Interview mit André Heller "Ich reize die Leute zu Wutanfällen"

André Heller über Österreichs Künstler und Intellektuelle nach dem Wahlsieg der Konservativen, sein Leiden an negativen Kritiken und den Mut zu Peinlichkeiten

SPIEGEL:

Herr Heller, Sie und viele linke Intellektuelle Österreichs haben in den vergangenen Jahren gegen die schwarzblaue Regierung unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel protestiert. Trotzdem hat Schüssels konservative ÖVP bei der Parlamentswahl nun triumphal gewonnen: Hatten Sie für den Fall eines solchen Ergebnisses nicht Ihre Auswanderung angedroht?

Heller: Unsinn. Auswandern wäre eine viel zu pathetische Antwort auf die jetzige Situation. Ich habe immer auf gepackten Koffern gelebt, dort ist mein Hauptwohnsitz. Ich bin zwar in Wien geboren und aufgewachsen, aber ich konnte hier kaum Geborgenheit empfinden. Schon als Kind wollte ich immer von meiner Familie weg und dann selbstverständlich aus der Kinderinquisition der katholischen Internate, in die man mich verbannte. Aus der Grobheit, als die ich Wien und Österreich empfunden habe, zog es mich in einen sinnlichen Süden, in eine Glücksluft abseits der umfassenden Kälte hier.

SPIEGEL: Und doch haben Sie an Ihrem Hauptwohnsitz am Gardasee offenbar Heimweh verspürt - würden Sie sonst knapp die Hälfte des Jahres hier leben?

Heller: Österreich ist eine Herausforderung. Heimweh habe ich nur nach ein paar unverlogenen Freunden, nach gewissen Dachlandschaften und Seeufern - und nach einer schöpferischen Nation, die ich aus der Kunst kenne. Joseph Roth lesen, Strawinski hören oder Giacometti anschauen empfinde ich als schützende Macht. Ich fremdle an den meisten Orten, nur in der Natur und in der Kunst gibt es ein paar Gegenden, in denen ich mich willkommen fühle.

SPIEGEL: Sie engagieren sich seit Jahren vehement auf Seiten, wenngleich nicht als Mitglied, der Sozialdemokraten. Sind Sie mit Ihren künstlerischen Projekten - etwa als Chefplaner des Kulturprogramms für die Fußball-WM in Deutschland 2006 - nicht ausgelastet?

Heller: Wenn es im Nebenzimmer zu brennen anfängt, soll ich dann hier ruhig sitzen bleiben und sagen: "Gelöscht wird nicht, ich bin schon ausgelastet"? Im Nebenzimmer Österreich laufen viele herum, die Ermutigung benötigen - und noch mehr, die in ihre Verstörungen verliebt sind.

SPIEGEL: Worin besteht Ihrer Meinung nach die Verstörung der österreichischen Wähler? Die meisten politischen Beobachter scheinen darüber erleichtert zu sein, dass Jörg Haiders rechtslastige FPÖ, die bisher mitregieren durfte, fast zwei Drittel ihrer Stimmen verloren hat und die ÖVP von Kanzler Schüssel so erstarkt ist.

Heller: Die Mehrheit der Bevölkerung hat eine Art von geistigem Offenbarungseid abgelegt. Ich fürchte aus Masochismus. Im Grunde haben dieselben Passagiere, die vorher Haider und seine Chaostruppe angebetet haben, auf dem Missvergnügungsdampfer Österreich nur die Seite gewechselt - von Luv nach Lee. Diejenigen, die den Antidemokraten Haider attraktiv fanden, finden jetzt den Rechtskatholiken Schüssel noch attraktiver. Er bedient ihre traurigen Bedürfnisse. Das ist graduell besser, aber immer noch ein Unglück.

SPIEGEL: Was finden Sie und Ihre Künstler- und Intellektuellen-Freunde am freundlichen Herrn Schüssel so schlimm?

Heller: Ich bin nicht der Klassensprecher der österreichischen Intellektuellen. Aber Schüssel hatte im Jahr 1999 versprochen: Wenn ihr mich wählt, verhindert ihr Haider und seine anrüchige Gesellschaft. Nach der Wahl holte er die FPÖ in die Regierung. Das haben zwar die Mehrheitsverhältnisse erlaubt, aber es war einfach unanständig. Und dazu ein großer Schaden für Europa, weil Schüssel der Erste war, der die Rechtsextremen salonfähig gemacht hat.

