Interview mit Günter Grass (II) "Amerikakritik ist ein Freundschaftsdienst"

Günter Grass:

Genau diese Reaktion - wegen Amerikakritik gescholten zu werden - ist doch völliger Unsinn. Ich kann Ulrich Wickert nur in Schutz nehmen. Die indische Autorin Roy, eine fantastische Frau, hat in einer sehr scharfen und genauen Analyse aus der Sicht der Dritten Welt, wie wir sie hochnäsig nennen, einen Vergleich zwischen Bush und Bin Laden gezogen. Wickert hat sie zitiert, das ist sein gutes Recht. Doch dieser Knüppel des Dauervorwurfs, jede Kritik an den Vereinigten Staaten habe mit Antiamerikanismus zu tun, ist nicht nur töricht und diffamierend, sondern auch ein falscher Freundschaftsdienst.

SPIEGEL ONLINE: Moment mal, Amerikakritik ist ein Freundschaftsdienst?

Günter Grass: Ich fühle mich vielen Amerikanern und dem Land gegenüber als Freund verbunden. Freundschaft verlangt aber auch, einem Freund in den Arm zu fallen, wenn er droht, etwas falsch zu machen, und wenn man ihn darauf aufmerksam machen kann, dass er dabei ist, einen Fehler zu begehen oder Fehler zu wiederholen. Solche offene Kritik gehört für mich zur Loyalität. Wenn man das unter Antiamerikanismus abbucht, hört die Diskussion auf. Auch Freiheit kann nicht verteidigt werden, wenn wir unsere eigene Freiheit beschneiden, vor allem die des Worts.

SPIEGEL ONLINE: Müssen aber nicht in einer solchen Krisenlage Freiheitseinschränkungen in Kauf genommen werden?

Günter Grass: Nein, denn in dem Augenblick, wo wir anfangen unsere Freiheitsrechte einzuschränken, besorgen wird das Geschäft der Terroristen. Die Einführung der Rasterfahndung ist solch ein unverhältnismäßiger Eingriff, vor dem ich warne.

Wir haben diesen Fehler schon einmal gemacht in den Zeiten während der Terrorismus-Welle der RAF im eigenen Land. Aber die führenden deutschen Terroristen wurden aufgrund eigener Fehler gefasst, nicht aufgrund der Rasterfahndung. Solche übermäßigen Maßnahmen geschehen im Grunde aus mangelndem Selbstbewusstsein und Vertrauen auf die Rechtsstaatlichkeit. So haben wir auch Unrechtszustände vor den Terroristenanschlägen geschaffen. So halten wir zahllose Menschen in Abschiebeanstalten in Haft, die nichts Kriminelles getan haben. Wir leben damit - mit einem alltäglichen Bruch unserer Verfassung.

SPIEGEL ONLINE: In Berlins Akademie der Künste planen sie demnächst Foren über den Nord-Süd-Konflikt. Was soll dabei herauskommen?

Günter Grass: Es rächt sich, dass zum Beispiel nie auf Willy Brandt gehört worden ist. Er war Wegweiser genug mit dem, was er nach seiner Kanzlerschaft als Vorsitzender der Nord-Süd-Kommission geleistet hat. Dort hat er zwei maßgebliche Berichte verfasst, die ignoriert wurden.

Darin hat Brandt präzise analysiert und vorhergesehen: Wenn der Ost-West-Konflikt beigelegt ist, kommt der Nord-Süd-Konflikt auf uns zu. Er hat außerdem - was bis heute nicht eingelöst ist - eine Weltinnenpolitik gefordert und eine neue Weltwirtschaftsordnung. Er hat gefordert, die Staaten der Dritten Welt als gleichberechtigt zu behandeln. Aber all das ist nicht geschehen. Das sind Unterlassungssünden, die auch für das Aufkommen des Terrorismus als Ursachen zu sehen sind. Weil deshalb in Ländern, die Terrorismus eigentlich ablehnen, eine Wut auf die reichen Staaten mit ihrer Führungsmacht USA gewachsen ist. Und diese Wut aus Enttäuschung ist berechtigt.

