
Wirbel um Grass-Interview: Waren die Deutschen auch Opfer?
Holocaust-Aussagen Museumsdirektor kritisiert Grass
Berlin - Der Direktor des Jüdischen Museums in Berlin, Michael Blumenthal, hat Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass wegen seiner jüngsten Äußerungen zum Holocaust kritisiert. "Wenn Grass oder wer auch immer sagt, die Russen haben viele Kriegsgefangene umgebracht und wir Deutsche mussten viel leiden, stimmt das natürlich, aber man muss die Fragen stellen: Warum, mit wem und wo hat es begonnen", sagte Blumenthal in einem Interview mit der Nachrichtenagentur dapd.
Er fügte hinzu: "Was die Nazis mit den Juden in Europa machten, ist aber einmalig. Man kann es nicht vergleichen." Grass hatte in der israelischen Zeitung "Ha'aretz" indirekt von sechs Millionen toten deutschen Soldaten in russischer Kriegsgefangenschaft gesprochen und hinzugefügt, er sage dies nicht, "um die Schwere der Verbrechen gegen Juden zu relativieren, aber der Holocaust war nicht das einzige Verbrechen".
Blumenthal, ehemaliger amerikanischer Finanzminister, leitet das Jüdische Museum seit 14 Jahren. Wachsende antijüdische Stimmung in Deutschland habe er nicht wahrgenommen. "Natürlich existiert Antisemitismus in diesem Land, aber auch in den USA und anderen Ländern in der Welt", sagte Blumenthal. "Aber relativ gesehen ist der Antisemitismus in diesem Land viel schwächer als in den meisten anderen Ländern."
Das hänge auch damit zusammen, dass das Trauma der Nazizeit so groß gewesen sei und immer noch sei, dass es politisch höchst unkorrekt sei, Antisemit zu sein oder es zuzugeben. Blumenthal betonte, seine Sorge sei, dass Juden immer noch als etwas Besonderes behandelt würden und man nicht ehrlich miteinander spreche "und man nie einen Juden kritisieren darf".