Heute in den Feuilletons "Das Betriebssystem der Lüste"

Die "NZZ" fürchtet, dass Großbritannien im Meer versinkt. Die "FAZ" fragt, ob der Libanon vor einem neuen Bürgerkrieg steht. Die "FR" kritisiert einen gewissen Minimalismus der neuen Flick-Ausstellung in Berlin. Und die "taz" fragt, was Porno im Pop sucht.

Frankfurter Rundschau, 27.09.2005

Unzufrieden  ist Elke Buhr mit der neuen Flick-Ausstellung "Fast nichts"  im Hamburger Bahnhof in Berlin: "Wer thematische Ausstellungen machen möchte, die konsistent argumentieren, sollte sich nicht gleichzeitig zum Schaufenster einer privaten Sammlung machen, sondern ist dringend beraten, sich von geeigneten Leihgebern die passenden Werke zu besorgen, wie es die Art seriöser Museumsausstellungen ist. Das würde zum Beispiel auch die Peinlichkeit vermeiden, eine Schau zum Thema Minimalismus ohne ein einziges Werk von Donald Judd bestreiten zu müssen."

Weitere Artikel: Christoph Schröder sah  Frankfurts Linke den 35. Geburtstag des Verlags Stroemfeld/Roter Stern feiern: "Die CDU-Oberbürgermeisterin kam vorbei und sprach ein Grußwort (in früheren Zeiten hätte man sie wahrscheinlich gar nicht reingelassen)." Sebastian Moll schreibt  über den Saisonstart in den Galerien des New Yorker Viertels Chelsea: "Es ist so viel Geld da wie nie und es wird immer mehr." In Times Mager bewundert  Hilal Sezgin die Modernität der arabischen Barbiepuppe Fulla (Bild ).

Besprochen werden Robert Wilsons Inszenierung  des "Wintermärchens am Berliner Ensemble ("hinreißend springen die Schäfchen, wenn in der Theaternacht an Böhmens Küste Sterne vom Himmel regnen", schwärmt Nikolaus Merck), die Inszenierungen  von Shakespeares "Sommernachtstraum" und Roland Schimmelpfennigs "Ambrosia" unter der neuen Intendanz von Anselm Weber am Essener Grillo-Theater und drei Operninszenierungen  in Berlin, "Sophie's Choice", "La forza del destino" und "Madame Butterfly".



Die Tageszeitung, 27.09.2005

Robert Defcon versteht  all die Larmoyanz nicht, die sich in der Debatte um die Pornoisierung des Pop aufgestaut hat, wie er in einer Besprechung des Readers "Porno-Pop" schreibt: "Die Eskalationshypothese eines 'Immer geiler, immer härter', der das Buch 'Porno-Pop' sein Entstehen verdankt, klingt manchmal dann doch eher protestantisch tendenziös. Das Betriebssystem der Lüste hat sich eben verändert, die Kicks und Fetische haben sich verschoben. Wenn es vor vierzig Jahren um Ohnmacht, Schrei- und Weinkrämpfe am Rande von Rockkonzerten ging, geht es heute in manchen Pop-, Rap- und Elektronikstyles - auch - um Geilheit."

Weiteres: In seiner Jazzkolumne erzählt  Christian Broecking, wie sich Wynton Marsalis  und andere Musiker für New Orleans engagieren, das sie nicht der "Gleichgültigkeit des alten Systems" überlassen wollen. Besprochen werden eine Ausstellung  zum Werk des japanischen Architekten Kisho Kurokawa im Deutschen Architektur Zentrum  Berlin und das neue der rellen Wirklichkeit gewidmete Merkur-Doppelheft .

Auf der Meinungsseite fragt  Micha Brumlik, noch Direktor des Fritz-Bauer-Instituts , welche materiellen Interessen die Grünen eigentlich bedienen wollen: "Dass sie einen weiten Rock, geschneidert aus postmateriellen Werten und einer universalistischen Moral und Weltoffenheit besitzen, wissen wir. Aber welches ist das Hemd, das auch ihnen näher steht als der weite Rock?"

