Prostitutionsdebatte "Sexarbeiterinnen Opfer zu nennen, ist doch keine Hilfe"

Mit ihrem Buch "Hure spielen" kämpft die US-Autorin Melissa Gira Grant gegen die internationale "Prostituiertenrettungsindustrie". Im Interview erklärt sie, was Sexarbeiterinnen wirklich hilft.
Prostituierte im Berliner Bordell Pussy Club: "Nennt sie nicht Opfer"

Prostituierte im Berliner Bordell Pussy Club: "Nennt sie nicht Opfer"

Foto: Hannibal Hanschke/ REUTERS

SPIEGEL ONLINE: Frau Gira Grant, Sie sind Autorin, haben aber auch selbst als Sexarbeiterin gearbeitet. In Ihrem Buch schreiben Sie nun explizit nicht von Ihren Erfahrungen. Warum?

Gira Grant: Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter haben ihre eigenen Geschichten aufgeschrieben. Ich habe meine Erfahrungen nicht eingebracht, weil mich sonst alle Leute nur nach dem Sex gefragt hätten, nicht nach den Arbeitsbedingungen, der Polizei, den Medien, den Gesetzen. Deshalb werde ich mit meinen eigenen Memoiren noch warten.

SPIEGEL ONLINE: Warum ist das Leben als Sexarbeiterin in den USA so schwierig?

Gira Grant: Weil hier das Kaufen und Verkaufen von Sex illegal ist. Das zieht große Probleme nach sich: Es ist zwar legal, Kondome bei sich zu tragen. Aber wenn die Polizei jemanden der Prostitution verdächtigt, verwendet sie Kondome als Beweismittel. Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter müssen in den USA deshalb oft überlegen: Packe ich die Präservative ein - und nehme in Kauf, deshalb festgenommen zu werden?

Zur Person
Foto: Noah Kalina

Melissa Gira Grant, Jahrgang 1978, ist eine amerikanische Autorin und ehemalige Sexarbeiterin. In ihrer Streitschrift "Hure spielen" setzt sie sich kritisch mit der Prostitutionsdebatte auseinander, kritisiert Polizei und Gesetzgeber und fordert, Sexarbeiter nicht ständig als Opfer oder als Kriminelle zu betrachten. Im Oktober kommt Grant nach Deutschland, um ihr Buch zu präsentieren - und um gegen die internationale "Prostituiertenrettungsindustrie" zu kämpfen.

SPIEGEL ONLINE: Ist also die Polizei der Feind?

Gira Grant: Die Polizei ist ein Quell der Gewalt gegen Sexarbeiterinnen. Überall. Das Kondomproblem existiert so noch in vielen anderen Ländern. Für die USA wäre es schon ein erster Schritt, wenn Prostituierte nicht mehr kriminalisiert würden. Deutschland ist da schon weiter, aber auch dort kann man einiges verbessern, Sexarbeiterinnen am Gesetzgebungsprozess beteiligen, beispielsweise.

SPIEGEL ONLINE: In Ihrem Buch schreiben Sie, dass man Prostituierte trotz aller Gewalt gegen sie nicht als Opfer sehen sollte. Warum?

Gira Grant: Wer Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter Opfer nennt, meint, sich in sie hineinfühlen zu können und glaubt, über ihre Befindlichkeiten besser Auskunft geben zu dürfen als die Prostituierten selbst. Sie Opfer zu nennen, hilft doch nichts. Wir müssen stattdessen über die vielen Gefahren in ihrem Leben sprechen: die Polizei, die Diskriminierung im Gesundheitssystem, in der Ausbildung oder beim Finden einer Wohnung. Darauf möchte ich mit meinem Buch aufmerksam machen.

SPIEGEL ONLINE: Aber sind manche Prostituierte nicht tatsächlich Opfer ihrer Lebensumstände und wollen eigentlich aus dem Job raus?

Gira Grant: Die gleiche Frage können wir auch Taxifahrern, Putzfrauen oder Espresso-Baristas stellen, und die Antworten würden sich kaum unterscheiden. Heutzutage arbeiten viele Frauen in schlecht bezahlten Dienstleistungsjobs. Wenn man sich mal die Arbeitsbedingungen dort anschaut, kann man verstehen, warum jemand in die Sexarbeit wechselt - wegen der besseren Bezahlung, der flexibleren Arbeitszeiten. Nur kann man darüber dann im nächsten Bewerbungsgespräch nicht mehr reden. Wenn deine Arbeit als dreckig oder kriminell angesehen wird, dann hast du zwangsläufig eine Lücke im Lebenslauf.

SPIEGEL ONLINE: Seit wann und warum werden Prostituierte denn als kriminell angesehen?

Gira Grant: In früheren Epochen wurden Prostituierte durchaus geschätzt: zum Beispiel die gebildeten Hetären im antiken Griechenland oder die Kurtisanen in der Renaissance. Erst im 18. und 19. Jahrhundert setzte eine Kriminalisierung ein. Man begann, Sexarbeiterinnen als "gefallene Frauen" zu betrachten, als ein Problem, das man lösen musste. Also wurden Gesetze erlassen, die Prostitution erschwerten. Heute ist das nicht anders. Wenn man sich auf Strafgesetze und die Polizei verlässt, um mit Sexarbeit umzugehen, behandelt man Prostituierte ja immer noch als Kriminelle.

SPIEGEL ONLINE: Aber es gibt doch genug Menschen, die Prostituierten helfen und die Arbeitsbedingungen verbessern wollen, viele feministische Organisationen beispielsweise. Dennoch kritisieren Sie gerade den Feminismus in Ihrem Buch.

Gira Grant: Sexarbeiterinnen wollen, dass Feministinnen ihre Rechte unterstützen. Leider schweigen viele Feministinnen aber, wenn es um dieses Thema geht. Manche machen sogar Stimmung gegen sichere Arbeitsbedingungen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter. Die Organisationen Equality Now und die Coalition Against Trafficking in Women unterstützen, dass Sexarbeiter von HIV-Aufklärungsprojekten ausgeschlossen werden. Sie sagen den Regierungen, dass Sexarbeit besser komplett geächtet werden sollte. Solche Feministinnen benutzen die Gesundheit der Sexarbeiter für ihr politisches Spiel, ähnlich wie Gruppen, die gegen Abtreibung sind.

SPIEGEL ONLINE: Über einen Vorfall, der Sie besonders aufgeregt hat, schreiben Sie in Ihrem Buch häufiger. Ein amerikanischer Journalist war dabei, als ein Bordell in Kambodscha von der Polizei geschlossen wurde. Er bezeichnete das als Sieg und Rettung der Frauen, Sie sehen das anders. Warum?

Gira Grant: Ich benutze seine eigenen Worte: Die Rettung der Mädchen ist der leichte Teil. Sexarbeit ist nicht das größte Problem von Frauen, die Sexarbeit machen. Es ist der Mangel an anderer Arbeit, von der man leben kann.


Melissa Gira Grant auf Lesereise im deutschsprachigen Raum: 13.10. Les Complices, Zürich; 17.10. Salon der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin; 18.10. Golem, Hamburg; 20.10. Autonomes Zentrum, Köln; 21.10. Buchlanden Le Sabot, Bonn.

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