Georg Diez

Horst Seehofer und der Islam Warum Glaube und Politik sich nicht vertragen

Der Islam gehöre nicht zu Deutschland, sagt Horst Seehofer. Das wirft Fragen nach dem generellen Verhältnis zwischen Politik und Religion auf.
Horst Seehofer

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Foto: Kay Nietfeld/ dpa

Erinnerungspolitik ist vor allem eines, Politik. Und wenn der neue Innenminister Horst Seehofer sein Amt gleich mit einer Kampfansage beginnt und einer tiefen Verbeugung vor der AfD und wenn er das Wesen dieses Landes und seiner Demokratie auf so rasante wie gefährliche Weise auf das Christentum reduzieren will, ein Wort, das er als Spaltbegriff einsetzt, dann ist klar, dass auch Kirchenpolitik vor allem eines ist, Politik.

Der Islam, sagt Horst Seehofer, gehöre nicht zu Deutschland. Was das Problem aufwirft, dass er das Land und seine verfasste Form verwechselt, die Kultur also und die Politik. Denn im Grundgesetz steht ja klipp und klar und selbst für einen Innenminister zu lesen, dass in Deutschland, bis auf Weiteres und falls Horst Seehofer das nicht abschaffen will, die Religionsfreiheit herrscht.

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Der Staat hat sich aus diesem Bereich, der allein den Einzelnen und sein Gewissen angeht, herauszuhalten. Alles andere ist das Verhalten von Diktaturen oder Autokraten wie Seehofers Freund Viktor Orbán, der in Ungarn gerade einen dezidiert antisemitischen Wahlkampf  führt, ohne dass sich CDU oder CSU dazu merklich kritisch äußern oder gar distanzieren. Aus diesem Grund ist die Verbindung von Staat und Kirche etwas, das Demokratien so gelöst haben, dass die beiden getrennt sind. Und das ist das zweite Problem mit Seehofers Interview.

Denn es stellt sich ja nicht nur die ganz praktische Frage, wie man den Islam denn nun aus den Muslimen entfernt, die wiederum, so Seehofer sehr gnädig, zu Deutschland gehören dürfen. Durch einen operativen Eingriff also oder durch Umerziehung, freiwillig oder unter Zwang? Da fehlen noch die konkreten Vorschläge; es stellt sich auch umgekehrt die Frage, was Christentum und Staat verbindet? Sehr viel, wie Seehofer behauptet, wieso also die Trennung von beidem, so wichtig für die Demokratie, nicht mehr richtig gelten soll.

All das ist auch der Hinter- oder Vordergrund für einen erinnerungspolitischen, kirchenpolitischen Streit mitten in Berlin, der wie ein Spiegel ist aller Missverständnisse und Widersprüche der zu Ende gehenden Nachwendezeit, der grassierenden geschichtspolitischen Amnesie und des mal passiven, mal aggressiven Revisionismus im Blick auf dieses Land, seine Schönheit, seine Schuld: Es geht um die katholische Hedwigskathedrale, Sitz des Bistums Berlin und ein gesamtdeutsches Schlüsselkunstwerk.

Die Kathedrale, zentral gelegen hinter der Staatsoper Unter den Linden, wurde 1773 fertiggestellt, im Krieg teilweise zerstört und in den 1950er und 1960er Jahren nach und nach wieder aufgebaut, in einer seltenen Kooperation zwischen ostdeutschen und westdeutschen Künstlern und Architekten. Wobei ein Bauwerk entstand, vor allem durch den Innenentwurf von Hans Schwippert, der auch das erste Gebäude des Bundestags in Bonn geprägt hat, das so kühn und klar war wie das Beste der ostdeutschen wie der westdeutschen Nachkriegsarchitektur. Die Kathedrale erschien wie die Version eines anderen Landes: mutig der Moderne zugewandt und dabei offen und wund, sich der Verantwortung von Judenmord und Krieg bewusst.

Abschied und Neubeginn ist diese Kathedrale deshalb. Für viele Ostdeutsche ist sie ein Ort der Demokratie, weil hier in der DDR anders gesprochen und gebetet wurde. Ein Ort des Widerstands für manche, weil sich der Staat heraushalten musste, ein wichtiges Zeichen, das in unsere neo-reaktionären Vergessenszeiten hinüberreicht. Die Geschichte, die Ästhetik, die Menschlichkeit dieses Raums sind einzigartig - und die Pläne des Bistums Berlin, dieses Kunstwerk komplett zu renovieren und damit zu zerstören waren von Anfang an heftig umstritten.

