Interview mit Nazi-Aussteiger Ingo Hasselbach "Jeder hat das Recht, sich zu verändern"
SPIEGEL ONLINE:
Sie wollten jetzt mit auf die Tournee "Rock gegen rechte Gewalt" von Udo Lindenberg "und Freunden" gehen. In welcher Rolle?
Ingo Hasselbach: Um zu diskutieren. Denn als ein Schwerpunkt soll das Projekt "Exit" mehr in die Öffentlichkeit getragen werden, um den Rechten klarzumachen, da gibt es Möglichkeiten auszusteigen. Und ich bin in gewisser Weise ein lebendes Beispiel dafür, dass man ein Leben nach der Szene haben kann.
SPIEGEL ONLINE: Ist aber der Ansatz nicht verkehrt, diese Konzerte nur in Großstädten wie Berlin, Hamburg, Dresden und Rostock vor bekanntermaßen kritischem Publikum zu veranstalten, statt in Regionen oder Kleinstädten, wo sich Jungnazis ihre "national befreiten Zonen" geschaffen haben?
Ingo Hasselbach: Sicher wäre das sinnvoll. Ich merke ja schon seit Jahren bei meinen Lesungen, dass man auch in kleinen Orten und im kleinen Rahmen sehr viel erreichen kann. Es gibt immer zwei, drei, die sich rausholen ließen. Ich habe viele Briefkontakte mit Skins, die nur auf Grund so einer Lesung angefangen haben, über sich selbst nachzudenken. Deshalb sollte man tatsächlich überlegen, so einer Tour einen solchen Schwerpunkt zu geben. Denn zu solchen Großkonzerten kommen bekanntlich eher die Leute, die nicht anfällig sind, also nicht die, um die es geht. Das ist das Problem.
Dürfen rechte Skinheads ministrabel werden?
SPIEGEL ONLINE: Nun hat der Schirmherr dieser Aktion, Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, von Boulevardzeitungen eins auf die Mütze bekommen, weil er dafür plädierte, auch Rechtsradikalen die Chance zu geben, sich so weit zu ändern, dass sie irgendwann vielleicht sogar ministrabel werden könnten.
Ingo Hasselbach: Ich finde diese ganze Diskussion albern. Für mich hat jeder Mensch das Recht, sich zu verändern, und wenn jemand dabei ein wertvolles Mitglied einer Gesellschaft wird, dann soll er auch die damit verbundenen Chancen bekommen, sofern er sich klar von Vergehen distanziert und dafür gezahlt oder gebüßt hat. Ich habe jetzt acht harte Jahre hinter mir, mit allem, was man sich vorstellen kann, mit Bombendrohungen und Gerichtsverhandlungen, und denke schon, dass ich inzwischen einen Beitrag für diese Gesellschaft leiste.
SPIEGEL ONLINE: Wollen Sie denn in die Politik?
Ingo Hasselbach: Ich persönlich nicht. Mir geht es darum, lieber weiter in solchen Initiativen mitzuarbeiten, aber in die Politik - um Gottes willen.
SPIEGEL ONLINE: Diese Debatte, die der "Prügelknabe" Joschka Fischer jetzt erlebt, haben Sie da manchmal an sich selbst gedacht? Schließlich galten Sie als ziemlich militanter Rechter.
"Fischers Situation ist genau die, die ich auch kenne"
Ingo Hasselbach: Mich hat das sehr oft beschäftigt, und ich war ein paarmal davor, Leserbriefe zu schreiben. Schließlich ist Fischers Situation genau die, die ich auch kenne. Du hast mal etwas gemacht und das wird dir dein Leben lang vorgehalten. Im Fall von Fischer ist dazu noch fragwürdig, was er überhaupt angerichtet hat. Aber klarer als er kann man sich doch schon gar nicht mehr distanzieren.
SPIEGEL ONLINE: Diese Woche will die Bundesregierung ihren Antrag auf NPD-Verbot einbringen, glauben Sie, das macht Sinn?
Ingo Hasselbach: Ich war immer ein Gegner von Verboten von Organisationen, weil ich ja selbst erlebt habe, was dann passiert. Es gibt eine Verhärtung von Strukturen, die Leute fühlen sich noch mehr zusammengeschweißt und fühlen sich richtiggehend in die Illegalität gedrängt. Das sehe ich bei der NPD letztlich nicht anders. Denn wo gehen die Leute hin? Die bleiben ja organisiert, die werden das illegal versuchen. Die Frage ist, ob da nicht sogar mehr Gewalt hochkommt, weil die Leute sich entscheiden, der illegale Weg ist der bessere als der legale.
