Georg Diez

EU und Italien Populismus ist das Symptom, nicht das Problem

In Italien haben Parteien eine Regierung gebildet, die als europafeindlich gelten. Doch bevor sich Italiens Wähler von Europa abwendeten, schaute Europa weg und ließ Italien mit seinen Problemen allein.
Lega-Nord-Anhänger in Milan

Lega-Nord-Anhänger in Milan

Foto: Tristan Fewings/ Getty Images

Europa droht sich gerade mal wieder selbst zu zerstören, weil es vergessen hat, was die Werte und Prinzipien sind, auf die es gebaut ist - und ich spreche jetzt nicht von den ungarischen oder polnischen Feinden der Freiheit und auch nicht von den Parteien, die in Italien eine neue Regierung gebildet haben, die als "europafeindlich" bezeichnet wird.

Ich spreche von den europafeindlichen Institutionen der EU selbst, von den Denk- und Handlungsweisen, mit denen sich die immer schon vorhandenen illiberalen Kräfte innerhalb der EU verstärkt haben, ich spreche davon, wie sich die EU vom Gedanken der Solidarität verabschiedet hat und es zugelassen hat, dass die Spaltkräfte in den vergangenen zehn Jahren immer größer geworden sind.

Denn das, was wir jetzt sehen, aktuell besonders deutlich in Italien, ist ja die Reaktion auf etwas, es hat eine Vorgeschichte, die man in verschiedenen Etappen erzählen kann: Es ist einerseits Teil einer Revolte gegen die Globalisierung, wie sie auch Trump führt, also gegen die neoliberale Weltordnung, wie sie in den neunziger Jahren Realität wurde und den Staat, die Politik, die Gesellschaft durch den Markt ersetzte.

Das Vertrauen in das System wurde zerstört

Die Politik aber beruht auf normativen Kategorien und Entscheidungen, es kann keine eine Wahrheit geben in der Politik, es geht um den dauernden Interessenkonflikt innerhalb einer Gesellschaft, der im Gespräch ausgetragen werden muss - der Markt dagegen kennt keine Normen, er ist damit notwendigerweise eine Kategorie außerhalb des demokratischen Prozesses und im ständigen Konflikt damit.

Wie sehr das politische Denken allerdings selbst beschädigt ist und gelitten hat, das zeigte die Äußerung von EU-Kommissar Oettinger, der nicht mal mehr verschleiern wollte, dass es die Märkte sind, die die Wähler erziehen, dass es die Märkte sind, die das Richtige produzieren, dass die Logik der Märkte die Frage nach Gut und Schlecht ersetzt hat und das Wesen der Politik so ruiniert hat, dass Raum geschaffen wurde für die, die eine marktgetriebene Alternativlosigkeit ablehnen.

Das fragile Gleichgewicht zwischen Politik und Markt also ist inzwischen wesentlich beschädigt, und das ist die zweite Phase der Eskalation, in den vergangenen zehn Jahren seit Beginn der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 mehr denn je, als die Rationalität der Märkte, die keine Rationalität ist, den komplizierten Prozess der politischen Mehrheitsfindung mehr und mehr ersetzte - dieses Jahrzehnt der "großen Rezession" zerstörte das Vertrauen in die Verhältnisse und damit in das System, das man für diese Verhältnisse verantwortlich machte.

Die Politik der EU ist demokratieschädigend

Jahrelang nun haben vor allem ausländische Ökonomen und Kommentatoren darauf hingewiesen, wie fatal, wie unsinnig, wie demokratieschädigend die Reaktion der EU auf diese Krise war, vorangetrieben vor allem von der deutschen Spar-Regierung und einer Ideologie der Austerität, die eine ganze Generation in Ländern wie Italien in die Perspektivlosigkeit getrieben hat, wo mehr als ein Drittel der jungen Erwachsenen keine Arbeit findet.

Kaum jemand wird dabei sagen, dass nicht ein Teil der Probleme Italiens selbstverschuldet ist - aber entscheidend für den Zeitraum spätestens seit 2011, als schon einmal eine gewählte italienische Regierung durch den Druck der Märkte abgesetzt wurde, ist eine falsche Politik der EU, die ihre Gegner selbst groß gemacht hat: Die Fünf-Sterne-Bewegung ist eine Reaktion auf ein wahrgenommenes Systemversagen.

Und der Triumph der rechtsextremen Lega Nord lässt sich mit einem anderen politischen Debakel erklären: Denn der Abwendung der italienischen Wähler von Europa, wenn man denn die Wahlergebnisse so deuten will, ging eine Abwendung Europas von Italien voraus, die nicht nur ökonomisch war, sondern politisch und institutionell, in Brüssel gewollt, in Berlin gewollt, dem Wegducken geschuldet.

Italien wurde alleingelassen

Es war eine zweite europäische Entsolidarisierung: Der Umgang mit den Geflüchteten, wo Italien nicht nur in vielem mit den Problemen allein gelassen wurde, sondern diese Ungerechtigkeit sogar noch von der EU vertraglich kodifiziert wurde, durch die offensichtlich ungerechte und dem Geist eines liberalen und solidarischen Europas widersprechende Dublin-Regelung, wonach Geflüchtete nur dort Asyl beantragen dürfen, wo sie europäischen Boden betreten haben.

Was also sollten die Märkte eine Generation lehren, von der mehr als ein Drittel keine Arbeit findet? Was sollten die Märkte die Kommunen lehren, die sich allein gelassen fühlen von einer EU, die nicht in der Lage ist, eine Verteilungsgerechtigkeit von Geflüchteten im Inneren herzustellen?

Die Probleme von Italien verweisen ganz direkt auf Probleme innerhalb der EU, und die Mischung aus Arroganz und Apathie, mit der Medien und Politik gerade in Deutschland reagieren, wird die Situation noch verschärfen. Die italienische Krise stellt ein paar sehr grundsätzliche Fragen, zur Verfassung der EU, und die Antworten aller Parteien sind leider rar.

Es braucht eine institutionelle europäische Revolution

Der Politikwissenschaftler und Populismus-Experte Cas Mudde hat darauf hingewiesen, dass die liberalen Kräfte selbst für den Aufstieg der illiberalen Kräfte verantwortlich sind und dass nur die Demokraten wiederum selbst ihre Gegner besiegen können - nicht indem sie deren Positionen übernehmen, sondern indem sie eigene Antworten finden auf durchaus berechtigte Fragen, indem sie eine demokratische Politik definieren, die sich nicht von der Marktlogik treiben lässt oder von Fremdenfeindlichkeit.

Populismus, das wird deutlich, ist nur das Symptom, nicht das Problem: Die EU, es gibt keine andere Möglichkeit, muss sich unter dem Druck der Verhältnisse demokratisieren, die einzelnen Staaten müssen das Denken von Schuldengeber und Schuldennehmer überwinden, es braucht eine institutionelle europäische Revolution, einen Marshall-Plan, Schuldenschnitte, mehr Keynes.

Klingt nach einer Herausforderung? Fragen Sie mal Emmanuel Macron. Leider hat ausgerechnet Angela Merkel keine europäischen Ambitionen mehr oder jedenfalls keine Macht, diese umzusetzen.

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