Und noch Tom .



Die Welt, 27.09.2005

Der evangelische Landesbischof aus Bayern Johannes Friedrich erklärt, warum es seiner Kirche unmöglich ist, an der neuen Einheitsübersetzung der Bibel mitzuwirken: "Im Jahr 2001 erschien eine vatikanische Instruktion unter dem Titel 'Liturgiam authenticam' , die den volkssprachlichen katholischen Bibelübersetzungen strenge Eckdaten vorgab. Die Übersetzung sollte nicht aus der griechischen, beziehungsweise hebräischen Grundsprache, sondern nach der lateinischen Neo-Vulgata erfolgen. Sie müsse die gesunde katholische Lehre widerspiegeln. Und es dürfe in ihr kein Sprachgebrauch gepflogen werden, der an den Sprachgebrauch nicht katholischer kirchlicher Gemeinschaften erinnere. Diese Vorgaben bestanden vor 30 Jahren nicht."

Weitere Artikel: Paul Badde besucht  das von Richard Meier geplante Museum  für den Friedensaltar des Augustus in Rom. Stefan Keim schreibt  über den Neubeginn des Theaters in Essen unter Anselm Weber. Besprochen werden die Ausstellung  "Evolution - Wege des Lebens" im Dresdner Hygienemuseum , Paul Hindemiths Oper  "Mathis der Maler" unter Simone Young in Hamburg, Puccinis "Madame Butterfly"  an der Komischen Oper Berlin, die Ausstellung  "Carlfriedrich Claus - Schrift, Zeichen, Geste" in Chemnitz .



Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.09.2005

Droht im Libanon ein neuer Bürgerkrieg? Nach dem Attentat auf die christliche Journalistin May Chidiac besucht Souad Mekhennet das Land und schildert die unheimlichen Bedingungen seiner Recherche: "'Sie sollten auf sich aufpassen', lautet der Rat eines libanesischen Kollegen. 'Das größte Verbrechen ist hier, wenn du auf der Suche nach der Wahrheit bist.' Der Satz bleibt haften. Unser Fahrer wartet im Auto, auch wenn ein Termin Stunden dauert. Gehen will er lieber nicht, man weiß nicht, was passiert. Den direkten Rückweg zum Hotel sollte man meiden, überhaupt die Wege verwischen. Im Irak muss es einem in diesen Tagen nicht unbedingt gefährlicher vorkommen als im Libanon."

Weitere Artikel: Jürg Altwegg schildert die erbitterten Auseinandersetzungen in Frankreich über ein neues "Schwarzbuch der Psychoanalyse" . In der Leitglosse meditiert Jürgen Kaube über den tieferen Sinn und Unsinn des Satzes "Ein Schmetterling kann einen Taifun auslösen", den Sandra Maischberger gerade in einer Werbung verkündet. Jürg Altwegg meldet, dass die Pariser Cinematheque  ein neues Domizil im ehemaligen amerikanischen Kulturinstitut der Stadt bezieht. Der Theologe Klaus Berger erklärt, warum die Lutheraner aus dem Projekt einer zusammen mit den Katholiken betreuten Einheitsübersetzung der Bibel aussteigen. Jordan Mejias resümiert das New-Yorker Festival  ebendort. Robert von Lucius berichtet über die Wiedereröffnung des Osloer Munch-Museums , das nach dem Diebstahl des "Schreis" vor einem Jahr immer noch auf sein berühmtestes Werk verzichten muss. Matthias Grünzig fürchtet um den Verfall des Sanatoriums  von Beelitz. In der Reihe "Deutsche gesucht?" empfiehlt  Rainer Hermann die Auswanderung nach Istanbul. Joseph Hanimann besucht die traurige französische Industriestadt Mulhouse, wo ein neues Sozialbauprojekt, die "Cite manifeste" (mehr hier  und hier ), unter Mitwirkung des Architekten Jean Nouvel entsteht. Malte Herwig resümiert ein Schiller-Symposion in Jena.

