Jackson-Abschied im TV In der letzten Reihe, auf beiden Augen blind
Die Gurus der Nach-Gutenberg-Ära haben uns einst das elektronische Dorf verheißen: Die ganze Welt setzt sich zu einem Mega-Ereignis vor dem Fernseher nieder und lässt sich von Kühnheit, Glück oder Tod ergreifen. Queen-Hochzeit, Mondlandung, Diana-Beisetzung waren solche Dorffeste - die Zeit stand still, die Zusammengehörigkeit war spürbar.

Jackson-Aufbahrung im Staples Center: Globale Trauerfeier
Foto: GABRIEL BOUYS/ AFPUnterschied, wo war für diesen Moment dein Stachel? Michael Jacksons Trauerfeier hatte auch das Zeug zum weltweiten Heimattreffen der Emotionen. Das Gefühl: Auch Schönheit muss sterben, auch Schäume und Kinderträume vergehen. Lasst uns gemeinsam für ein paar Stunden traurig sein.
Das misslang hierzulande gründlich. Weil das hochgerühmte öffentlich-rechtliche Fernsehen in Deutschland an seiner eigenen Kleinlichkeit scheiterte.
Eigentlich war die Idee ja richtig, auf die Trauerfeier für Jackson zu setzen und sie zum Mittelpunkt des Abendprogramms zu machen. Anders als Spezial-und Spartenkanäle sind ARD und ZDF - zumindest von der Idee her - Dorfwiesen, auf denen sich die Generationen begegnen können. Junge Gefühlsfreaks sehen zu, skeptische Ältere sehen, wie junge Gefühlsfreaks reagieren, Ignoranten begegnen Gläubigen - einer wie Jackson kann so eine Vielfalt lässig aushalten. Nur so entsteht Respekt, der mentale Grenzen überwindet.
Wer solches wahrhaft großes Fernsehen will, braucht Entschiedenheit. Er muss radikal sein, er muss dem Augenblick sein Recht lassen. Richtig live ist dann very hard. So muss man beispielsweise mit der Unvorhersehbarkeit einer Trauerfeier rechnen. Und Jacksons Trauerfeier hatte Verspätung. Man muss sich dann sagen: Heute ist nicht "Tagesschau" oder Serie oder was sonst noch, sondern nur Michael Jackson, der König des Pop.
Es kann halt dauern, auch länger als berechnet.
Und es gibt noch etwas, was mit Benimm zu tun hat: Wenn man auf dem Dorf, erst recht auf dem elektronischen Weltdorf, zu einer Trauerfeier geht, dann geht man eben hin, und nicht früher weg. Das verlangt die Achtung.
ARD und ZDF aber waren sich zu fein oder zu ängstlich für solche dörfliche Höflichkeit. Sie gaben dem Toten nur so viel letzte Ehre, wie es ihre Selbstformatierung erlaubt. Ziemlich flegelhaft gingen die sonst so würdeversessenen Sender einfach vom Sarg weg, als sie meinten, nun sei es genug. ARD-Programmchef Volker Herres klinkte sich um 20.17 Uhr aus der Trauerfeier aus. Grund: Der "Dicke" musste schnaufen, die Sachsenklinik rief zur Weißkittellei in "aller Freundschaft". Im ZDF blieb man länger dabei, doch pünktlich um 21 Uhr verabschiedeten sich auch die Mainzer aus Los Angeles - für eine Dokumentation über den Wettlauf ins All. Das alles - so das Formatierungsmantra mit dem Charme einer Eisenbahngesellschaft - duldete keinen großen Aufschub. Der Programm-Fahrplan lässt keinen Raum für große Gefühle.
Was sich beim Fußball im Fernsehen keiner traut, das Herausgehen vor dem Abpfiff, bei Jackson traute man sich es. Man traute sich auch, lieblos die Übertragung zu begleiten. Kein Kenner moderierte, kein königlicher Seelmann-Eggebert versprühte den Hauch von Erhabenheit, kein Wegweiser durch amerikanisch-schwarze Ästhetik trat auf, auch kein intelligenter Beobachter moderner religiöser Vorstellungswelten mit Sternentick. Wenig Erklärung war zu hören zu den Seltsamigkeiten der Trauergemeinde, wenig Erhellendes zu den Paradoxien einer Popwelt, die sich den Tod nur als ihre ewige Fortdauer vorstellen kann. Der Zuschauer, der desorientiert war oder einfach noch nicht genug begriffen hatte, wurde einfach weggeschickt zu den kleinen Kanälen.
Eine Gerechtigkeit ist es daher, dass n-tv und N24 überdurchschnittliche Quoten erzielten und die Öffentlich-Rechtlichen nur durchschnittliche. Marshall McLuhan, der einst das elektronische Dorf kommen sah, hatte auch gesagt: "Das Medium ist die Botschaft." Im Falle Jacksons hat sich leider Letzteres bewahrheitet: Für emotionale Großereignisse fehlt ARD und ZDF die Größe, in bestimmten seltenen Momenten vom selbstreferentiellen Rauschen, von der Routine des eigenen Programms abzusehen und sich der Welt zu öffnen.