SPIEGEL: Sie klingen wie ein Patriot, der schwer an Österreich zu leiden hat. Heller: Für mich heißt österreichischer Patriotismus, dass sich bestimmte Fehler der Geschichte nicht wiederholen dürfen. Wir leiden in diesem Land an einer Depot-Wirkung des Nationalsozialismus. Die Nazis haben die erste Garnitur fast lückenlos vertrieben oder ermordet. Das hat katastrophale Nachwirkungen auf jedem Gebiet, mit Ausnahme des Skirennsports.

SPIEGEL: Kamen nicht die rechtsradikalen und antisemitischen Töne vor allem von Haider, der nun am Ende zu sein scheint?

Heller: Nur hat nicht, wie es vergangene Woche auch im SPIEGEL hieß, Herr Schüssel den Haider pulverisiert, sondern Haider sich selbst. Er hat sich und seine Handlanger systematisch in die Luft gesprengt. Schüssels Beitrag war immer nur Schweigen. Die Haider-Auftritte erinnerten nach seiner Demütigung durch die EU-Sanktionen zunehmend an eine Art "Big Brother" aus der Irrenanstalt.

SPIEGEL: Woran liegt es, dass Nicht-Österreicher trotz aller bedenklichen Töne die österreichische Politik oft eher ulkig finden nach dem Motto: Deren Probleme möchten wir haben?

Heller: Die hinterwäldlerische Zerstörung von Weltoffenheit, sozialer Gerechtigkeit und Chancengleichheit durch die Regierung hat für die zahllosen Betroffenen mit Sicherheit nichts Komisches. Wir haben einen nonchalanten Abbau von Demokratie erlebt, zum Beispiel wurde das wichtigste Medium, der ORF, gleichgeschaltet und von kritischen Geistern gesäubert. Das hat sich im Wahlkampf kolossal ausgezahlt. Mit der populistischen Nebenregierung des Landes, der "Kronen Zeitung", hat sich Schüssel ebenso wahlkampfnützlich arrangiert.

SPIEGEL: Verglichen mit Berlusconis Italien hat Österreich immer noch eine tolle Medienvielfalt.

Heller: Wir werden sicher Länder finden, in denen es noch viel schlimmer zugeht, und gegen Zaire unter Mobutu geht es uns gold. Ich nenne Ihnen aber einige Beispiele dafür, was jüngst hier in Mitteleuropa passiert ist: Es gab eine ernsthafte Debatte in der Regierungs-FPÖ, mit Unterstützung ihres Justizministers, ob man die politischen Gegner bei missliebigen Bemerkungen nicht einsperren könnte. Es gab die so genannte Spitzelaffäre, da sollten laut Aussage eines Polizeigewerkschafters Prominente, die sich kritisch gegenüber Haider äußerten, mit konspirativen Mitteln ruiniert werden. Wen kümmert da noch, dass hunderte Basiskulturinitiativen ausgehungert werden und der gerade jetzt international hoch angesehene österreichische Film vom Ruin bedroht ist.

SPIEGEL: Und doch steht das Burgtheater noch und bietet schöne kritische Kunst, selbst die Salzburger Festspiele funktionieren vorbildlich, obwohl viele Künstler vor drei Jahren angekündigt hatten, dass sie dort unter einer Schüssel-und-Haider-Regierung nicht mehr arbeiten wollten. Elfriede Jelinek hat mit großer Geste ein Aufführungsverbot für ihre Werke in Österreich verkündet und es ganz leise wieder zurück genommen.

Heller: Ich verzeihe einer großen Dichterin so ein Detail, weil sie sich immer extrem mutig und hellsichtig verhalten und niemals an die Staatsautoritäten angebiedert hat. Was manche andere angeht: Hören Sie doch bitte auf, Künstler und Intellektuelle als Maßstab für konsequente Moral zu betrachten. Gerade unter den Künstlern gibt es Angstpilger zu den Wallfahrtskirchen der Macht.

SPIEGEL: Sie halten Intellektuelle generell für opportunistische Angsthasen?

Heller: Man darf nicht generalisieren. Aber ich würde mich nicht darauf verlassen, dass die sogenannte geistige Elite in schwierigen Situationen standhält. Wissenschaftler haben da mit Sicherheit die schlechteste Bilanz, und was die Künstler betrifft: In Italien unter Mussolini ist die gesamte Avantgarde umgefallen.

SPIEGEL: Wollen Sie Ihren politischen Kampf nun fortsetzen?

Heller: Ich bin kein Missionar, aber ich habe eine Vorstellung von Würde und Sich-nicht-fügen. Mein Leben bliebe ohne Sinn, engagierte ich mich nicht für das, was ich als Qualität empfinde. Ich hätte gern, dass eine Mehrheit Filme von Ingmar Bergman als ein größeres sinnliches Vergnügen erlebt und als eine nachhaltigere Infusion von Kraft als den Musikantenstadl.