Auf der Medienseite meldet Michael Hanfeld, dass Christiane zu Salm ihren Sender Neun Live verlässt. Souad Mekhennet berichtet über Proteste des Senders Al Dschazira gegen die Verurteilung ihres Journalisten Tayssir Alluni - er muss wegen angeblicher Kurierdienste für Al Qaida für sieben Jahren ins Gefängnis. Jürg Altwegg meldet, dass der schweizerische Ringierkonzern eine tägliche kostenlose Wirtschaftszeitung herausbringen will. Und "jul" berichtet über einen Eklat bei der Tagung deutsche Zeitungsverleger, wo Otto Schily den deutschen Medien ihre angebliche Sympathie für Schwarzgelb vorhielt.

Auf der letzten Seite besucht Hans-Peter Riese die Villa der Familie de Menil - einen der ersten Bauten von Philip Johnson - in Houston. Dirk Schümer berichtet über ein Austauschprogramm für junge sächsische Musiker, die in Venedig die Barockmanier erlernen dürfen. Und Wolfgang Sandner singt eine kleine Hymne auf Jörg Achim Keller, der die Big Band des HR  zu neuen künstlerischen Höhen führt.

Besprochen werden gleich drei Opern in Berlin - "Madame Butterfly" an der Komischen Oper, "Die Macht des Schicksals" an der Staatsoper und "Sophie's Choice" von Nicholas Maw nach dem bekannten Roman von William Styron an der Deutschen Oper, Jacqueline Kornmüllers Inszenierung  der "Frau vom Meer" in Hamburg, ein Konzert der Jungen Philharmonie Venezuela in Bonn und Tschechows "Wanja" in der Inszenierung von Stefan Pucher in Basel.



Neue Zürcher Zeitung, 27.09.2005

Großbritanniens Küsten werden seit Jahrhunderten vom Meer weggespült, meldet  Georges Waser und fürchtet, dass ganze Regionen bald dem Wasser zum Opfer fallen. "Im Dorf Fairlight Cove in East Sussex zum Beispiel gab die felsige Küste bereits in den späten neunziger Jahren nach, und zusammen mit großen Kalksteinblöcken verschwanden in fünf Jahren ebenso viele Häuser im Meer. Zwar wird von den Behörden für die Küste von Fairlight eine 'offizielle' Erosionsrate von 1 Meter 45 im Jahr angenommen, doch laut einem im Jahr 2003 verfassten Bericht könnten es auch 25 Meter sein. Der Bericht empfiehlt, dass jedermann in dieser dem Meer ausgesetzten 'Spannungszone' seine Behausung aufgeben sollte."

Desweiteren wird rezensiert: Marianne Zelger-Vogt sieht  sich Dmitri Schostakowitschs "Katerina Ismailow" im Zürcher Opernhaus  an und die zuvor geäußerten Befürchtungen der NZZ (mehr hier ) bestätigt: Die Neufassung ist "mit dem Weichzeichner" gearbeitet. Weitere Besprechungen gelten Büchern, darunter Arno Geigers "großem Roman " "Es geht uns gut" ("fantasievolle Fiktion, die auf keinen autobiografischen Fundus angewiesen ist", applaudiert Franz Haas), Stefan Mauls Neuübersetzung  des "Gilgamesch-Epos" und eine Monografie  zu Günther Domenigs neuen Arbeiten "Recent Work".



