Interview mit Kulturstaatsminister Nida-Rümelin Anecken aus Prinzip
Vor seiner Amtsübernahme war so einiges im deutschen Blätterwald von Julian Nida-Rümelin zu lesen, Deutschlands neuem Staatsminister für Kultur und Medien. Seit dem Zeitpunkt seiner Inthronisierung am Mittwoch früh ist das schwieriger geworden. 100 Tage Schonfrist bittet sich der Naumann-Nachfolger aus, dann will er erst in größerem Rahmen vor die Presse treten. Die wenigen Medien, die Rümelin als frisch gebackener Minister bedienen wollte, gaben ihm stattdessen einen Korb. Die BSE-Opfer im Kabinett gingen vor, so wurde Schröders neuer Querdenker im Amt gleich am ersten Arbeitstag nur zur Fußnote im Fernseh-Kurznachrichtenprogramm und erhielt sogar eine Ausladung von den "Tagesthemen".
Nur im Nischenprogramm "3sat-Kulturzeit" durfte Rümelin dann für mehr "kulturelle Verständigung mit dem Osten" werben und musste das Moderatoren-Lob ertragen, "aufklärerischer Voltaire in den Ohren des Herrn Kanzlers" zu sein. Danach durfte SPIEGEL ONLINE "ausnahmsweise" exakt fünf Minuten lang Fragen stellen.
"Aufgeregheiten Anderer werden mich nicht irritieren"
SPIEGEL ONLINE: Herr Nida-Rümelin, mit wie viel Unbehagen haben Sie denn am Mittwoch Ihre erste Kabinettssitzung erlebt?
Nida-Rümelin: Mir war klar, wenn das zufällige Zusammentreffen einer Staatsminister-Ernennung mit zwei Ministerrücktritten zusammenfällt, wird die Aufmerksamkeit bei den Rücktritten liegen. Aber das war okay so, denn mit Projekten kann ich ohnehin erst nach einiger Zeit an die Öffentlichkeit gehen. Insofern gab es kein Unbehagen, im Gegenteil, ich hatte den Eindruck, dass der Bundeskanzler diese Runde auf sehr angenehme Weise leitet.
SPIEGEL ONLINE: Hat Sie dagegen überrascht, mit welcher Breitseite Zeitungen wie die FAZ Ihren Antritt begrüßten? Da wurden Sie als überflüssiger "Hausphilosoph" des Kabinetts tituliert, der schon zu viel rede?
Nida-Rümelin: Ich lasse mich nicht so leicht von solchen Stimmungen und Stimmungsmachern beeindrucken. Mir ist einfach wichtig, einige grundlegende Themen, die bislang eher in kleinen Zirkeln debattiert werden, verstärkt in die Öffentlichkeit zu tragen. Gleichzeitig geht es mir darum, mehr Rationalität in diese Debatten zu bringen - nicht nur, was die Ethik der Biotechnologie anbetrifft, sondern zum Beispiel auch die zunehmende kulturelle Vielfalt in der Bundesrepublik als Einwanderungsland. Durch Aufgeregtheiten Anderer werde ich mich dabei nicht irritieren lassen.
"Bioethik ist auch eine kulturelle Frage"
SPIEGEL ONLINE: Was geht denn aber einen Staatsminister für Kultur und Medien die Bioethik an?
Nida-Rümelin: Es ist immer auch eine kulturelle Frage, wie wir mit neuen Technologien umgehen. Gewiss gehört das Thema Bioethik auch zu meiner wissenschaftlichen Biografie, aber ich bin tatsächlich der Auffassung, dass die Gesellschaft solche Herausforderungen so bewältigen muss, dass wir nicht bei jeder neuen Thematik in eine Art Freund-Feind-Muster verfallen, sondern lernen müssen, zu differenzieren. Das betrifft nicht nur die Biotechnologie, sondern auch den Umgang mit der Ökologie: Wie gehen wir etwa mit den bevorstehenden Umweltveränderungen um? Da hat weder Hysterie einen Sinn noch die Verharmlosung der Folgen, welche die industrielle Lebensweise und Wirtschaft mit sich bringt.
SPIEGEL ONLINE: In diesem Sinne wird der Kulturpolitiker zum Philosophen im Ministersessel?
Nida-Rümelin:Kultur muss als essentielles Element der Politik anerkannt werden, wenn wir den Bedürfnissen der Menschen gerecht werden wollen. Denn unser Leben besteht nicht nur daraus, ökonomische Vorteile zu haben oder sozial abgesichert zu sein. Es geht auch um Sinnfragen des individuellen und gesellschaftlichen Lebens, und da werde ich versuchen, ähnlich meinem Vorgänger Michael Naumann, Debatten zu initiieren.
