Hitparaden-Manipulation Künstler fordern Gracias Ausschluss

Gracias Grand-Prix-Auftritt in Kiew steht in Frage: Etliche Künstler fordern ihren Ausschluss, weil ihr Produzent die Hitparade manipuliert haben soll - trotz umfangreicher Sicherheitsmaßnahmen.
Von Mirjam Gollmitzer

Berlin - Die Chart-Ermittlung in Deutschland wird über eine Art virtuellen Hochsicherheitstrakt abgewickelt. Zahlreiche Kontrollmaßnahmen stellen sicher, dass die Hitparade tatsächlich die beim Publikum beliebtesten - und das heißt: bestverkauften - Singles und Alben enthält.

Im Auftrag des Bundesverbandes der Phonographischen Wirtschaft erhebt das Marktforschungsunternehmen Media Control jede Woche die offiziellen Deutschen Charts. Das Unternehmen hat über 2000 Partnergeschäfte in der gesamten Bundesrepublik. Diese melden elektronisch alle CD-Verkäufe, die bei ihnen über den Ladentisch gehen. Große Handelsketten sind daran genauso beteiligt wie kleine Geschäfte. Voraussetzung ist, dass der jeweilige Laden ein Vollsortiment führt, also alle aktuellen Platten bereithält und nicht etwa auf Free Jazz der siebziger Jahre spezialisiert ist.

Der Sprecher des Bundesverbandes Phono, Hartmut Spiesecke sagte gegenüber SPIEGEL ONLINE: "Der Clou bei der Sache ist, dass Media Control jede Woche eine andere Gruppe von CD-Geschäften auswählt, deren übermittelte Daten sie für die Chart-Bestimmung verwendet. Die Läden wissen also nie, ob ihre CD-Verkäufe in dieser Woche dazu zählen oder nicht."

Wer jetzt denkt, man könne durch massenhafte CD-Käufe die Chart-Position eines bestimmten Musiktitels beeinflussen, hat sich allerdings getäuscht. "Wenn Sie beispielsweise 30 CDs eines Künstlers kaufen, fließen sie nicht in Chart-Ermittlung ein, weil so ein Massenkauf nicht repräsentativ ist", erklärt Spiesecke, "der Einkauf wird bei Media Control zwar gewertet, aber als eine Menge an CDs, die bei einem durchschnittlichen Einkauf erworben wird."

Wer die Hitparaden-Platzierung eines Songs manipulieren will, muss überall in Deutschland Strohmänner haben, die kleine, unverdächtige Mengen an CDs kaufen. Genau diese Strategie hat offenbar der jetzt verdächtigte Musikproduzent David Brandes (Gracia, Vanilla Ninja) angewandt. Brandes habe aus vielen CD-Ankäufern "ein Netz über die ganze Republik gespannt, durchaus mit krimineller Energie", erklärt der geschäftsführende Gesellschafter der Media Control, Karlheinz Kögel. Viele der von Brandes beauftragten CD-Ankäufer hätten sich heute bei Media Control gemeldet. "Die haben jetzt Angst, dass man sie wegen Betrugs drankriegen kann", so Kögel.

Der Verdacht auf Chart-Manipulation taucht laut Spiesecke beim Bundesverband Phono mehrmals pro Jahr auf. Doch in der 28-jährigen Geschichte der Chart-Ermittlung war der Verdacht noch nie so stark, dass der Schallplatten-Verband mit einem sofortigen Ausschluss von Songproduktionen reagiert hat.

Um weitere Betrügereien zu verhindern, will Spiesecke keine allzu ausführlichen Informationen zu den Sicherheitsvorkehrungen bei der Chart-Ermittlung herausgeben. "Ich habe Ihnen die Verhinderung von Manipulation durch massenhaften CD-Käufen genannt - die anderen Kontrollmechanismen, die wir ergreifen, kann ich Ihnen nicht sagen. Insgesamt gibt es rund ein Dutzend", sagte er SPIEGEL ONLINE.

Gracia will zum Grand Prix, Heck und Gabriel dagegen

Trotz der ausgeklügelten Kontrollen von Media Control hat Musikproduzent Brandes es offensichtlich geschafft, eigene Produktionen durch gezielte CD-Käufe in die Charts zu heben. Am Montag hat der Bundesverband Phono deshalb mehrere von David Brandes produzierte Titel aus der Hitparade verbannt - unter anderem Gracias Song "Run & Hide", den Gewinner-Song des deutschen Vorentscheids zum European Song Contest. Prompt entbrannte in den Medien ein Streit um den Auftritt der deutschen Sängerin beim Grand Prix in Kiew.

Der TV-Veteran und ehemalige "Hitparaden"-Moderator Dieter-Thomas Heck forderte in der "Bild"-Zeitung den Ausschluss Gracias vom Wettbewerb: "Nein. Wenn gemogelt worden ist, dann ist Gracia raus. Dann darf sie nicht nach Kiew."

Gunter Gabriel schloss sich dieser Forderung an: "Ich finde das unglaublich beschämend", sagte der Countrysänger der Nachrichtenagentur ddp. "Der Song muss raus." Für den 62-Jährigen ist der Charts-Skandal Ausdruck einer wachsenden "Gier in der Musikindustrie". Es gehe nur noch ums Geschäft, dabei sei Musik doch etwas für die Seele.

Die 22-jährige Gracia bezeichnete die Vorwürfe gegen ihren Produzenten David Brandes im Kölner "Express" schlicht als "Sauerei". "Mein Produzent wird zum Bauernopfer gemacht. Fast jeder in der Branche kauft eigene Platten - wer nicht, ist dumm. Regeln, die nicht beachtet werden, sind keine Regeln mehr", sagte die Münchnerin dem Blatt. Im Übrigen wisse sie nicht, ob Brandes tatsächlich manipuliert habe. "Ich kann es mir bei ihm wie bei jedem anderen gut vorstellen." Der für den Eurovision Contest zuständige NDR hat heute bekräftigt, dass Gracia am 12. Mai in Kiew dabei sein wird. "Die Frage ist, wie lange der NDR diesen Standpunkt noch halten können wird", sagte Karlheinz Kögel von Media Control.

Falls der Prüfungsausschuss des Bundesverbandes Phono den Verdacht auf Manipulation bestätigt, droht David Brandes laut Bundesverband Phono eine harte Strafe: 100.000 Euro Geldstrafe oder der Ausschluss aus dem Verband. Brandes habe laut Kögel inzwischen den Promi-Anwalt Matthias Prinz eingeschaltet, sich aber noch nicht zu dem Ausschluss seiner Songproduktionen aus der Hitparade geäußert.

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