Intendanten-Duell Edler Plausch, wüster Rausch

Das Duell der Münchner Neu-Intendanten Frank Baumbauer und Dieter Dorn gilt als spannendstes Spektakel der Theatersaison. Nach Dorns eher müdem Auftakt geht nun sein Gegner an den Start.

Lau ist die Luft unterm Chinaturm und weich das Licht, golden schimmern die Blätter im Englischen Garten ­ und doch bläst ein böser Sturm durch diesen Münchner Oktober. Von "Kulturkampf" ist die Rede, von einem erbitterten Streit der Besitzstandspfleger gegen die Neuerer und davon, dass die Bewohner der Stadt dabei seien, eine einmalige Chance zum Aufbruch zu verpassen. "Die sind satt, pomadig und träge", beschimpfte Erwin Huber, 55, Chef in Edmund Stoibers Bayerischer Staatskanzlei, vergangene Woche die Bürger der Landeshauptstadt.

Gar wild tobte die Schlacht um die Frage, ob das Münchner Olympiastadion für große Fußballereignisse untauglich sei und unter den Müll- und Schuttbergen im Norden der Stadt deshalb ein neues Fußballstadion gebaut werden dürfe oder nicht ­ am vergangenen Sonntag sollten die Münchner per Bürgerentscheid endlich und endgültig drüber abstimmen.

Doch Frieden kehrt damit noch lang nicht ein: Mit kaum weniger Grimm verkrallen sich die gebildeten Stände der Stadt im Kampf der Theaterkulturen, der nach langem, giftigem Gären in diesen Wochen nun endlich in einen möglichst spektakulären künstlerischen Schlagabtausch münden soll.

Es treten gegeneinander an: Dieter Dorn, mehr als 20 Jahre lang die prägende Figur der städtischen Kammerspiele und jetzt neuer Chef des Bayerischen Staatsschauspiels, und Frank Baumbauer, der nun Dorns ehemaligen Posten als Kammerspiele-Intendant besetzt.

Hier der strenge Künstlermensch Dorn, 65, der als stolzester unter den konservativen Theatermachern gern penibel an Dichtertexten bosselt; dort der geschickte Künstler-Vermittler Baumbauer, 56, der selber nicht inszeniert, aber gerade in seiner Zeit als Chef des Hamburger Schauspielhauses (1993 bis 2000) fast alle wichtigen Theater-Neuerer herbeilockte und so selber die Rolle eines Chefcoachs der Regie-Wilden besetzte.

Wenn man dem Philosophen Peter Sloterdijk, einem glühenden Dorn-Anhänger, glaubt, dann steht hier allerdings noch weit Grundsätzlicheres auf dem Spiel. Einen Sieg der "low culture" des Event-süchtigen Mittelmaßes gegen die "high culture" der naturgemäß raren Genies sah Sloterdijk gekommen, als Dorn vor zwei Jahren vom damaligen Münchner Kulturreferenten (und jetzigen Kultur-Staatsminister) Julian Nida-Rümelin den Laufpass bekam.

Ganz high-kulturell gestimmt, legte denn auch Dorn vorvergangene Woche im Staatstheater los: mit einer Inszenierung von Shakespeares "Kaufmann von Venedig", logisch von Dorn selbst angerichtet. Dem Stoff, so hieß es vorher unter Münchens Kultur-Astrologen, sei durch die Terrorschläge des 11. September womöglich "unerwartete Aktualität" beschieden. Schließlich trifft da Hass auf Hass, Blutgier auf Vernichtungswut, antisemitische Häme auf bitterste Christen-Verachtung.

Es war dann doch mehr ein zeit- und weltferner Mimenplausch, der im Münchner Residenztheater vonstatten ging. Sehr gediegen und so gravitätisch, als brächen sie gleich unter der Last ihrer Rollen zusammen, schleppten sich die beiden Dornschen Großschauspieler Rolf Boysen und Thomas Holtzmann durch die kunstvoll trostlos eingerichtete venezianische Arena. Sehr deutlich und bedeutungsvoll blickten sie einander immer wieder tief ins blitzende Auge, damit auch der Dümmste kapiert, dass diese beiden Hassenden einander irgendwie auch lieb haben.

Das Bemerkenswerteste an diesem langen, zähen (geradezu pomadigen) Theaterabend aber: Dorn ließ auch jene geifernden Hasstiraden gegen den Juden Shylock aufsagen, die andere Regisseure dieses (keineswegs zu Shakespeares besten zählenden) Stücks gern streichen. Ein Akt der Aufklärung durch "feine Fingerzeige", wie die "Süddeutsche" sogleich jubelte, mit dem seltsamen Argument: "Der Jud ist und bleibt ein Hund"? Eher ein Beleg für die zweifelhafte Dornsche Kunst, sich ganz schlau dumm zu stellen: Ist ja nur Text, den wir hier präsentieren, den Reim sollen sich andere machen. Das Premierenpublikum klatschte denn auch nur kurz und erkennbar betreten ­ was die Dorn-Fans unter den Zeitungskritikern nicht hinderte, von "Ovationen" und "Jubel" zu berichten.

Während die Dorn-Truppe zum Start mit einer Inszenierung des ganz und gar erdenfernen Handke-Stücks "Das Spiel vom Fragen" noch weiter in den Textschwurbel-Orbit abhob, will Baumbauer in dieser Woche den Kammerspiel-Neubeginn ungleich bodenständiger angehen: Im neuen, nach allerlei Bauskandalen endlich fertig gestellten Probegebäude der Kammerspiele (das sanierte Jugendstil-Haupthaus wird erst 2003 wieder bespielbar sein) zeigt Herbert Achternbusch sein Stück "Daphne von Andechs".

Der Titel ist eine Irreführung. Das Stück des notorisch schwirrköpfigen Dichters Achternbusch nämlich handelt von München, genauer: von dessen Verschwinden. Die Stadt sei nurmehr wahrnehmbar als eine einzige "Rauschgeburt", sie habe sich, heißt es im Text, bei nüchterner Betrachtung im Nichts aufgelöst, "wahrscheinlich, weil in ihren Mauern kein guter Geist mehr war".

Das ist, von Schauspielern wie Josef Bierbichler und Michael Tregor auf die Bühne geraunzt, durchaus eine Attacke aufs gewöhnlich selbstzufriedene Münchner Gemüt ­ und keineswegs allzu weit entfernt von Sloterdijks Klage über die "Tragikomödie", die sich im Triumph der "Post-Genialen" unter Münchens Kulturträgern verberge.

Schwer zu sagen, ob Achternbuschs Stück, auf das rasch auch Klassikerproduktionen wie "Dantons Tod" und "Alkestis" folgen sollen, nun zur "low" oder "high culture" zählt: einerseits genialisch, wie es ist, und andererseits doch Kleinkunst und Kabarett.

Baumbauers oberster Dienstherr, der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude, 53, jedenfalls hofft auf einen "furiosen Start", hält "das ganze Kulturkampfgerede für maßlos hochgepeitscht" und Sloterdijks These vom Zwist zwischen hoher und niedriger Kultur für "eine der peinlichsten Entgleisungen überhaupt".

Ude ist übrigens ein eifriger Befürworter des Münchner Fußballstadion-Neubaus. Dürften die Bayern und 1860 erst in der neuen Arena spielen und das Olympiastadion wäre verwaist, dann könnte auch Peter Sloterdijks finsterste Prophezeiung aus dem Theaterstreit in Erfüllung gehen: Man verrücke, so klagte der Philosoph, "das zentrale Möbelstück im bürgerlichen Wohnzimmer" der Stadt.

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