Leitkultur - Nein danke!
SPIEGEL ONLINE: Auch über das von der CDU initiierte Thema Leitkultur?
Nida-Rümelin:Ich halte den Begriff "Deutsche Leitkultur" für irreführend, weil die Debatte darüber Gefahr läuft, das Projekt einer humanen Gesellschaft umzuinterpretieren in ein ethnisches Projekt, das besagt, die deutsche Kultur solle Leitbild sein. Damit stellt sich aber eine Kultur über die andere und grenzt andere aus. Und das ist in einer demokratischen Gesellschaft unangemessen.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben in einigen Punkten bereits eine Abkehr von Naumanns Amtsführung angedeutet. Hat Ihr Vorgänger falsche Themenschwerpunkte gesetzt?
Nida-Rümelin: Nein, Schwerpunkte aus Naumanns Arbeit, wie internationale Kulturkontakte oder besondere Aufgaben des Bundes in Berlin, werden auch meine bleiben. Ich habe, so wie er, gelegentlich betont, dass es eine besondere Bundeskompetenz für Kultur gibt, weil es eine Gesetzesgebungskompetenz beim Bund gibt und viele Gesetzesvorhaben kulturelle Auswirkungen haben. Ordnungspolitik ist ein ganz wesentliches Element von Bundeskulturpolitik. Auch der von mir vorgeschlagene Gauguin-Pfennig gehört zum Beispiel dazu.
SPIEGEL ONLINE: Sie sollen nicht so "Berlin-lastig" werden wie Michael Naumann, hat indessen Nordrhein-Westfalens Kulturminister Vesper angemahnt.
Nida-Rümelin: Ich habe schon bei meiner Nominierung gesagt, dass nicht der Eindruck entstehen darf, wir würden in der Bundeskulturpolitik einem Berliner Zentralismus frönen. Das war nicht der Fall und wird es auch nicht werden. Es liegt auch nicht im Interesse des Bundes, seine Aktivitäten ausschließlich auf Berlin zu konzentrieren. Das wäre vor dem Hintergrund der Geschichte Deutschlands, seiner kulturellen Vielfalt und der Konkurrenz der Regionen unverantwortlich.
SPIEGEL ONLINE: Dennoch hegen immer mehr Berliner Institutionen die Hoffnung, ganz unter Ihr schützendes Bundesdach zu kommen: die Staatsoper, die Topografie des Terrors, die Museumsinsel....
"Hauptstadtvertrag nicht neu aufschnüren"
Nida-Rümelin: Ich bitte da um etwas Geduld: Zu Einzelfragen werde ich vor ausführlichen Gesprächen mit meinen Mitarbeitern nicht Stellung nehmen. Dennoch dies wird vielleicht die ein oder andere Hoffnung dämpfen bin ich fest davon überzeugt, dass man den Hauptstadtkulturvertrag jetzt nicht neu aufschnüren sollte. Er ist jetzt ausgehandelt und unterschriftsreif und sollte nun bald in Kraft treten. Dass die Kooperation zwischen Bund und Berlin fortgeführt wird und dabei gelegentlich auch neue Projekte der Kooperation in Angriff genommen werden, liegt doch auf der Hand.
SPIEGEL ONLINE: Die Bundeskulturstiftung wollen Sie auf jeden Fall, haben Sie bereits betont. Schaffen Sie das noch in dieser Legislaturperiode?
Nida-Rümelin:Ich halte das für wünschenswert, weil eine solche Bundeskulturstiftung kulturpolitischen Entscheidungsspielraum eröffnet. Aber das Projekt ist noch nicht zu Ende diskutiert. Auch sind noch zu viele Fragen offen.
Parteikarriere in Bayern vor Augen
SPIEGEL ONLINE: Anders als Ihr Vorgänger engagieren Sie sich stark in der SPD. Werden Sie das mit Ihrem neuen Amt im Rücken jetzt in Ihrer bayerischen Heimat forcieren?
Nida-Rümelin:Ich werde übrigens auch auf Wunsch des Parteivorsitzenden der bayerischen SPD - für den Landesvorstand im Frühjahr kandidieren.
SPIEGEL ONLINE: Das lässt darauf schließen, dass Sie nicht beabsichtigen, Ihren Ministerposten allzu bald wieder aufzugeben?
Nida-Rümelin: Sicher nicht.