Interview-Magazin "Alert" Buchstaben-Business mal ganz anders

Das Berliner Interview-Magazin "Alert" will mehr sein als eine Hommage an Andy Warhol. Herausgeber Max Dax will sich vor allem vom Formatzwang anderer Publikationen abgrenzen. In seinem Heft dürfen die illustren Interviewpartner ausgiebig ausreden - wie viele Seiten es auch kosten mag.
Von Meike Werkmeister

Im Editorial der aktuellen, siebten Ausgabe wird es noch einmal auf den Punkt gebracht: "Die Idee von "Alert" ist, Menschen, die etwas erlebt haben, und die eine Meinung haben, zu Wort kommen zu lassen, vor allem aber: Sie ausreden zu lassen." Und deshalb besteht "Alert" nur aus einem: Interviews.

Das Magazin hat einen Herausgeber mit Visionen: "Mir geht es auf den Sack, dass ich als Journalist in aller Regel gezwungen bin, ein Interview mit einem Star in einer Form abzuliefern, die dem Format der Zeitschrift, in der es veröffentlicht werden soll, zu entsprechen hat." Dabei gehe es immer nur um unterhaltsame Anekdoten und wüste Beschimpfungen. "So funktioniert dieses Buchstaben-Business. Das ist nicht das, was mich interessiert," sagt Max Dax alias Maximilian Bauer, Herausgeber und Chefredakteur in einem. Deshalb druckt der Wahl-Berliner die Interviews konsequent so, wie sie geführt wurden: ungekürzt und unzensiert. Da kann ein Gespräch mit dem Schauspieler Ben Becker schon mal zwölf Seiten lang sein. "Ich will mehr Intimität, mehr Nähe, mehr Nachdenklichkeit", erklärt Dax. "So etwas geht nur mit viel Platz, mit viel mehr Buchstaben."

Vorbild war Andy Warhols legendäres "Interview Magazine": "Die haben damals gesagt, wir machen jetzt eine Zeitung mit Interviews, weil wir so viele geile Leute kennen, und weil wir selbst so geil sind. Dieser Ansatz gefällt mir, weil er sehr ehrlich ist, vor allem aber, weil am Ende tatsächlich eine geile Zeitung dabei rausgekommen ist." Ganz so erfolgreich war Dax mit seiner Zeitschrift nicht, als sie vor zehn Jahren zum ersten Mal erschien. "Auch damals schon hatten wir schöne Interviews", sagt er heute. An den Gesprächpartnern - unter anderem Harald Juhnke, Yoko Ono und Klaus-Maria Brandauer - habe es nicht gelegen, dass "Alert" scheiterte. "Die Zeit für so ein Format war einfach noch nicht reif," glaubt der 32-Jährige. "Alert" machte von Anfang an Minus und wurde nach vier Ausgaben eingestellt.

Mitte 2001 fasste Max Dax den Entschluss, es noch einmal zu versuchen. "Das habe ich Sibylle Trenck zu verdanken", begründet er seine Entscheidung. "Sie hat mich davon überzeugt, "Alert" noch einmal eine Chance zu geben". Heute ist die Grafikerin neben Max Dax Herausgeberin von "Alert" und für das klassisch-elegante Layout verantwortlich. Mit ungewöhnlichen, ganzseitigen Porträtaufnahmen versucht die 22-Jährige auch optisch, den Künstlern so nah wie möglich zu kommen. Außerdem bekommt nun jedes Heft als roten Faden ein Oberthema verpasst. So drehen sich in der aktuellen Ausgabe die Gespräche mit allen zwölf Interviewten - vom Underground-Star Princess Superstar bis zum Ex-RTL-Boss Helmut Thoma - um die Frage, ob künstlerische Tätigkeit tatsächlich in Selbstverwirklichung und Erfüllung mündet. Die Interviews führt Dax zum Teil selbst, unterstützt von einer Reihe namhafter Autoren.

Seit Oktober 2001 sind drei neue Ausgaben von "Alert" auf den Markt gekommen. Heft fünf erschien mit einer Auflage von 5000, Heft acht wird im September 15.000-mal gedruckt werden. "Noch stecken wir viel Privatgeld in diese Zeitung," sagt Dax. "Doch bei einer solchen Auflagensteigerung hoffen wir bald auf Gewinne." Bisher erscheint wenig Werbung in "Alert". Aber auch das soll sich bald ändern: "Unser Stil der europäischen Gradlinigkeit verträgt auch ein paar Anzeigen mehr."

Zu Wort kommen in "Alert" laute Stars wie David Bowie oder Iggy Pop, aber auch Künstler wie Jenny Holzer oder der Kaufhauserpresser Arno Funke. Entstanden sind die Interviews überall und nirgendwo. Das Gespräch mit der amerikanischen Psychedelic-Rockband Mother Tongue führte Max Dax beispielsweise von einem indischen Restaurant irgendwo in Berlin bis zu einer Jugendherberge am Görlitzer Bahnhof. Robbie Williams gewährte dem Interviewer Christian Seidl ("Jetzt"-Magazin) sogar eine zweistündige Audienz in seiner ehemaligen Wohnung im Londoner Stadtteil Notting Hill. Das Gespräch mit dem Jazz-Sänger Jimmy Scott wurde hingegen nur am Telefon geführt. "Das Wichtigste für ein Gespräch ist nicht der Ort, sondern Vertrauen", sagt Herausgeber Max Dax. "Es geht darum, jemanden nicht wegen Platzmangels in ein Image hineinzupressen, weil jede Differenzierung den Raum sprengen würde. Bei uns dürfen die Künstler ausreden, rechtfertigen, aussagen."

Für die nächsten Ausgaben will Dax mit dem Heft in der Hand auch bei sehr berühmten Leuten an die Tür klopfen. Leuten, die eigentlich nie Zeit haben. "Die sagen nicht: Oh, Gott, die haben ja nur eine Auflage von 8000", meint Dax. "Gerade solche Leute erkennen, dass "Alert" zwar nicht die Auflage und das Verbreitungsgebiet eines Massenmediums hat, dafür aber eine Qualität, die ein Massenmedium per Definition nicht haben kann, nämlich die Qualität des Gesprächs." Die Liste der möglichen Interviewpartner ist lang. Vor allem einen würde Max Dax gerne mal ausführlich in "Alert" zu Wort kommen lassen: Dieter Bohlen.

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