SPIEGEL ONLINE: Denkt dann Politik zu kurzsichtig, wenn sie davon ausgeht, mit symbolischen Großdemonstrationen und solchen Verboten die rechte Szene zu beeindrucken?
Ingo Hasselbach: Das war ja immer schon das Problem, auch Anfang der Neunziger, wo die ersten großen Verbote im rechten Spektrum kamen. Damit war immer die Illusion verbunden, man habe die rechte Szene beruhigt. Da ist viel kurzsichtiges Denken bei.
"Der Szene den Nachwuchs abschneiden"
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie denn ein weitsichtigeres Patentrezept?
Ingo Hasselbach: Ein ideales Rezept? Nein. Vielleicht meine Arbeit, die ich in den letzten acht Jahren geleistet habe. Ich habe aus meinen Erfahrungen vorgelesen und habe versucht, dieser Szene den Nachwuchs abzuschneiden, damit da nicht noch mehr Jugendliche hineinrennen. Die gilt es aufzuklären, das ist für mich das Idealrezept. Es gibt eine gewisse Altersgruppe, die lässt sich noch erreichen, das sind die bis 18- oder 19-Jährigen. Danach wird es schwer. Das ist für mich die beste Arbeit, die man machen kann.
SPIEGEL ONLINE: Aber nach den Gewaltakten von Rostock-Lichtenhagen hieß es auch: Jetzt muss man wenigstens die jüngeren Geschwister der Randalierer erreichen, damit sie den Älteren nicht nacheifern. Ist das fehlgeschlagen?
Ingo Hasselbach: Der Gedanke ist richtig. Aber das liegt daran, dass die Gesellschaft bis heute immer noch nicht in der Lage ist, den Angeboten der Rechten etwas entgegenzustellen. Wenn man sich die NPD anschaut, so breit gefächert, wie sie ist, die haben der Jugend eine Infrastruktur angeboten, mit ihrer eigenen Kultur, mit Wehrsportlager und richtigem Abenteuerspielplatz. Obendrein wird ihnen noch eine richtige Perspektive vorgeheuchelt. Genau dem muss man etwas entgegensetzen, um wirklich etwas zu erreichen.
SPIEGEL ONLINE: Wie erfolgreich ist denn Ihr Exit-Programm inzwischen? Oder ist die Hemmschwelle der Rechtsaußen noch zu groß, sich an Sie zu wenden?
Ausweg "Exit"
Ingo Hasselbach: Wir haben 22 potenzielle Aussteiger, davon sechs aus wirklich harten Strukturen, die keine Mitläufer sind. Das ist okay, wenn Sie bedenken, dass dieses Projekt erst seit rund drei Monaten läuft. Mit all denen muss sich zeigen, dass Exit wirklich funktionieren kann. Was außerdem interessant ist, das sind viele Eltern, die anrufen und Rat suchen: Wie kann ich mit meinem Kind reden?
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie Antworten?
Ingo Hasselbach: Natürlich kommt das auf die Situation an und wie rechtzeitig sich Eltern melden. Manche tun das schon, wenn sie die ersten Anzeichen erkennen, zum Beispiel am einschlägigen Outfit ihrer 14- und 15-jährigen Kinder.
SPIEGEL ONLINE: Unlängst wurde der Dokumentarfilm "Verlorene Söhne" über Sie und Ihren Vater in Berlin uraufgeführt. Sie durften wegen Attentatsdrohungen nicht zur Premiere kommen. Wie normal können Sie inzwischen leben?
Ingo Hasselbach: Das hat sich wieder verschärft, wahrscheinlich im Zusammenhang mit meinem Engagement für Exit. Das reicht zur Zeit von der Bombendrohung bis hin zu Hinweisen auf eine Lichtenberger Gruppe, die sich mein Autokennzeichen besorgte. Notgedrungen bin ich inzwischen im Personenschutzprogramm der Polizei, die das auch alles sehr viel ernster nimmt als noch vor vier Jahren.
SPIEGEL ONLINE: Teilen Sie den Eindruck, dass manche Künstler, die sich jetzt an dieser Tournee "Rock gegen rechte Gewalt" beteiligen und sich über Sonntagsreden von Politikern mokieren, auf ihre Art ähnliche Sonntagsreden halten?
Ingo Hasselbach: Dazu sage ich jetzt lieber nichts.