Heute in den Feuilletons "Die Welt ist rund"

Günter Grass' Attacken gegen deutsche Journalisten veranlasst deutsche Journalisten zu Attacken gegen Günter Grass. Auch sonst ist die Leipziger Buchmesse aus und vorbei und gibt zu launigen Impressionen Anlass.

Neue Zürcher Zeitung, 26.03.2007

Petra Tabeling hat  in Paris die Comic-Zeichnerin und Autorin  von "Persepolis"  Marjane Satrapi getroffen und mit ihr über ihre Kunst gesprochen: "Satrapi will aufräumen mit den Vorurteilen Europas - der Westen sehe nur den Tschador und wisse nichts von der 'stolzen iranischen Kultur'. - So ist es auch kein Zufall, dass sie für ihr Werk den Titel 'Persepolis' gewählt hat - den Namen der einst von Perserkönig Darius I. erbauten prunkvollen Residenz, die von Alexander dem Großen 332 v. Chr. niedergebrannt wurde. Ein Titel, der zweideutig ist, denn er erinnert auch an den tiefen Graben zwischen Orient und Okzident, dessen Existenz Satrapi aber in Frage stellt. Die islamische und die westliche Welt hätten mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede, meint die bekennende Pazifistin: 'Es gibt keinen Westen und Osten, die Welt ist rund und nicht zweigeteilt.'"

Weitere Artikel: Markus Jakob trifft  den Schriftsteller  Eduardo Mendoza, der ein Buch  über die städtebauliche Moderne in Barcelona vorlegt. Jakob schreibt auch einen skeptischen kleinen Artikel über den Regionalpatriotismus der Katalanen, die im Herbst bei der Frankfruter Buchmesse "Gastregion" sind. Joachim Güntner schlenderte  über die Leipziger Buchmesse ("Vermisst haben wir, um auch dies noch zu sagen, die 'Swiss Lounge', die für Jahre das schönste Forum der Leipziger Messe gewesen ist. Die Sonderausstellung '125 Jahre Gotthardbahn ' bot dafür keinen ebenbürtigen Ersatz"). Marc Zitzmann tat  das gleiche auf dem Pariser Salon du livre, der aber wenig Neues bot. Paul Jandl besuchte  die 37. Rauriser Literaturtage. Cordula Rau berichtet  über einen Streit um die Erweiterung des Mariinsky-Theaters in Sankt Petersburg. Besprochen wird der "Freischütz" in Berlin.

Perlentaucher, 26.03.2007

Die Multikulturalismus-Debatte des Perlentauchers hat starkes Interesse erregt. Ausgelöst wurde sie durch eine Polemik Pascal Bruckners, der heute einige abschließende Bemerkungen  zum Streit macht: "Es genügt nicht, den Terrorismus zu verurteilen. Zugleich muss sich die Religion, die ihm Nahrung gibt und auf die er sich zu Recht oder zu Unrecht beruft, verändern. Kann man die Inquisition, die Hexenverbrennungen, die Kreuzzüge, die Verurteilung der Häretiker verstehen, ohne sich auf die römische Theologie zu beziehen? Dem Islam muss gelingen, was das Christentum seit dem 15. Jahrhundert geschafft hat: Er muss sich der Moderne fügen und sich an die heutigen Mentalitäten anpassen."

Die Tageszeitung, 26.03.2007

Am frühen Sonntagmorgen ist das ehemalige RAF-Mitglied Brigitte Mohnhaupt auf Bewährung frei gelassen worden. Der Medienwissenschaftler Klaus Kreimeier fordert  auf der Meinungsseite jetzt auch "Gnade für Christian Klar - und dann Schluss mit der Geisterbahn". Die RAF-Debatte in den Medien erinnert ihn an eine Zeit der Grabenkämpfe, die Deutschland eigentlich schon hinter sich haben sollte. "Wir erleben eine Farce der Farce. Die Reflexe auf beiden Seiten gleichen einander wie ein faules Ei dem andern. Claus Peymanns wildes Fuchteln mit fünf Milliarden Entrechteten der Erde entspricht dem Automatismus, mit dem Markus Söder den RAF-Gefangenen Klar seiner antikapitalistischen Gedanken wegen bis ans Lebensende hinter Gitter verbannen will."

Im Feuilleton besucht  Gabriele Goettle diesmal eine 32-jährige Karrierrefrau, die demnächst in Peking ein Magazin herausgeben wird. In der zweiten taz plaudert  Johanna Schmeller mit dem europäischen Poetry-Slam-Meister  Gabriel Vetter über Dichten und Karriere. Volker Bonacker glaubt  auf der Medienseite, dass das geplante Videoportal von News Corp. und NBC Universal Youtube tatsächlich Konkurrenz machen könnte.

