen. In einer Zeit, in der offen Rechtsextreme immer wieder versuchen, ihre GegnerInnen als die eigentlichen FeindInnen der Demokratie zu beschimpfen. In einer Zeit, in der Leute sich bisweilen sehr genau überlegen, ob und wie sie sich gegen Nazis engagieren, weil sie die Konsequenzen fürchten, und das nicht ohne Grund.

Der Dramaturg und Autor Bernd Stegemann twitterte zu dem Videoausschnitt von Grönemeyers Konzert: "Der Tonfall, mit dem Grönemeyer sein Publikum politisch anheizt, macht mir ein wenig Angst. Ich sag's ungern, aber er klingt wie ein Redner vor 1945." Interessant. "Wollt ihr den totalen Krieg" und "diese Gesellschaft ist offen, humanistisch" - who could tell the difference?

Man könnte ja denken, wenn jemand gegen Nazis ist, dann gibt es heutzutage eine Menge, wovor man Angst haben kann. Morddrohungen, Todeslisten, rassistische Angriffe, mir fällt so einiges ein - aber ein Sänger, der zwischen zwei Liedern eine kurze politische Ansage gegen Rassismus macht, gehört nun wirklich nicht dazu.

Stegemann erläuterte sein Unbehagen noch in einem längeren Text für den "Cicero" und kritisierte darin Grönemeyers Lautstärke ("dabei bedient sich dieses Brüllen für das vermeintlich Gute des rechten rhetorischen Mittels überhaupt") und die Tatsache, dass Grönemeyer sagte, "wenn Politiker schwächeln (...), dann liegt es an uns zu diktieren, wie ne Gesellschaft auszusehen hat" - ein "bemerkenswert totalitärer Satz" für Stegemann.

Grönemeyer klang doch noch nie anders

Unangenehm zu sehen, wer sich alles in die Grönemeyer-Kritik von rechts einreihte.

  • Denn da war nicht nur Erika Steinbach, die twitterte: "Aus diesem Holz sind Diktatoren geschnitzt. Und der Außenminister steht diesem Anti-Demokratie-Gröler in nichts nach."
  • Da war nicht nur Beatrix von Storch, die erklärte, Heiko Maas, der Grönemeyer unterstütze, sei ein Fall für den Verfassungsschutz. (Lustig, denn dann ist auch das Grundgesetz ein Fall für den Verfassungsschutz.)
  • Da war auch "Zeit"-Redakteur Jochen Bittner, der auf Heiko Maas' Zuspruch und Dank an Grönemeyer antwortete: "'Wenn [demokratisch gewählte] Politiker schwächeln, liegt es an uns, zu diktieren, wie eine Gesellschaft auszusehen hat' ist eine Vorstellung von freier Gesellschaft, die Sie unterschreiben, Heiko Maas?" - als wäre er da an einer ganz großen Sache dran.
  • Und "Welt"-Chef Ulf Poschardt, der schrieb: "Besonders witzig von jemand der in London vor unseren Steuersätzen geflüchtet ist." Besonders eigenartig, da Grönemeyer schon mehrfach erklärt hat, er sei in Deutschland gemeldet und zahle hier auch Steuern - und obendrauf mal verlangt hat, Reiche stärker zu besteuern.

Das Hauptding an Grönemeyers Statement scheint zu sein, dass er es sozusagen a cappella vorgetragen hat. Ich bin keine Expertin, aber er klang doch noch nie anders? Bisschen Bass und Klavier drunter, und es wäre ein normales Lied gewesen. Lustig ist, dass Grönemeyer auch sagte: "Wir müssen diesen Leuten so schnell wie möglich und ganz ruhig den Spaß daran austreiben: keinen Millimeter nach rechts." Das "ganz ruhig" ist irgendwie untergegangen in der Debatte.

Eine Art Kategorienschock

Natürlich hat er recht. Wir brauchen Antifaschismus in seiner ruhigen und erklärenden Version, aber wir brauchen ihn auch in der lauten, enthusiastischen Version. Wir brauchen alle Lautstärken und noch wesentlich mehr reichweitenstarke KünstlerInnen, die sich offen gegen rechts aussprechen - das reicht natürlich nicht. Es ist eine sehr simple Form politischen Engagements, einem Sänger zuzujubeln, aber es ist auch keine schlechte, denn es muss ja dabei nicht bleiben.

Auf "Zeit Online" hat Johannes Schneider (unter der wirklich brillanten Überschrift "Gib mir mein Hetz zurück" ) erklärt, dass Deutsche sich schwer damit tun, Faschismus am Inhalt zu erkennen, sie halten sich lieber an die Form: "Beim gemeinsamen Crescendo von Volk und Führungsgestalt wird Deutschland sensibel. Faschismus erkennt es an der Tonlage. All die Jahrzehnte mit Guido Knopp (...) haben Wirkung gezeigt. Wer brüllt, verrät sich selbst." Das stimmt alles. Deswegen sind die Leute so erstaunt, wenn sie hören, dass der Nachbar, der morgens immer grüßt und samstags seinen Rasen mäht, ein Nazi sein soll. Eine Art Kategorienschock.

Das eine ist, dass die Leute lernen müssen, dass Nazis auch still und höflich sein können. Und das andere ist, dass dieses Land gut daran täte, möglichst viele Formen von Antifaschismus zu kultivieren. Ich glaube, es muss uns klar sein: Wenn Politiker, Dramaturgen und Journalisten schwächeln, dann liegt es an uns, leise und laut zu kämpfen oder wie auch immer wir es für richtig halten.

"Glaubt nicht, dass ihr uns nervös machen könnt": Herbert Grönemeyer sorgte mit Aussagen bei einem Wiener Konzert für Aufsehen - schon vor einem Jahr sagte er im SPIEGEL-Gespräch den Rechten den Kampf an. 

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