

Integration unter Seehofer Das ist auch unsere Heimat, Herr Heimatminister!


Horst Seehofer (CSU)
Foto: Kay Nietfeld/ dpaIn meiner Freizeit engagiere ich mich in einem Verein namens "neue deutsche organisationen". Zu den verschiedenen Vereinen im Netzwerk zählen Bundeswehroffiziere mit Migrationshintergrund und Nachhilfeklubs für arabische Schüler. Wir sind die Bindestrich-Deutschen, die sich von Migrationsdebatten persönlich angesprochen fühlen und klarstellen wollen: Das ist auch unser Land. Oder, wie es neuerdings wieder heißt: auch unsere Heimat.
Als Vorsitzende dieses Vereins war ich eingeladen zum Nationalen Integrationsgipfel und sollte eine kurze Rede halten. Das Thema: Heimat, Werte und gesellschaftlicher Zusammenhalt. Bei dieser Gelegenheit wollte ich Horst Seehofer auch mal fragen, wo wir bayerischen Exilanten in Berlin was Gutes zu essen bekommen. So einen richtigen Braten mit Soß und Kloß. Und wo es gutes Bier gibt, nicht nur die übliche preußische Hopfenplörre.
Aber der Bundesinnenminister wollte beim Integrationsgipfel nicht dabei sein. Und zwar meinetwegen, wie er auf einer Pressekonferenz sagte. Ich hatte ihn vor ein paar Wochen in einem Kommentar erwähnt, der offenbar Gefühle in ihm geweckt hat. Er war sauer. Und ich völlig überrascht.
Aus den Medien erfuhr ich, dass Seehofer nicht kommen will, weil ich ihn angeblich mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht hätte. Ich bin fast vom Stuhl gefallen. In meinem Text hatte ich geschrieben, dass der Begriff Heimat in der Politik mit Vorsicht zu genießen ist. Meine Argumente sind nicht historisch, sondern beziehen sich auf heute. Wieso also "Nationalsozialismus"?
Die Blut- und Boden-Rhetorik von heute
Es ging dem Minister offenbar vor allem um drei Wörter: "Blut und Boden". Ich würde gern dagegenhalten und sagen, dass zwischen Seehofers Namen und den Nomen Delicti im Text noch 260 andere Wörter standen. Aber das wäre wohl kleinlich.
Viel wichtiger ist: Für Seehofer und viele Kommentatoren haben die Worte offenbar ausschließlich mit 1933 bis 1945 zu tun. Und das bringt das Problem der aktuellen Debatte ganz gut auf den Punkt: Blut-und-Boden-Denken gibt es auch heute. Menschen wie ich bekommen das tagtäglich zu spüren.
Zur Heimatkunde: Geschichtsprofessor Uwe Puschner erklärt, dass die Blut- und Boden-Ideologie von den Nazis weder erfunden noch mit ins Grab genommen wurde. Es glauben noch immer Menschen an die "Einheit von Rasse und Raum". Das soll das Thema nicht verharmlosen. Im Gegenteil. Wir neigen dazu, Rassismus vor allem dann zu verpönen, wenn er mit dem NS-Regime zu tun hat. Wenn sich aber ein AfD-Politiker nach der Bundestagwahl 2017 vor die Kameras stellt und machtberauscht sagt, "wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen", dann ist das Blut-und-Boden-Rhetorik par excellence.
Wir leben in einer Zeit, in der man im ganz normalen Buchhandel Lesestoff bekommt, der von der schleichenden "Umvolkung" der Deutschen durch Migranten fabuliert. In der Talkshow-Moderatoren immer wieder mit ihren Sendungstiteln Millionen von Menschen rhetorisch ausgrenzen. In der ein AfD-Politiker den Nationalsozialismus als historischen "Vogelschiss" bezeichnet und seine Partei in den Umfragewerten noch steigt.
Man kann in solchen Zeiten natürlich ein neues Heimatministerium einführen. Aber man sollte nicht davon ausgehen, dass alle damit nur Strukturaufbau im ländlichen Raum verbinden. Dann muss man es aushalten, wenn einige, so wie ich, das als Symbolpolitik für rechte Wähler bewerten.
Umso spannender ist doch die Frage, wie das Selbstverständnis eines solchen Heimatministeriums sein wird. Bislang ist das offen. Die Abteilung wird gerade erst aufgebaut. Die ersten Signale, die Seehofer gesendet hat, waren ambivalent bis verwirrend. In einem "FAZ"-Kommentar schrieb der Minister höchstpersönlich, "Heimatpolitik ist stets eine Politik der Vielfalt." Klingt gut. Doch ein paar Tage vorher hat er zum Amtsantritt verkündet: Der Islam gehört nicht zu Deutschland.
Vor knapp zwei Wochen war ich bei einem Kongress von Migrantenorganisationen. Da erklärte ein Vertreter aus dem Heimatministerium, die Migranten mögen bitte etwas Geduld haben "mit politischen Strömungen, die mit Zuwanderung fremdeln". Das sagt sich leicht als Beamter ohne Migrationszusatz. Manche dieser fremdelnden Mitbürger würden uns alle am liebsten abschieben und entsorgen. Wie, bitte, soll man da Geduld haben?
Wenn der Heimatminister die Integration verweigert
Ich versuche mir vorzustellen, was passieren würde, wenn ein Vertreter aus dem Frauenministerium vor Frauenvereinen spricht und ihnen sagt: Bitte haben Sie noch etwas Geduld mit den Männern, wenn die ein bisschen fummeln oder falsche Komplimente machen. Ich glaube, es gäbe Stunk.
Wir aus den Migrantenorganisationen aber haben brav applaudiert, freundliche Rückfragen gestellt - nichts weiter. Vielleicht ahnten die Anwesenden, dass man dem Heimatministerium besser nicht blöd kommt.
Spätestens nach dieser Woche hat Horst Seehofer klare Botschaften an Migrantenorganisationen in Deutschland gesendet. Die eine lautet: Mit euch will ich nicht reden. Die andere: Kritik nehme ich persönlich. Da muss man sich als Migrantenorganisation ab jetzt gut überlegen, was man von sich gibt. Denn das Bundesinnenministerium ist formal zuständig für die Bereiche "Gesellschaft und Integration".
Immerhin hat die Bundeskanzlerin ihren Integrationsgipfel nach Plan durchgezogen. Sie behandelt das Thema weiterhin als Chefsache und will einen "Masterplan Integration" angehen. Vielleicht reden wir bald wieder übers Ankommen und Dazugehören und nicht über die effektivsten Abschottungsmechanismen.
Man muss sich das mal vorstellen: Wir nehmen das Thema Asylpolitik so ernst, dass jetzt sogar die Große Koalition schwankt. Geht's noch?
Vielleicht hilft die Erinnerung an ein paar Tatsachen, um sich locker zu machen: Zuwanderung gab es schon immer, wird es auch immer geben, das ist halt so. Und man kann nicht am Aussehen erkennen, wer deutsch ist und wer nicht. In der Bäckerschlange sind eben nicht alle blond und blauäugig.
Was ich damit sagen will: Das ist auch unsere Heimat. Die Heimat der Menschen mit transnationalen Erfahrungen. Und niemand könnte diese Botschaft authentischer rüberbringen als ein Heimatminister wie Horst Seehofer. So hatte ich meinen Text über Heimat gemeint. Als Aufforderung, nicht als Urteil.