Und Tom .

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.03.2007

Edo Reents hörte  auf der Leipziger Buchmesse einen aggressiv-wehleidigen Günter Grass, der die "Entartung des deutschen Journalismus" geißelte, und nimmt Abschied vom investigativen Journalismus. "Ich überlege, ob ich Grass nicht mal etwas fragen soll. Würde er einem die Hand geben? Am Ende wird er noch kollerig? Also lasse ich es, zumal ich später noch Louis Begley treffe, der wahrscheinlich noch nicht einmal Leuten die Hand gibt, die ehemaligen SS-Männern die Hand geschüttelt haben."

Weitere Artikel: Eberhard Straub porträtiert den nunmehrigen Hamburger SPD-Bürgermeister-Kandidaten Michael Naumann als "Aristoteliker mit menschlichem Antlitz". In der Glosse kommentiert "tw" Heiner Bastians mit einer Kampfansage an den Generaldirektor der Berliner Museen Klaus-Peter Schuster verbundene Absage an den Hamburger Bahnhof , mit dem er bisher als Kurator der Sammlung Marx zusammenarbeitete. Auf der letzten Seite porträtiert Richard Kämmerlings die mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnete Übersetzerin Swetlana Geier. Martin Wittmann hat die Waffenmesse in Stuttgart besucht.

Besprochen werden Sasha Waltz' Europa-Choreografie vor dem Pergamon-Altar, das Dokudrama "Am Limit", das Abschlusskonzert der "Klaxons" in Köln, die Düsseldorfer Uraufführung von Martin Heckmanns' neuem Stück "Kommt ein Mann zur Welt" (das Andreas Rossmann als "eines der intelligentesten, originellsten, witzigsten" der Saison preist), Alexander von Pfeils Inszenierung des "Freischütz" an der Deutschen Oper in Berlin, Christof Nels Inszenierung von Ernst Tollers "Hinkemann" in Frankfurt und Bücher, darunter Hans-Ulrich Gumbrechts Studie "Dimensionen und Grenzen der Begriffsgeschichte" und Andres Veiels nun auch als Buch-Recherche vorliegende Darstellung eines uckermärkischen Mordfalls mit dem Titel "Der Kick" (mehr dazu in der Bücherschau  des Tages ab 14 Uhr).

Die Welt, 26.03.2007

Im Interview mit Manuel Brug umreißt  Ingo Metzmacher die Pläne für seine Arbeit beim Deutschen Symphonie Orchester : "Ich habe wieder festgestellt, wie sehr mich doch das Deutsche in der Musik interessiert. Besonders auch im 20. Jahrhundert... Gerade in Berlin, da interessiert mich das Nebeneinander eines Pfitzner und eines Eisler. Das sind zwei Haltungen, die man immer noch diskutieren muss. Was mich gar nicht beschäftigt, ist die ominöse Diskussion um einen 'deutschen' Orchesterklang oder das ewige Rühren in der deutschen Tradition des 19. Jahrhunderts. Das Zerrissene der deutschen Seele kommt erst später wirklich quälend zum Ausdruck. Hartmann, Stockhausen, Bernd Alois Zimmermann, Rudi Stephan, das sind für mich augenblicklich Namen als Spiegelbilder deutscher Geschichte, die an diesen widersprüchlichen Ort Berlin gehören. "

In der Randglosse fühlt sich  Hannes Stein von Günter Grass' Ausbrüchen gegen die Medien an die BBC-Serie "Fawlty Towers" erinnert". Darin gibt John Cleese als Hoteldirektor in Erwartung deutscher Gäste die Parole aus: Don't mention the war! "Daraufhin spult sich das Verhängnis ab wie im Drehbuch von Papa Freud vorgezeichnet. Das heißt, Basil bekommt irgendwann den Feuerlöscher auf den Kopf, später läuft er im preußischen Stechschritt durch den Garten, hält sich den gekrümmten Finger als Bärtchen unter die Nase und entbietet den Hitlergruß. Die deutschen Gäste weinen."

Weiteres: Tilman Krause preist  den einst "deutschesten der deutschen Künstler", Max Klinger, dem das Museum der Bildenden Künste  Leipzig eine große Ausstellung widmet. Besprochen werden Martin Heckmanns Komödie "Kommt ein Mann zur Welt" in Düsseldorf und Alexander von Pfeils "Freischütz"-Inszenierung  an der Deutschen Oper Berlin ("ein Desaster") und Neuerscheinungen auf DVD, darunter die beiden "Buddenbrooks"-Verfilmungen  von Alfred Weidenmann und Franz Peter Wirth.