SPIEGEL ONLINE: Sehen Sie in Willy Brandt einen vergessenen Visionär?

Günter Grass: Eindeutig. Ich war in New York dabei, als mit Willy Brandt zum ersten Mal ein deutscher Bundeskanzler vor der Uno gesprochen hat und sagte: "Auch Hunger ist Krieg." Dieser Satz ist mit Beifall erschlagen worden. Aber die Konsequenzen hat niemand gezogen. Auch wir Deutschen mit unserer kümmerlichen Entwicklungshilfe nicht.

SPIEGEL ONLINE: Nun berichten die Amerikaner, dass sie neben Bomben auch Lebensmittel über Afghanistan abwerfen und dafür 320 Millionen Dollar zur Verfügung stellen.

Günter Grass: Das ist ja auch in Ordnung, aber das ist immer noch weniger, als vorher verteilt wurde, und leider machen sie es jetzt erst unter einem gewissen Druck. Genauso wie sie jetzt erst beginnen, ihre schmählichen Schulden bei der Uno zu bezahlen. Als wollten sie damit ihre militärischen Maßnahmen flankieren. Das ist schon Zynismus. Ich hoffe aber, es passiert jetzt mehr.

SPIEGEL ONLINE: Zum Beispiel?

Günter Grass: Was dringend notwendig wäre, ist eine Weltwirtschaftskonferenz einzuberufen, und zwar auf der Grundlage des Nord-Süd-Berichts von Willy Brandt und unter Berücksichtigung der Folgen der Globalisierung. Denn auch in diesem Prozess sind die geschädigten in erster Linie die Staaten des Südens. Wenn wir das nicht bedenken, wird man diesem Terrorismus nicht beikommen. Diese Probleme zu bewältigen, ist mit Militärschlägen nicht zu schaffen, auch mit den genauesten kriminalistischen Untersuchungen nicht und mit Rasterfahndung schon gar nicht.

SPIEGEL ONLINE: Den offenbar wohlhabenden Terroristen geht es doch aber gar nicht um materielle Werte und Hungerbekämpfung. Eher berufen sie sich auf politische Ungerechtigkeiten und zehren vom Frust der Palästinenser.

Günter Grass: Solchem Frust vorzubeugen, das wäre aber kluge Politik. Solange Ursachen da sind für diesen nachwachsenden Hass, solange die Wut und die zum Teil berechtigte Empörung nicht beseitigt werden, ändert sich nichts. Dazu gehört auch der Mut, Israel endlich dazu zu bringen, seine Besatzungspolitik aufzugeben, die nun schon über Jahrzehnte geht.

Israel muss aber nicht nur besetzte Gebiete räumen. Auch die Besitznahme palästinensischen Bodens und seine israelische Besiedlung ist eine kriminelle Handlung. Das muss nicht nur aufhören, sondern rückgängig gemacht werden. Sonst kehrt dort kein Frieden ein. Diese Voraussetzungen müssen von Israel geleistet werden. Aber dieses Auge um Auge, Zahn um Zahn der gegenwärtigen Politik schaukelt allen Zorn nur noch weiter hoch, und sorgt dafür, dass immer neue Bin Ladens mit anderen Namen nachwachsen.

SPIEGEL ONLINE: Kritik an Israel ist in Deutschland aber gemeinhin verpönt.

Günter Grass: Es ist aber für mich auch ein Freundschaftsbeweis Israel gegenüber, dass ich es mir erlaube, das Land zu kritisieren - weil ich ihm helfen will. Damit bin ich mir einig mit meinem israelischen Schriftstellerkollegen Amos Oz und vielen Freunden, die das gleiche in Israel tun. Solche Kritik aber zu kritisieren - damit muss man aufhören. Und genauso dumm ist es, Kritik am Krieg in Afghanistan als antiamerikanisch abzutun. Schließlich verteidigt Amerika Freiheit. Und Freiheit beginnt mit dem Wort.

Das Gespräch führte Holger Kulick

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