60 Millionen soll der Umbau kosten. Acht Millionen sollen vom Land Berlin kommen, 12 Millionen vom Bund, wo das Projekt, so heißt es, besonders gefördert wurde durch Monika Grütters, CDU, Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien. Auch in Berlin wurde Druck gemacht, durch den Bürgermeister Michael Müller (SPD) etwa. Die Genehmigung des Umbaus, gegen den Widerstand der Denkmalbehörde, durch den Linken-Kultursenator Klaus Lederer erklärt sich letztlich nur aus einer Gesetzeslage, die der Kirche Freiheit zusichert - und doch vor allem den Widerspruch im gegenwärtigen Verhältnis von Staat und Kirche aufzeigt.

Das Ergebnis dieses Umbaus ist, de facto, ein Verschwinden von Ästhetik, Erinnerung, Moderne, Schuld, Verantwortung, Klarheit. Es ist ein anderes Bild der Geschichte, eine andere Vorstellung von Gesellschaft. Denn die Art und Weise, wie dieser Innenraum vom Versuch erzählt, aus den Brüchen etwas zu schaffen, das nicht heil ist, sondern wach, das nicht abbildet, sondern öffnet, das nicht verschweigt, sondern erzählt, reicht weit über Fragen der Architektur hinaus und ist direkt politisch. So schließt sich der Kreis zu Seehofers gezieltem Affront.

Denn ein zentrales Element der Hedwigskathedrale, das verschwinden soll, außer dem aufgeklärten Modernismus der Ausstattung, ist das riesige Loch, das sich unter der himmlischen Kuppel auftut, eine architektonische Provokation und Meisterleistung, die bis tief auf den Grund dieses Landes schauen lässt, metaphorisch und konkret, eine Wunde, eine Frage, eine Geschichte, die verschwinden soll. Es wirkt wie die Umsetzung des geschichtspolitischen Dogmas, am lautesten von der AfD vertreten, Deutschland nicht auf "diese zwölf Jahre" zu reduzieren. Das ist Seehofers Heimatmuseum der geglätteten, gefälschten Erinnerung.

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Kein Minister, kein Politiker mit einem Mindestmaß an Verantwortung kann es sich herausnehmen zu sagen, wer oder wer nicht zu diesem Land gehört, indem man eine Religion gezielt benennt und ausgrenzt. Aber in diesem neuen Berlin, das um die Hedwigskathedrale längst entstanden ist, voller historisierender Hängefassaden von kapitalistischer Profanität und einem Stadtschloss, das in seiner ratlosen Klumpigkeit das Gröbste und Empathieloseste im deutschen Wesen symbolisiert, sagen sich solche Sachen anscheinend mit der gleichen Geistlosigkeit, mit der man sonst auf die Welt schaut, durch ein Raster des Ressentiments und des zeittypischen Opportunismus.

Etwas theoretischer sagt es der französische Philosoph Étienne Balibar, der in dem Buch "Rasse, Klasse, Nation" schon vor 30 Jahren, 1988, von einem "Rassismus ohne Rasse" spricht. Was bedeutet, dass das, was früher die Biologie war, heute die Kultur ist, speziell der Islam, der als Chiffre genommen wird, um die Unterschiede zwischen Völkern zu benennen, die Differenz zu markieren, die Welt in "uns" und "die anderen" einzuteilen. Dieses Reden über den Islam, wie auch das Reden über das Judentum, maskiert für Balibar nur einen Rassismus, der immer noch, und dazu zählen Seehofers Worte, die Identität des eigenen an die Ausgrenzung des anderen bindet, reaktionäre Konjunkturen.

Was ist also mit diesem Land geschehen, fragt man sich, wenn man in dem schönen, wahren Raum der Hedwigskathedrale steht, das Christentum hier als Mahnung der Vergangenheit und der Vernunft, Symbol einer sinnvollen Ordnung und nicht als ein Mittel, Menschen einzuteilen, zu stigmatisieren, zu diskriminieren sieht?

Und was wird noch geschehen?

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