Frankfurter Rundschau, 26.03.2007

Christian Thomas graut  es schon ein wenig vor dem in den nächsten Monaten zu erwartenden "reißerischen" Absatz mit RAF- Symbolen. Christoph Schröder gesteht  Martin Walser und besonders Günter Grass mit seiner Rede von der "Entartung des deutschen Journalismus" die Nachrichtenhoheit über die Leipziger Literaturmesse zu. Peter Michalzik träumt  in einer Times mager von Madonna.

Besprochen werden Christof Nels Inszenierung  von Ernst Tollers Stück "Hinkemann" in Frankfurt.

Süddeutsche Zeitung, 26.03.2007

Im Blauen Sofa-Interview mit Dominik Wichmann gibt  sich Günter Grass auf der Buchmesse kampfeslustig, auch wenn er das Wort von der "Entartung" des deutschen Journalismus zurücknimmt. "Was ich bei euch Journalisten beobachte, ist die Unfähigkeit, sich selbstkritisch zu sehen. Ihr sitzt in den warmen Redaktionsstuben mit den mächtigen Auflagen im Hintergrund und fühlt euch da sicher. Aber es gibt Gegenstimmen. Und auf meine Gegenstimme könnt ihr euch verlassen!" Hier die ZDF-Aufzeichnung  des Interviews.

Für "abenteuerlich" hält Sonja Zekri die Kriegsverbrecher-Vorwürfe, mit denen die deutschen Einwanderungsbehörde dem tschetschenischen Dichter  Apti Bisultanow das politische Asyl in Deutschland verweigert. "Als Sozialminister des Zwischenkriegspräsidenten Achmed Maschadow und als Befehlshaber eines 35-köpfigen militärischen Sonderkommandos während der Kämpfe um Grosny im Winter 1999/2000 sei er für Menschenrechtsverletzungen seiner Untergebenen verantwortlich zu machen. Nun hat Bisultanow seine Funktion im Verfahren selbst angegeben. Und doch wirkt die Begründung abenteuerlich. Nicht nur, dass er Gewalt gegen Zivilisten wie etwa die Geiselnahme in Beslan oft und auch in dieser Zeitung verurteilt hat. Die Entscheidung des Bundesamtes basiert allein auf den Berichten von Menschenrechtsgruppen über die Misshandlung und Hinrichtung russischer Gefangener durch Tschetschenen, über den Einsatz tschetschenischer Flüchtlinge als menschliche Schutzschilde. So zutreffend diese Vorwürfe sind, so verzichtet bleibt das Amt jedoch auf jeden Beweis für die individuelle Schuld Bisultanows."

Weiteres: Heiner Bastian, der Kurator der Sammlung Marx im Hamburger Bahnhof , ist mit dem Verweis auf Peter Klaus Schusters (mehr ) angeblich unerträgliche Vernachlässigung der zeitgenössischen Kunst zurückgetreten, wie Holger Liebs berichtet. Die Fernsehserie  "24" und die regelmäßige Zweckentfremdung von Messer, Zange, Schlagbohrer und Schleifmaschine in ihr gewöhnt die Amerikaner nach und nach an die Folter, weiß Jörg Häntzschel nach einer Debatte an der New York University. (Hier  ein Artikel von Jane Mayer zum Thema, der Folter-Fachfrau des New Yorkers.) Ruth Schneeberger zweifelt  daran, dass die Übertragung der "Echo"-Verleihung  am Sonntag tatsächlich live war - die Gewinner liefen schon vorher über den Ticker. Florian Coulmas informiert, dass Japans Weigerung, die Verantwortung für die Verschleppung von Zwangsprostituierten im Zweiten Weltkrieg zu übernehmen, die asiatischen Nachbarn erzürnt. Ralf Niemcyyk stellt die Hamburger Band  "Die Zimmermänner" vor, deren bevorstehendes Revival er ausdrücklich begrüßt.

Auf der Literaturseite erzählt Ijoma Mangold Anekdoten von der Leipziger Buchmesse  und identifiziert ein Grundthema: "keine noch so minoritäre Lebenserfahrung, die nicht zum Buch würde".

Besprochen werden Alvis Hermanis' "schillernde" Version des Ödipus-Stoffes mit "Väter" in Zürich, die Ausstellung "Black Paris" im Frankfurter Museum der Weltkulturen , Alexander von Pfeils Inszenierung des "Freischütz" an der Deutschen Oper Berlin, Filme von John Cassavetes, Xavier Beauvais, Elias Kazan und Jules Dassin auf DVD, und Bücher, darunter Ulrich Becks Überlegungen zur "Weltrisikogesellschaft", Claudia und Michael Girardis Band "Heimito von Doderers Preinblicke" sowie politische Kinderbücher (mehr in unserer Bücherschau des Tages  ab 14 Uhr).

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