SPIEGEL: Klingt eben doch missionarisch.

Heller: Vielleicht haben Sie recht.

SPIEGEL: Über Ihren Freund Claus Peymann haben Sie gesagt, er habe in Wien sein Sadomaso-Paradies gefunden. Gilt das nicht auch für Sie?

Heller: Wenn man in Wien die Wahrheit sagt, erregt man solches Aufsehen, als ob man im Himmel lügen würde. Ich habe gar keine andere Wahl, ich gehöre zu den letzten Restposten des einstigen jüdischen Großbürgertums. Man fürchtet sich nicht vor der Obrigkeit: Diesen Grundsatz verdanke ich schon meiner mir sehr fremden Familie. Meine Lehrer waren Figuren wie Hilde Spiel und Manès Sperber. Da ging es um radikale Wahrhaftigkeit, Abscheu vor Selbstbetrug, um eine gewisse Eleganz der Gedanken und Handlungen und eine sehr skeptische bis ablehnende Haltung gegenüber der Obrigkeit - die manchmal bis zum Hochmut führte.

SPIEGEL: Könnte es sein, dass Ihr Hochmut auch Ihrer künstlerischen Arbeit mitunter schadet?

Heller: Mit oder ohne Hochmut reize ich manche Leute zu Wutanfällen. Als ich unlängst in Paris zum ersten Mal eine Oper inszenierte - mit der Wundersängerin Jessye Norman -, habe ich in der "Süddeutschen Zeitung" hinterher eine derartige Hassorgie gelesen, dass ich die Missgunst des Schreibers direkt körperlich spürte. Dagegen hilft auch das Lob in "Le Monde" und der "Frankfurter Allgemeinen" nicht.

SPIEGEL: Verkennen Sie da nicht ein wenig die Aufgabe der Kritik, wenn Sie sich lauter Hymnen auf Ihre Arbeit wünschen?

Heller: Ich wünsche mir, wie mein Freund Qualtinger sagte, schonungslose Unterstützung. Wenn man viel versucht, geht naturgemäß doch einiges schief.

SPIEGEL: Auch Ihnen?

Heller: Aber selbstverständlich. Hören Sie sich nur meine Lieder aus den siebziger Jahren an! Es gibt höchstens 15, die gelungen sind. Viele andere zeugen von einem Taumel zwischen Kitsch und Überdrehtheit. Aber ich war damals einfach nicht weiter. Ich habe zwar Frank Zappa bewundert, aber Lieder geschrieben wie ein Udo Jürgens für Kursbuchleser. Das ist mir heute rätselhaft.

SPIEGEL: Also ist Ihnen das Zeug inzwischen peinlich?

Heller: Ja, aber ich muss mich zu dem bekennen, der ich war. Ich hoffe, dass ich heute um 30 Jahre weniger peinlich bin als damals.

SPIEGEL: Haben Sie sich in einen anderen Menschen verwandelt?

Heller: Natürlich. Ich hätte doch mein Leben verschwendet, wenn ich nicht immer wieder lernend ein anderer geworden wäre. Oft genug von Irrtum zu Irrtum, mich mit mir selbst und meinen Fähigkeiten und Unfähigkeiten bekannt machend.

SPIEGEL: Klingt sehr weise. Sind Sie eigentlich religiös?

Heller: Ich bin ein spirituelles Wesen, das davon überzeugt ist, dass es nichts Sinnhafteres gibt als zu lieben und geliebt zu werden. Ich weiß auch aus tausendfacher Erfahrung, dass man die Energien zurückerhält, die man aussendet. Aber ich gehöre zu keinem Verein, nicht zum FC Vatikan, zum FC Bhagwan oder zum FC Judentum, obwohl mir am Judentum immer gefallen hat, dass man mit seinem Gott streiten darf. Die religiöse Idee, die mir am meisten Angst macht, ist die der Wiedergeburt. Falls an der etwas dran sein sollte, bitte ich die zuständigen Instanzen in meinem Fall von Wiedergeburt gnädig abzusehen. Dieses Imponiergetue, die Missverständnis- und Dummheitsquote auf diesem Stern entsprechen nicht meinem Ideal. Auch mein persönliches Negativplansoll ist erfüllt.

SPIEGEL: Sie meinen, Sie haben genug schlimme Dinge angestellt?

Heller: Ich habe früher in einer Art Hybris viele Menschen verletzt oder aufs Originellste gekränkt - auf dem Sektor gibt's für mich nichts mehr dazuzulernen.

SPIEGEL: Herr Heller, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.


Das Gespräch führten die Redakteure Henryk M. Broder und Wolfgang Höbel.

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