Süddeutsche Zeitung, 27.09.2005

An James Bond und Stealthbomber fühlt sich Holger Liebs erinnert , wenn er Jean Nouvels Erweiterung des Museo Nacional Reina Sofia in Madrid (3D Modell ) zu lange betrachtet. "Steht man aber im neuen Museumshof, wo Roy Lichtensteins Skulptur 'Brush Stroke' (so  etwa) eine fünf Meter hohe, vollplastische Künstlersignatur setzt, fallen vor allem die Lichteffekte Nouvels auf: Ins Flugdach eingeschnitten sind zahlreiche quadratische, angeschrägte Schächte, die fast gönnerhaft helle Lichtbahnen auf die verschattete Plaza fallen lassen - fast wie in den utopischen Kerkerbildern Piranesis (Beispiel ), den 'Carceri d'Invenzione' (1745), mit ihren riesigen unterirdischen Labyrinthen, in die als Sehnsuchtsmotiv immer ein Lichtstrahl von oben eingearbeitet ist."

Weitere Artikel: Andrian Kreye erfährt  aus der amerikanischen Glücksforschung, dass am glücklichsten ist, wer mehr Geld als die Nachbarn hat. Fritz Göttler kündigt erfreut die Welturaufführung des aus dem Nachlass von Orson Welles geborgenen Thrillers "The Deep" an, den Welles von 1967 bis 1970 drehte. Claus Heinrich Meyer vermisst in der Zwischenzeit den Sinn für kulturelle Exkursionen in der Politik. Dorothee Müller berichtet aus Kopenhagen, wo auf der "International Design Exhibition" unter anderem der Life-Straw  ausgezeichnet wurde, ein lebensrettender Strohhalm, mit dem auch verschmutztes Wasser genießbar wird. Die New Yorker protestieren gegen Krankheiten, weiß Tobias Moorstedt zu berichten. "Allein in den nächsten Wochen finden in New York drei Märsche gegen Brustkrebs statt."

Auf der Literaturseite erweist der Autor  Cees Nooteboom Don Quijote die Ehre. Kein Schriftsteller komme um Cervantes herum, konstatiert Nooteboom. "Und mein eigener Don? Den habe ich in Madrid gesucht, bei Cervantes' Grab, das nicht mehr existiert, und bei seinem sogenannten Standbild gegenüber den Cortes, wo jemand steht, der das Buch geschrieben haben muss, jemand, der durch seine Schöpfung ausgelöscht wurde wie Shakespeare durch 'Hamlet' und 'Lear'. Und ich habe ihn in jenem Keller in Argamasilla gesucht, in dem Cervantes sich die Frau ausgedacht oder nicht ausgedacht hat, die es nie gegeben hat, deren Haus jedoch in El Toboso steht. In diesem Punkt bin ich mir sicher, denn ich bin dort gewesen, ich habe ihr Bett und ihre Küche gesehen, das reale Bett einer ersonnenen Frau. Und schließlich habe ich ihn bei jenen Windmühlen gesucht, die natürlich Riesen waren."

"Marktforschung gab's keine." Im Medienteil erzählt die scheidende Neun Live-Chefin Christiane zu Salm über die naiven Anfänge und die goldene Zukunft des Mitmachfernsehens.

Besprochen werden die von Anselm Weber besorgte Uraufführung von Roland Schimmelpfennigs "Ambrosia" und Shakespeares "Sommernachtstraum" in der Version von Nachwuchstalent David Bösch (der Christine Dössel an den jungen Leander Haußmann erinnert) am Grillo-Theater Essen, Simone Youngs "mutiger" wie gelungener Einstand als Musikleiterin der Staatsoper Hamburg mit Paul Hindemiths unhandlicher Oper "Mathis der Maler", Calixto Bieitos Version von Puccinis "Madame Butterfly" an der Komischen Oper und Markus Bothes Aufführung von Nicholas Maws KZ-Stück "Sophie"s Choice" an der Deutschen Oper in Berlin, Jacqueline Kornmüllers Inszenierung von Ibsens "Frau vom Meer" im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, und Bücher, Zsuzsa Banks Erzählband "Heißester Sommer" sowie Gesa Danes Überlegungen zu Vergewaltigung in Literatur und Recht "Zeter und Mordio!" (mehr in unserer Bücherschau des Tages  ab 14 Uhr).



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