Musik-Kunst-Ausstellung in Hamburg Massenkompatibel in die Magengrube

Popmusik und Techno können Malerei richtig guttun. Eine Ausstellung in den Hamburger Deichtorhallen richtet sich an ein kunstfernes Publikum - etwa durch eine sehr besondere Playlist.

Die Schätze sind gut bewacht. Man muss sich an den grimmigen Blicken von neun Berghain-Türstehern vorbeidrücken, um diese Plattensammlung zu bewundern. Doch dann steht da Rutherford Chang und sortiert sein Vinyl ordentlich auf Wandregalen und in Boxen zum Durchbrowsen. Einladend verweist er auf zwei Plattenspieler, mit denen sich Besucher seine Alben anhören können. Darüber leuchtet in Rot ein Neon-Schriftzug: "We buy White Albums".

Doch der Künstler Chang sammelt nur eine Platte: Das "White Album" der Beatles. 2173 Stück hat Chang mittlerweile gekauft, die Sammlung wächst ständig, und nun ist sie als Installation in den Hamburger Deichtorhallen  zu sehen. "Ich bin gar kein Beatles-Fan", sagt Chang, der jedermann seine Platten befingern lässt, "Es geht mir nicht um das Master, sondern um die Kopie." Er erforscht damit die Wechselwirkung zwischen Massenproduktion und Einzelstück. Denn die vielen Kopien des neunten Studioalbums der Beatles, deren Cover Richard Hamilton 1968 schlicht als weiße Projektionsfläche gestaltete, sind zu Unikaten geworden: Sie sind beklebt oder bemalt, tragen Kaffeeflecken und Schimmel, das Vinyl ist zerkratzt. Gemeinsam fügen sich die Gebrauchsspuren der Beatles in "We buy White Albums" wieder zu einem Einzelstück des Kunstbetriebs zusammen.

Die Installation ist Teil der Ausstellung "Hyper! A Journey into Art and Music" - einer erfrischend nicht-akademischen Annäherung an zeitgenössische Kunst, die sich von Musik beflügeln ließ. Unter vielen, teils verzweifelten Ansätzen der Museumswelt, auch kunstfernes Publikum in Ausstellungen zu locken, zeigen die Deichtorhallen in Hamburg, wie Massenkompatibilität hergestellt werden kann: Nämlich mit den Mitteln der Musik. Also am Gehirn vorbei direkt in Herz oder Magengrube.

Massenhysterie und irre Fans

Dass es vor allem um Popmusik, insbesondere um Elektronische geht, macht die Schau sofort klar, indem sie ihren Titel einem Song der Band Scooter entleiht und am Eingang die riesigen Bouncer-Porträts des Berghain-Türstehers Sven Marquardt platziert. Dahinter dann noch ein Modell des legendären Berliner Clubs in Kork - und der Besucher weiß, dass sich die hier ausgestellten Unikate mit Massenphänomenen befassen. Etwa wenn Andreas Gursky in seinen Fotografien Konzerte von Madonna oder Sven Väth mit ihren Überwältigungsdramaturgien einfängt oder aus Albert Oehlens Gemälde scheinbar Gabber-Rufe der Band Euromasters herausschreien.

"Mit Musik den Rezipienten zu überwältigen, ist relativ einfach - man kann sie nämlich einfach lauter drehen", sagt Kurator und Musikjournalist Max Dax. "Mich hat interessiert, welche Strategien und Mechanismen Künstler aus der Musik übernehmen. Starrummel und extreme Fanverehrung zum Beispiel sind in der Musikwelt normal. Doch egal, wie sehr einige den glitzernden Schädel von Damien Hirst verehren mögen - sie würden nie in einer Damien-Hirst-Bettwäsche schlafen wollen."

In der Kunst setzt man sich eben anders mit der Fanverehrung auseinander. Radenko Milak etwa malt täglich einen großen Moment aus Pop- und Zeitgeschichte. In seinen Schwarz-Weiß-Aquarellen küsst Britney Spears Madonna und Michael Jackson tanzt den "Anti-Gravity-Lean". Wolfgang Tillmans zeigt 113 Bilder aus seinem großen Fundus von Musiker-Porträts. Rosemarie Trockel hat Cover entworfen für Stars, die es noch nicht gibt, und Sonic Youth-Bassistin Kim Gordon malt Namen unbekannter Punk-Bands auf Shirts, die sie bei ihren Auftritten trägt.

Kunstgeschichte über Samples und Remixen

Interessanter als diese Referenzen auf große Namen und Momente des Popgeschäfts aber sind jene Werke in "Hyper!", die die Techniken der Musikwelt in die Kunst transferieren. Der Minimal-Techno-Musiker Wolfgang Voigt etwa arrangiert seine Bilder nach den gleichen Regeln wie seine Musik - Wiederholung, Loop und Variation geben seinen collagenartigen Bildern einen technoiden Rhythmus. Die Berliner Künstlerin Bettina Scholz arbeitet mit Synästhesie - sie malt auf Glasscheiben das, was sie sieht, wenn sie die Musik aus Science-Fiction-Filmen hört. Heraus kommen riesige abstrakte, apokalyptische Lackbilder, in denen der Betrachter eigenen Empfindungen zu den Vertonungen von "Alien" oder "Blade Runner" ausloten kann. Und in der 3D-Videoinstallation "Nightlife" von Cyprien Gaillard tanzen Bäume zum Endlos-Loop eines alten Rocksteady-Klassikers von Alton Ellis.

Freilich ist "Hyper!" ein lauter Aufschlag, der mit großen Namen und in grellen Farben für sich wirbt, mit dazugehörigen Konzerten in der Elbphilharmonie und eigener Spotify-Playlist. Von Kraftwerk bis Britney Spears, von Joy Division bis Scooter, Beatles bis Berghain. Ein paar Musik-Kunst-Schlüsselfiguren vermisst man schon, etwa Warhol, Yoko Ono, Björk. Es wird nicht ganz klar, wodurch sich die gezeigten Positionen abgrenzen. "Ja, das ist ein weites Feld, doch nichts ist willkürlich, es gibt überall unterschwellige Bezüge", sagt Max Dax und verweist auf seinen ganz subjektiven Zugang aus seinen Jahren als Chefredakteur von "Spex" und "Electronic Beats", auch als freier Autor für die "taz" und SPIEGEL ONLINE.

Zum Glück ist nicht alles in "Hyper!" so brachial wie der Animationsschrei von H.P. Baxxter. Es gibt auch einige wenige hermetische Zwiegespräche zwischen Musik und Kunst, und manchmal sind diese stillen Momente ja die schönsten: Der Berliner Künstler Olaf Nicolai etwa hat aus einer Klavierpartitur von Robert Schumann die für Pianisten-Hände gedachten Noten geschwärzt und nur das übrig gelassen, was Schumann als unhörbare "Innere Stimme" notiert hatte.

Wie ein Geheimdokument hängt das Notenblatt in einer Ecke und wartet darauf, dass Sänger das Unhörbare hörbar machen. Derweil macht "Hyper!" mit Unsichtbarem Kunst etwas sichtbarer.


Ausstellung: "Hyper! A Journey into Art and Music",Deichtorhallen Hamburg , bis 4. August

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